Mit Kanonen auf Spatzen?
Oder großer Aufwand für große Gefahr?
3.000 Polizisten machten Razzia bei rund 50 Verdächtigen und nahmen rund 20 davon als vermeintliche Putschisten fest. Allein schon vom Aufwand her muss es sich um eine ganz große, gefährliche Sache handeln. Die mutmaßlichen Reichsbürger sollen einen Umsturz geplant und dafür teilweise (!) auch mit Waffen trainiert haben, [1].
Laut Verfassungsschutzpräsident waren die Sicherheitsbehörden früh über die Planungen im Bilde. Aber nicht nur sie.
„Die Razzia wirkt wie eine PR-Aktion“
„Manche Pressevertreter wussten schon seit zwei Wochen von der Razzia“, sagt die Linken-Abgeordnete Martina Renner. Dass die Infos im Vorfeld so breit gestreut wurden, hält die Extremismus-Expertin im Interview mit n-tv für unverantwortlich, [2].
Nicht nur Fluchtgefahr steht im Raum, wenn die Betroffenen Wind von den Vorbereitungen bekommen. Bei gewalt- bzw. putsch-bereiten Reichsbürgern müsse ja auch mit Gegenwehr gerechnet werden, wodurch die Sicherheitskräfte unnötigerweise einer stark erhöhten Gefahr ausgesetzt werden.
Renner selbst „wusste seit Mitte letzter Woche bereits davon und weiß außerdem von mehreren Medien, die schon seit zwei Wochen Kenntnis hatten. Es waren die Namen der Beschuldigten bekannt, ihre Adresse und der geplante Zeitpunkt des Zugriffs“ – obwohl die Pläne für die Razzia vom Generalbundesanwalt als geheim eingestuft worden waren.
Innenministerin Nancy Faeser prahlt mit dem Erfolg: Keiner der Verhaftungs-Kandidaten war vorab geflüchtet oder untergetaucht. Für sie ist das der Beweis, „dass vorher nichts rausgedrungen ist“.
Nicht nur Martina Renner bezweifelt dieses Erfolgsrezept:
„Terrorabwehr müssen staatliche Stellen mit höchster Sensibilität betreiben, auf keinen Fall darf sie zur Show werden.“
Zweifel an Gefährlichkeit und Verstand der Verhafteten
Wenn die lockere Herangehensweise (zumindest der auf eine „Show“ erpichten politisch Verantwortlichen) so verlässlich folgenlos blieb, dann drängt sich die Frage auf, ob es mit der Gefährlichkeit der Verhafteten vielleicht gar nicht so weit her gewesen sein kann – und dies den politisch Verantwortlichen im voraus klar war?
Sprich: Finstere Gedanken mögen sie gehabt haben, waren aber von vorneherein ohne realistischen Plan und ohne Erfolgschance.
Auch ein Militär-Putsch kann scheitern, aber ein Putsch ohne oder gar gegen das Militär wird fast unausweichlich scheitern.
Unter den Verhafteten sind aber keine Bundeswehr-Generäle oder sonstige hohen Offiziere (Pensionäre oder schon 1996 unehrenhaft Entlassene wie der gewesene Oberstleutnant Rüdiger von P. kann man ja nicht ernsthaft als Militärrebellen einordnen).
Die Verhafteten seien bereit gewesen, Tote in Kauf zu nehmen, was ja selbst bei völliger Aussichtslosigkeit des eigentlichen (Putsch-)Ziels eine eigene, abzuwehrende Gefahr darstellt.
Denn auch wenige Verrückte (oder ein einzelner) können eine tödliche Gefahr darstellen – z.B. bei einem Amoklauf.
Aber selbst die dümmsten Putschisten (die diese Bezeichnung gerade noch „verdienen“) sind eine ganz andere Kategorie als lebensmüde Amok-Täter: Sie wollen weder selber sterben noch die bisherigen Inhaber der Staatsgewalt in einer Open-End-Aktion mit blinder Wut massakrieren, sondern zum (eher kleineren Teil) einschüchtern und (zum größeren Teil) ohne Gewalt auf ihre Seite ziehen. Über Anzahl bewaffneter Putschisten dieser speziellen Gruppe und die Art ihrer Waffen ist aber kaum etwas zu erfahren.
