Kein Strafprozess gegen den „Peter Urbach“ des NSU

1996 kam Thomas Starke aus dem Knast und wurde – nur für drei Monate? – zu Zschäpes Lover.

1997 soll er dem Trio mehr als 1 Kilo TNT-Sprengstoff beschafft haben, dessen Zweck und Verbleib unklar ist. Denn eine drohende Haftbefehl-Vollstreckung gegen Böhnhardt veranlasste das Trio zum Wechsel in den Untergrund. Dass die drei im Untergrund blieben, könnte mit diesem TNT zusammenhängen, denn Spuren davon fand die Polizei 1998 in der Garage, die Zschäpe am alten Wohnort Jena ausgerechnet von einem Polizisten angemietet hatte.

Starke selber, ein führender Blood-and-Honor-Mann in Sachsen, hatte keine Notwendigkeit, in den Untergrund zu gehen, sondern half den drei untergetauchten Thüringern, Unterschlupf in seinem Chemnitzer Umfeld zu finden. Seine waffen-affinen Leute hätten das Trio auf kurzem Wege und vor allem unauffällig mit den angeblich so begehrten Waffen versorgen können – aus vorhandenen Beständen.

Dagegen musste der in Thüringen zurückgebliebene angebliche Ceska-Beschaffer Ralf Wohlleben auf dem Weg nach Sachsen zwar keine bewachte Landesgrenze überwinden, aber als NPD-Politiker in Thüringen fühlte er sich (wohl zu Recht) bereits mehr als genug überwacht und hatte daher gute Gründe, nicht noch weitere Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Zumal er ja (anders als Starkes Leute) nicht über Bestände verfügte, sondern alles was er u.U. liefern wollte, sich selber erst mal riskant hätte beschaffen müssen.

Obwohl Starke also ein ganz wichtiger Helfer war, lebte er nicht im Untergrund und festgenommen wurde er erst im November 2000 – nicht als NSU-Helfer und nicht als Mitglied der kriminellen bzw. terroristischen Vereinigung Blood & Honour, sondern im Zuge der Ermittlungen gegen die Berliner Neonazi-Band „Landser“. Vorgeworfen wurden ihm keine Gewalttaten oder Verstöße gegen Waffen- und Sprengstoff-Recht, sondern Volksverhetzung aufgrund seiner Beteiligung an der Produktion des Albums „Ran an den Feind“.

Nach dem Auffliegen des NSU erfuhr man, dass Thomas Starke ab 2000 „Vertrauensperson“ (VP) des Berliner Landeskriminalamts (LKA) war, letztlich fast die ganze Zeit bis zum bitteren Ende 2011. Nach und nach kam heraus, dass er 2001 schon als „langjähriger Vertrauensmann“ der Schlapphüte galt und sogar bereits in der DDR in den 80er Jahren für die Stasi Fussballfans ausspioniert hatte und vielleicht 1990 von den neuen Herren einfach nur übernommen werden musste, [1], [ 2] .

Ob er in der kritischen Zeit seiner TNT-Lieferung wirklich nicht im Sold der Dienste stand (was jenen aus PR-Gründen sehr gelegen käme), ist sehr zweifelhaft. Wenn (gemäß des offiziellen Narrativs) das Trio aber zusammenblieb bis 2011 und die Uwes ab 2002 mit Zschäpes Wissen und Mitwirken mordeten, dann müsste Starke dies mitbekommen haben.

Denn nicht nur seine Spitzel-Tätigkeit dauerte fast bis zur NSU-Enttarnung – man fand in Zschäpes letzter Wohnung DNA-Spuren eines Starke-Abkömmlings:
„In der Frühlingsstraße wurde eine DNA-Spur gefunden, die zunächst einem Kind Starkes zugeordnet wurde. Auf dieser Grundlage wurde Starke befragt, allerdings stellte sich später heraus, dass es sich um das DNA-Material einen Mitarbeiters des BKAs handelte, der das Asservat verunreinigt hatte“, [3].

Verunreinigungen durch Spurennehmer kommen schon mal vor, aber dass deren DNA zum Verwechseln ähnlich ist der DNA einer völlig anderen Person, die sich aber durchaus in der Wohnung der Spuren-Entnahme aufgehalten haben könnte – das ist doch arg viel des „Zufalls“. Oder war ein Starke-Abkömmling 2011 schon im berufstätigen Alter und bei der Polizei eingestellt worden?

Wie Tino Brandt, der Gründer, Leiter und ideologische Einpeitscher des „Thüringer Heimatschutzes“, ist Starke also deutlich mehr gewesen sein als ein bloßer Mit-Läufer und bezahlter Mit-Horcher. Zum Beispiel ein agent provocateur,  ein in den USA völlig normaler Tat-Provozierer, dessen Einsatz bei uns eigentlich illegal wäre.

