Teil 4. Der Tatort Theresienwiese in Heilbronn – Umschlagszentrum des Menschenhandels

Die TW wird als Parkplatz genutzt. Am Rande des Platzes steht ein Trafohaus. Neben dem Haus parkten die Opfer ihren Wagen, als sich das Verbrechen ereignete.

Es gibt Rad- und Fußwege, die neben dem Platz entlanggehen. Alle 30 Sekunden kommt zur Mittagszeit eine Person am Trafohaus vorbei. Zusätzlich bauten ab April im südlichen Bereich der Festwiese Schausteller ein Volksfest auf, so dass dort ihre Wohnmobile und -wägen standen. Aufgrund des Aufbaus des Festes diente lediglich der nördliche Teil als Parkplatz. Es gab wegen des Aufbaus nur eine einzige Zufahrt.

Es kamen gleichfalls Sinti und Roma – Familien mit ihren Wohnmobilen und -wagen, obwohl sie mit dem Festaufbau nichts zu tun hatten. Ich bezeichne sie im weiteren Verlauf nicht als Zigeuner sondern als Landfahrer. Der Grund ist, dass der Ausdruck Zigeuner negativ besetzt ist.

Nördlicher Teil ohne geparkte Autos

An normalen Tagen steht der nördliche Bereich der TW voller geparkter Autos. Viele gehen von dort zu Fuß zum 300 Meter entfernten Bahnhof. Am 25. April stand im nördlichen Bereich jedoch kein einziges Auto. Luftaufnahmen zeigen dort eine leere nördliche Festwiese.

Quelle: © OpenStreetMap-Mitwirkende1

Es war für Autofahrer, die in die Festwiese einfuhren, unmöglich, überhaupt rechts in den nördlichen Bereich abzubiegen. Nördlich und teilweise südlich der Einfahrt steht ein Auto nach dem anderen aufgereiht, wie ein Art “Schutzwall“. Der Autofahrer musste also erst gerade-aus-fahren, in Richtung Trafohaus, und dann nach zwanzig Metern in Richtung Süden abbiegen. Der Streifenwagen, der neben dem Trafohaus parkte, hatte freie Sichtbahn in die Frankfurter Straße, bis unmittelbar vor dem Bahnhof, und in den nördlichen Bereich der Festwiese. Der Platz neben dem Trafohaus war ein guter Beobachungsposten.

Menschenhändler war anwesend

Der LKA-Ermittler Wolfgang F. berichtete dem UA des Bundestages, dass sich am Tattag in eine Funkzelle in Tatortnähe eine Handynummer einwählte, die zuvor in einem Schleusungssachverhalt von Polen“2 registriert wurde. Daraufhin erwähnte der CDU-Bundestagsabgeordnete Clemens Binninger, dass die TW „einer der Haupttreffpunkte für Schleusungen“3 gewesen war. Binninger war auch Mitglied eines UA des Bundestages, der die missbräuchliche Vergabe von Visa an ukrainische Frauen in der deutschen Botschaft in Kiew untersuchte. Viele dieser Frauen wurden Opfer von Zwangsprostitution der organisierten Kriminalität.

Theresienwiese – Treffpunkt der NSU-Russen?

Nördlich von Neckarsulm befindet sich der Plattenwald, an dem die neckarsulmer Straße („NSU-Straße“) vorbeigeht. Nach 2 Kilometer in südlicher Richtung kommt das Stadtzentrum von Neckarsulm, mit dem NSU-Museum des Unternehmens „neckarsulmer Motorenwerke“. Nach einem weiteren Kilometer kommt die Hafenstraße in Heilbronn. Die Hafenstraße mündet in der Theresienstraße, an der die TW liegt. Am Trafohaus befand sich ein Grafiti „NSU“. In Polizeikreisen wurden die Deutsch-Russen als die „NSU-Russen“ bezeichnet.

Quelle: © OpenStreetMap-Mitwirkende1

Ab Ende 2009 ermittelte die Soko-neu gegen die Russen-Mafia. Ermittler befragten zwischen 2009 und 2011 mehrfach einen Zeugen. Laut seiner Darstellung ging der Überfall von einer schwerkriminellen Gruppe aus, die beim Drogen- und Menschenhandel beteiligt war. Sie schleusten etwa junge Frauen von Osteuropa nach Deutschland. Dann würden „reiche deutsche Verrückte auftauchen, die die Mädchen foltern“4. Die Gruppe wäre in Öhringen, Neckarsulm und Heilbronn ansässig gewesen. Es gibt Spuren, die nach Sachsen führen.

Stimmen heilbronner Streifenpolizisten und böblinger Bereitschaftspolizisten

Rolf M.: „Die Theresienwiese ist bei uns bekannt als eine Örtlichkeit, an der ab und zu osteuropäische Fahrzeuge abgestellt sind, die dann auch von uns kontrolliert werden.“5 Carsten K.: „Dort stehen immer wieder osteuropäische Fahrzeuge, die wir auch des Öfteren im Rahmen der Streife überprüfen. Es sitzen dort oft auch mehrere Personen in einem Fahrzeug.“6 Auch Michael P. bestätigte, dass „dass dort im Bereich der Theresienwiese das „Rotlichtviertel” ist. Dies war auch der Grund, warum man in dem Bereich mal vorbei gefahren ist.“7 Für den Bereitschaftspolizist Marcel M. war die TW „immer ein Kontrollort [gewesen], da sie im unmittelbaren Umkreis der Rotlichtszene lag.“8 Etwa 150 Meter nördlich der TW, in der Hafenstraße, befindet sich ein Bordell.