Wie viele Dutzend Täter reichen für einen Staatsstreich?
Laut Verfassungsschutz seien von etwa 23.000 „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ deutschlandweit wie folgt einzustufen [3]:
- rund 1.250 (ca. fünf Prozent) als Rechtsextremisten
- rund 2.000 als gewaltorientierte Personen
Auf wie viele (teils ganz verschiedenen) Gruppen die Problembären sich aufteilen und ob diese Gruppen kooperieren, bleibt offen.
Da sich allerlei selbsternannte Reichs-Präsidenten, -Kaiser, -Könige im Lande tummeln, handelt es sich vermutlich mehr um ein Sammelsurium von unabhängigen Kleinsekten und eitlen Eigenbrödlern als um die eine große Gruppe.
Wollten sie eher symbolisch als Initialzündung z.B. den Bundestag sowie ein paar TV-Sender besetzen – und erhofften dadurch den alsbaldigen Ausbruch eines Volksaufstands bzw. einer Beamten- oder Bundeswehr-Rebellion zu Gunsten ihrer Machtübernahme?
Sollte man da aber nicht schon einen gewissen Namen oder Ruf haben? Auch wer die aktuelle Regierung zum Teufel wünscht, kann sich ja nicht jedes x-beliebige, aus dem Nichts aufgetauchte Grüppchen von Vollpfosten als neue (Putsch-)Regierung wünschen?
Oder erhofften sie das Eingreifen ausländischer Mächte, wie manche Meldungen (aber nur zaghaft) andeuteten?
Hollywood-taugliche Wodka-Connection?
Anführer der Gruppe soll der 71-jährige Prinz Heinrich XIII. sein, der bisher politisch noch nicht aufgefallen war. Auf den Fotos wirkt er mit Cord-Hose und Mund-Nasen-Schutz eher wie ein biederer, gesundheitsbewusster Rentner. Er entstammt dem bis 1918 in Teilen Thüringens (Vogtland) regierenden Fürstenhaus Reuß.
Eine Adelssippe mit wenig Bedeutung, aber vielen Linien, Seitenlinien und wohl auch Standesdünkel, erkennbar an einer inflationär-schrägen Vorliebe für den Vornamen Heinrich.
Die vielen Heinriche tragen (wie sonst nur regierende Fürsten) Nummern. So heißen die vier Brüder des angehenden bzw. angegangenen Königs ebenfalls „Heinrich“, aber mit abweichender Nummerierung. Der Sprecher des Hauses Reuß, der vier Jahre jüngere Heinrich XIV. Prinz Reuß, distanzierte sich bereits Ende August 2022 von Heinrich Nr. XIII., der den Familienverbund vor Jahren auf eigenen Wunsch verlassen habe und ein „teilweise verwirrter“ Mann sei, der „verschwörungstheoretischen Irrmeinungen“ aufsitze, [4].
Reuß klingt nach Russen (früher Reußen genannt) und das ist kein Zufall: Die deutsche Familie war im hohen Mittelalter in der Ostkolonisation tätig und schuf familiäre Verknüpfungen zu slawischen Adelsfamilien.
Ein deutsch-russischer Fürstensproß will durch Putsch zum Zar von Deutschland werden, um Zar Putin zu unterstützen – es ist nur eine Frage der Zeit, bis Hollywood vorstellig wird, um über die Filmrechte für diesen Polit-Krimi zu verhandeln. Immerhin (das steigert die Wichtigkeit der Clique und den Marktwert der Story) hat die US-Regierung der deutschen Regierung Hilfe gegen die Putschisten angeboten.
Das Kind hat noch keinen Namen – NSU 2011 lässt grüßen
„Wir haben noch keinen Namen für diese Vereinigung“, sagte die Sprecherin der Bundesanwaltschaft. (Scherzkekse sprechen schon von Graue Armee Fraktion und Rollator-Putsch.)
Vielleicht muss das passende Narrativ erst nacherfunden werden?