„Eigentlich“: Immer mehr kommen bei uns verdeckte Ermittler zum Einsatz, die z.B. einen Dealer nur auf frischer Tat überführen können.  Bei einem „Gelegenheits-Dealer“ wird es grenzwertig, aber bei eingefleischten Serien-Dealern ist die Rechtsprechung bereit, statt einer verbotenen Tat-Provozierung eine bloße „Verschaffung einer Tatgelegenheit“ zu sehen, bei der nicht zu befürchten ist, ein noch unentschlossener Tat-Kandidat sei erst und nur durch den Ermittler ernsthaft in Versuchung und zur Tat gebracht worden – sprich: er wäre ohne diese Versuchung rechtstreu geblieben, [4].

Brandt und Starke sind nach diesen Maßstäben eindeutige Anstifter, Tatprovozierer. Dass sie dies mit Wissen und sogar mit Willen ihrer staatlichen Auftraggeber taten, ist höchst wahrscheinlich, wird vom Staatsapparat aber weder zugegeben noch ernsthaft untersucht.

Den ersten großen berühmt-berüchtigten Fall eines staatlich eingeschleusten V-Manns und Anstifters gab es Ende der 60er Jahre bei der RAF:
Der RAF-Forscher Wolfgang Kraushaar bezeichnete Peter Urbach als das beste Beispiel für einen geheimdienstlichen Einfluss auf die linksradikale Szene. Es gebe immer noch keine Stellungnahmen der damals beteiligten staatlichen Stellen, und die Öffentlichkeit werde in dieser Angelegenheit wie in einer Reihe vergleichbarer Fälle „einfach hängengelassen“, [5].

Ein „Hängenlassen“ der Öffentlichkeit war im Falle von Starke schon früh im überlangen Prozess absehbar gewesen: So wie Temme (trotz kurzzeitiger Haft nach der Bluttat von Kassel, trotz unaufgeklärter Merkwürdigkeiten) im Prozess ab 2013 vom Gericht durchgehend nur als Zeuge behandelt wurde, so war klar, dass die Bundesanwaltschaft Leute wie Starke „erst in einem zweiten Prozess anklagen“ wollten, damit ihnen im „ersten“ Prozess ein Aussageverweigungsrecht zusteht.
Und ob es zu diesem zweiten Prozess überhaupt kommen würde, erschien umso unwahrscheinlicher, je länger der erste andauerte.

Die Münchener Urteile verstärkten den Eindruck: Wohlleben bekam 10 Jahre für die sehr auf sehr dünnen Beweis-Beinchen stehende Ceska-Beschaffung, obwohl die Öffentlichkeit nicht erfuhr, wie lange und wie intensiv er nach dem Untertauchen der drei überhaupt noch Kontakt hatte und über Mord- oder sonstige Pläne sichere Infos bekam. Der mitangeklagte Holger Gerlach unterstützte das Trio dagegen bis zum Schluss – hatte also rund 10 Jahre länger intensiven Kontakt, also die ganze Zeit der Morde über!
Und obwohl er kein hilfsbereiter Naivling war, sondern die braune Gesinnung der Uwes teilte und seine Unterstützung auch Waffenbeschaffung umfasste, obwohl er vor Gericht statt reinen Tisch nur eine heikle Teilaussage ablieferte, kam Holger Gerlach mit nur drei Jahren davon.

Hart bestraft wurden also nur zwei Angeklagte:

  • die kinderliebe Katzenfrau Zschäpe, die nach Meinung der Uwes und der anderen „harten Männer“ nichts von der Ceska-Anlieferung mitbekommen sollte;
    .
  • Ralf Wohlleben, der in Sachen Ceska-Beschaffung vom eigentlichen Ausführungs-Täter Carsten Schultze mit dubiosen (aber medial unverständlicherweise bejubelten) Aussagen zum allein bestimmenden Anstiftungs-Täter aufgebauscht wurde

Die übrigen kamen sehr schonend davon bzw. scheinen eine Art Bonus bekommen zu haben …

Ein Jahr, nachdem die Revisionen von Zschäpe und Wohlleben vor dem BGH gescheitert und ihre Strafen dadurch rechtskräftig geworden waren, wurde dann Im September 2022 die Katze aus dem Sack gelassen:

„Eingestellt wurden die Verfahren von Thomas St. (heute Thomas M.), Jan W., Max-Florian B., Matthias D. und Mandy St.“, [6].

Die im Gegensatz z.B zu Italien gegenüber der Regierung weisungsgebundene Bundesanwaltschaft wagt den NSU-Schlussstrich, betitelt Thomas Moser seinen Aufsatz.