Heilbronner Spitzenbeamte: Theresienwiese kein Brennpunkt der organisierten Kriminalität

Heilbronn bietet optimale Verkehrsanbindungen per A 6, A 81 weiter zur A 8, in alle Himmelsrichtungen. Die Kriminalitätslage wird von der heilbronner Polizei als „normal” bezeichnet. Es fällt nur ein „hoher Anteil an Spätaussiedlern und Ausländern“9 in der Kriminalstatistik auf. Der damalige Chef der heilbronner Kripo Volker Rittenauer betonte in einem Interview: „Selbstverständlich ist das Weinsberger Kreuz ein Drehkreuz nach Osten. Das hat mit Mafia aber nur vielleicht und nur am Rande etwas zu tun. Die sitzen ja gar nicht hier, die fahren vorbei.”10 Die TW sei auch kein Umschlagsplatz von heißen Waren, denn: „Es gibt keinen noch so

geringen Hinweis, dass dort ein Schwerpunkt ist. 150 Meter weiter sitzen unsere OK-Ermittler.” [OK=Organisierte Kriminalität] Am Bahnhof ist die Kriminalpolizeidirektion ansässig.

Für den ab 17. April amtierenden FEG-Leiter Uwe Z. war die TW kein besonderer Ort: Nein, es handelte sich auch nicht um einen Brennpunkt.“11 Es waren ihm auch keine Kontrollen bekannt. Der heilbronner Kriminalpolizist Jörg T. schloss sich an: Die TW wäre nicht stundenlang observiert worden, um festzustellen ob dort Rauschgiftgeschäfte abgewickelt wurden. Den Platz „halte ich vielmehr für den Eigentumsbereich als interessant, aufgrund der Nähe zum Busbahnhof.“12 Frank Huber, erster Soko-Chef, bezeichnete den Ort sogar als einen „Rückzugsraum“ für Bereitschaftspolizisten, auf dem sie ungestört Pause machen konnten.13

Neue Artikelserie über heilbronner Polizistenüberfall http://friedensblick.de/31833/neue-artikelserie-ueber-heilbronner-polizistenueberfall/
Einführung http://friedensblick.de/31840/einfuehrung-der-tiefe-staat-im-mordfall-kiesewetter/
Teil 1 https://friedensblick.de/31849/teil-1-michele-kiesewetter-und-martin-arnold-waren-bei-der-bereitschaftspolizei-boeblingen/
Teil 2 http://friedensblick.de/31864/teil-2-einsaetze-ihrer-beweissicherungs-und-festnahmeeinheit-523-im-tatzeitraum/
Teil 3 http://friedensblick.de/31873/teil-3-die-vorgeschichte-des-polizistenmordes/
Teil 4 http://friedensblick.de/31876/teil-4-der-tatort-theresienwiese-in-heilbronn-umschlagszentrum-des-menschenhandels/
Teil 5 http://friedensblick.de/31884/teil-5-entdeckung-durch-den-radfahrer-peter-s-gegen-1408/
Teil 6 http://friedensblick.de/31889/teil-6-reaktion-der-heilbronner-polizei/
Teil 7 http://friedensblick.de/31899/teil-7-tatrekonstruktion-und-operative-fallanalyse/
Teil 8 http://friedensblick.de/31915/teil-8-welche-einsaetze-fanden-am-tattag-in-heilbronn-und-neckarsulm-statt/
Teil 9 http://friedensblick.de/31923/teil-9-wie-reagierten-die-bereitschaftspolizisten/

1www.openstreetmap.org/copyright

2Bundestag, NSU-UA, 35. Sitzung, 20.10.16, S. 73

3Bundestag, NSU-UA, 35. Sitzung, 20.10.16, S. 74, Wolfgang Binninger: „Einer meiner ersten Untersuchungsausschüsse vor über zehn Jahren war der Visa-Untersuchungsausschuss. Joschka Fischer weiß, was ich meine. Und damals war einer der Haupthinweisgeber oder auch involvierten Personen – ich nenne es jetzt ganz neutral; da ging es ja um Reiseunternehmen, Reisebusse – -Einer der Haupttreffpunkte für Schleusungen in Richtung Ukraine war die Theresienwiese in Heilbronn.“

4O. 49, S. 97, A. a. 26.10.09

5O. 11, S. 86, A. a. 26.04.07

6O. 10, S. 349, A. a. 26.04.07

7O. 11, S. 211, A. a. 06.10.10

8O. 11, S. 98, A. a. 25.11.10

9O. 30, S. 517

10Stimme, „Suchten die Fahnder an der falschen Stelle?“, 01.04.09

11O. 12, S. 115, A. a. 12.10.10

12O. 12, S. 44, A. a. 21.03.11

13Landtag Baden-Württemberg, NSU-UA, 19. Sitzung, 22.05.15, S. 9: , „dieser Raum dort, die Theresienwiese, (…) zur Pause genutzt [worden ist]; er war bekannt bei der Bereitschaftspolizei als Rückzugsraum.“

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