Ein brandneuer Wikipedia-Artikel behauptet jedenfalls, um das künftige Staatsoberhaupt Prinz Heinrich herum habe sich eine terroristische Vereinigung namens Patriotische Union gegründet, auf die BKA und VS schon im April aufmerksam geworden seien.)
Die spätestens seit Ende November 2021 bestehende Gruppierung gründe sich den Erkenntnissen zufolge auf Verschwörungsmythen. Die Mitglieder seien der festen Überzeugung, dass Deutschland derzeit von Angehörigen eines sogenannten Deep States, eines „tiefen Staats“, regiert werde, hieß es laut Tagesspiegel in einer Mitteilung.
Um die tiefe Verneigung von Deindustrialisierungsminister Robert Habeck vor Scheichs und vor US-Wirtschaftsinteressen erkennen und einordnen zu können, braucht es allerdings längst keine Tiefe-Staats-Theorien mehr – Zeitungslektüre reicht.
Ausgebootete deutsche Konzernherren sprechen die Misere selber offen an, wie Trigema-Chef Grupp, [5].
Oder ist der etwa auch ein Reichsbürger und sieht seiner baldigen Verhaftung entgegen?
Waffen aus dem Schloss-Museum?
Manche hätten sogar Zugang zu legalen Waffen. Man ist aber noch auf der Suche und insgesamt scheint es der Gruppe aber wie der Verteidigungsministerin zu gehen, die kürzlich die Unterversorgung der Bundeswehr mit kurzfristig nicht beschaffbarer Munition im Wert von 20 Milliarden Euro beklagte.
Höhepunkt der Meldungen im ZDF (im leider nur kurz verfügbaren Videotext): Die Gruppe verfüge auch über Schwerter und Armbrüste!
Prinz Heinrich, der in Frankfurt als Immobilienmakler arbeitet(e), besitzt in Thüringen das Jagdschloss Waidmannsheil – musste er für den Putsch (der zu seiner Krönung als Deutschlands König führen soll) doch nicht etwa die Schätze des Schloss-Museums rausrücken?
Von der Nützlichkeit frisch gebastelter Feindbilder
Die als pro-russisch geltende Alina Lipp findet das Ganze
„ziemlich merkwürdig. Es sieht alles so aus, dass sie das jetzt als Vorwand nehmen, irgendein Gesetz hinterherzuschicken.“
Putin-Gegner Boris Reitschuster ist alles andere als „pro-russisch“, hat aber als Corona-Kritiker eigene Erfahrungen gemacht, wie mit Andersdenkenden umgesprungen wird:
„So sehr ich einerseits nicht ausschließen kann, dass die Vorwürfe berechtigt sind und dann den Sicherheitsbehörden ein großes Lob und Dank gebührt – so groß ist mein Verdacht, dass dies eben nicht so ist und hier eine Mücke zum Elefanten aufgeblasen wird. Und damit der Weg bereitet wird für eine noch striktere Unterdrückung von Andersdenkenden bis hin zu noch weiteren Schritten oder gar einem Parteiverbot gegen die AfD.“ [6]
Wiedereinführung des Radikalen-Erlasses?
Unter den Verhafteten ist auch die Richterin Birgit Malsack-Winkemann, die von 2017 – 2021 für die AfD im Bundestag saß.
Auf sie könnte möglicherweise erstmals angewendet werden, was Nancy Faeser bei Maischberger klarstellt: Für eine Kündigung reicht im Öffentlichen Dienst künftig der bloße Verdacht.
Die Bundesinnenministerin nimmt die Razzia zum Anlass, noch einmal an die Umkehrung des Disziplinarrechts zu erinnern, die sie im Frühjahr eingeleitet hat. Bei Mitarbeitern des Öffentlichen Dienstes werde es künftig sehr einfach sein, sie zu entfernen.
Für eine Kündigung reiche dann der bloße Verdacht auf Demokratiefeindlichkeit.