[1] https://friedensblick.de/8212/nsu-tnt-lieferant-starke-war-langjaehriger-vertrauensmann/

[2] https://www.spiegel.de/panorama/nsu-in-chemnitz-radikalisierung-in-sachsen-a-873908.html

[3] https://www.nsu-watch.info/2014/08/protokoll-133-verhandlungstag-31-juli-2014/

[4] https://kripoz.de/2022/03/31/unzulaessige-tatprovokation-durch-staatliche-ermittler-voraussetzungen-und-folgen/

[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Urbach

[6] https://overton-magazin.de/krass-konkret/die-bundesanwaltschaft-wagt-den-nsu-schlussstrich

Ein Gedanke zu „Kein Strafprozess gegen den „Peter Urbach“ des NSU“

  1. „Zschäpe räumt Mitschuld an NSU-Morden ein“,
    https://www.tagesschau.de/inland/zschaepe-aeusserungen-u-ausschuss-100.html

    Sie sagte, sie hätte die Morde verhindern können – nämlich wenn sie sich gestellt hätte, als sie vom ersten Mord erfuhr.
    Zwar habe sie die Taten nicht gewollt – aber laut
    Toni Schuberl, dem grünen Ausschussvorsitzenden, habe das „Schuldeingeständnis“ dennoch eine „neue Qualität“:

    „So, als hätte sie selbst abgedrückt“

    Sie habe von den Ausspähungen potenzieller Opfer gewusst. Die Kriterien seien gewesen: „ausländisch klingender Name, vorzugsweise türkisch, und gute Fluchtmöglichkeit“.

    Im NSU-Prozess hatte Zschäpe eingeräumt, von den Banküberfällen ihrer Freunde gewusst und die letzte Fluchtwohnung des Trios im sächsischen Zwickau in Brand gesteckt zu haben. Aber von den Morden und Anschlägen habe sie immer erst im Nachhinein erfahren.

    Wie die Brandstiftung an ihrer Wohnung abgelaufen sein soll (weder hatte sie einen Fernzünder noch erlitt sie Verletzungen), ließ Zschäpe damals allerdings ebenso offen wie die Gerichtsexperten und auch den aktuellen Ausschuss scheint es nicht sonderlich zu interessieren.

    Genauso, wie sie aus einer kurzen Radiomeldung hinsichtlich zweier namentlich ungenannter toter Bankräuber treffsicher auf ihre zwei Uwes schließen konnte. Die folgenschwere Brandstiftung konnte sie im Falle eines Irrtums ja nicht einfach so rückgängig machen.

    Die Tagesschau erwähnt, dass sie als „Mittäterin“ verurteilt worden war – „auch wenn es keinen Beweis gibt, dass sie selbst an einem Tatort war“.

    Diesen Beweis vermisste sogar der gelernte Polizist und CDU-MdB Clemens Binninger, allerdings bezüglich der Uwes als „Haupttäter“ und aller ihrer 28 Tatorte. Der bayrische Untersuchungsausschuss ist da nicht so grüblerisch; das OLG-Urteil wird schon seine Richtigkeit haben.

    Warum aber nur musste die „Befragung abseits der Öffentlichkeit“ stattfinden?

    Ziel des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses im Landtag sei es unter anderem, mögliche Verbindungen des NSU in die Neonazi-Szene in Bayern aufzuklären.
    „Hier aber hoffte der Ausschuss vergeblich auf Antworten Zschäpes.“

    Also wie gehabt: Großes Kino, keine harte Fakten.

    Um Zschäpe solche Infos zu entlocken, hätte man sie erst mal fragen sollen, warum sie die fehlenden „Gesinnungsspuren“ ihrer zwei mordenden Volkstums-Bewahrer nicht verwundert haben: Warum hinterließen sie keine NSU-Embleme, Bekenner-Briefe, Hakenkreuze, „Türken-raus“-Schmierereien etc. an den Tatorten? Schließlich wollten sie ja keine (gezielten) Mafia-Morde imitieren, sondern per wahllos-willkürlichem Rassismus eine ganze Bevölkerungsgruppe in Schrecken und Abwanderungs-Gesinnung versetzen?

    Was erzählten ihr die Uwes über die (für Öffentlichkeit und Medien) lächerlich unsichtbare (und damit nahezu wirkungslose) braune Botschaft ihres Terrors?
    Perfekte Spurenvermeider vermeiden auch vollständig das Anbringen der ihnen doch so wichtigen „Gesinnungsspuren“?
    Und lernen Mord für Mord nicht hinzu, dass das gewünschte Feed-Back ausbleibt?
    Bis ihre Mord-Lust dann (warum eigentlich?) nach dem Mord in Kassel einschläft?
    Waren sie gefrustet, dass niemand ihre (ungeschrieben gebliebenen) Bekenner-Briefe las?

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