„Da muss man die Möglichkeit haben, jemanden schnell rauszubekommen“, sagt die SPD-Politikerin. „Wir haben eine gute Idee gefunden, das zu tun.“
Und das geht so:
Der Betroffene werde auch ohne jegliche Beweise mittels eines einfachen Verwaltungsaktes aus dem Dienst entfernt und müsse dann selbst seine Unschuld beweisen. Bisher habe stets der Staat den Verdacht beweisen müssen. Das sei jedoch zu schwierig, weshalb man das Grundprinzip der Rechtsstaatlichkeit aufgebe und lieber dem Verdächtigen künftig die Beweislast übertrage, „zu sagen, ich bin aber anständig und hab mir nichts zuschulden kommen lassen“. [7]
Dies erinnert an den „Radikalenerlass“ von 1972, eingeführt unter SPD-Kanzler Willy Brandt, der dies rückblickend als Fehler bezeichnete – aber auch als ein damals für notwendig erachtetes Zugeständnis, um Gegner seiner damals neuen Entspannungspolitik gegenüber der Sowjetunion zu beschwichtigen. Denn von konservativen bzw. US-orientierten Anhängern des Kalten Krieges kamen wiederholte alarmistische Warnungen vor russischen Invasionen – sowohl in Gestalt russischen Panzerarmeen als auch in Gestalt russischer Unterwanderung.
Dank des Ukraine-Krieges hat kaum jemand gemerkt, dass seit einigen Monaten wieder ein neuer Radikalenerlass gilt, verfügt genau im 50. Jubiläumsjahr des verpönten alten, längst eingemotteten.
Das „Stürmchen“ auf den Reichstag anno 2020 als Vorbild?
Schon im Sommer 2020 gab es einen sehr merkwürdigen „Sturm“ auf den Reichstag [8] :
Während in Berlin Ballwegs großflächige Querdenker-Demo lief, kam es in der Bannmeile vor dem Reichstags-Gebäude zu einer gesonderten Demo. Deren Anmelder war ein Rüdiger Hoffmann – nicht der allseits bekannte Kabarettist, sondern ein namensgleicher polizeibekannter Reichsbürger.
Weil er Jahre zuvor als NPD-Kader einen Angriff auf ein Flüchtlingsheim organisiert hatte, hatte er dreieinhalb Jahre abgesessen. Seither sei der gelernte Finanzkaufmann wegen einer „Hafttraumatisierung“ verrentet – manche halten das eher für eine Tarnbezeichnung, um einen V-Mann unauffällig zu alimentieren.
Jedenfalls genehmigte man am sensibelsten Ort – ebenfalls vor dem Reichstag – zusätzlich und zeitlich vor der Demo diesem einschlägigen Problembären eine viertägige „Mahnwache für Heimat und Weltfrieden“, die von ihm ordnungsgemäß angemeldet war. Zur Bewachung des Reichstagsgebäudes hielt man drei Polizisten für ausreichend – die Ballweg-Demos waren wohl wichtiger.
Das dachten auch viele der ins Rampenlicht drängenden Politiker.
Sie hatten vor lauter Betroffenheit-Bekundungen damals nichts Besseres zu tun, als den Hoffmann-Sketch den zeitgleichen Demos von Michael Ballweg pauschal in die Schuhe zu schieben, statt „Generalprobe“ und Aufführung des ominösen Hoffmann sowie diesen Typen selber mal näher unter die Lupe zu nehmen.
[1] https://www.tagesspiegel.de/politik/das-ist-uber-die-razzia-bekannt-19-mutmassliche-reichsburger-in-untersuchungshaft-8985781.html
[2] https://www.n-tv.de/politik/Die-Razzia-wirkt-wie-eine-PR-Aktion-article23769156.html
[3] https://www.verfassungsschutz.de/DE/themen/reichsbuerger-und-selbstverwalter/zahlen-und-fakten/zahlen-und-fakten_node.html
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_XIII._Prinz_Reu%C3%9F
[5] https://www.merkur.de/wirtschaft/wolfgang-grupp-trigema-ukraine-krieg-thorsten-benner-zr-91813975.html
[6] https://tkp.at/2022/12/08/reichsbuerger-putsch-als-medien-show/
[7] https://www.merkur.de/politik/maischberger-reichsbuerger-razzia-nancy-faeser-spd-kuendigung-putschversuch-migration-illerkirchberg-mord-zr-91963688.html
[8] https://www.broeckers.com/2020/08/31/reichtagssturm-abgewehrt-demokratie-gerettet/