Es geht in der Artikelserie nicht “nur” um die Aufklärung eines Polizistenmordes, sondern darum das Wirken des „tiefen Staat“ aufzuzeigen. Der Ausdruck „tiefer Staat“ umschreibt Macht- und Entscheidungsnetzwerke, die hinter der schönen Fassade von Behörden und Parteien wirken. Die mainstream-Medien berichten darüber nicht, zeigen nicht Interessenskonflikte und Seilschaften auf und hinterfragen nicht „Wem nützt es?“ Stattdessen stellen sie die Existenz des tiefen Staates als “Verschwörungstheorie” dar. Daher haben viele Mitmenschen eine naive Vorstellung von Deutschland: Eine Mafia gäbe es nur in Italien, illegale Absprachen nur in Spielfilmen. Viele können sich nicht vorstellen, dass kriminelle Elemente im Staat Verbrechen begehen, ohne dass sie es in ihrer Zeitung lesen und in der Tagesschau sehen könnten.
Die Medien streiten Hinweise auf die illegalen Strukturen kategorisch ab, in möglichst empörten, herablassenden Tonfall. Kritische Landtagsabgeordnete werden nach Rufmord-Kampagnen vom Partei-Establishment zurückgepfiffen, zum Beispiel Bilkay Öney: „Bereits zuvor hatte Öney mit Äußerungen über die Existenz eines Schattenstaates in Deutschland für Aufregung gesorgt. (…) Sie handelte sich dafür eine Rüge von Kretschmann ein und entschuldigte sich.“1
Was ist meine Motivation?
Ich habe etwas gegen Verbrechen. Es verstößt gegen mein Gerechtigkeitsempfinden, dass der heilbronner Überfall ungesühnt bleiben soll. Es ist infam, wenn Politiker und Medien die Öffentlichkeit vorgauckeln, der Fall wäre auch nur annähernd gelöst. Das Gegenteil ist wahr: Der Täterkreis ist weiter frei.
Fallbeispiel: Ermordung des Vorstandsvorsitzenden der deutschen Bank Alfred Herrhausen
Ende 1989 tötete eine Bombe eine der geschütztesten Personen Deutschlands – Alfred Herrhausen, nachdem er sich für einen Schuldenerlass für die dritte Welt einsetzte. Die linke Bundestagsabgeordnete Martina Renner enthüllte in einem Vortrag, dass der damalige hessische Geheimdienstler Peter Nocken versuchte, der linksterroristischen „Roten Armee Fraktion“ (RAF) die Tat unterzuschieben:
„Es gab eine lange Phase in der die Ermittlungen fruchtlos verliefen, die Medien machten Druck, „Bringt uns endlich mal ein paar Täter“. Die Polizei hatte nicht wirklich eine Idee, aber Herr Nocken hatte dann aber eine Idee. Er erinnerte sich, dass man im Zusammenhang mit der Startbahn-Geschichte einen Spitzel hatte, der zwar mittlerweile abgeschaltet war, aber den hat man reaktiviert. Bei dem Spitzel wusste man zudem, dass er suizidgefährdet ist. Dem Spitzel ist man dann sozusagen nahegetreten, er hat das mit zwei anderen Kollegen zusammengemacht. Er hat gesagt:
„Viel Geld und Du sagst aus, die RAF hat bei Dir übernachtet und in Deinem Keller den Sprengstoff gehabt.“ Dann hat der gesagt: „Njet, mache ich nicht.“ Dann hat man gesagt: „Okay machen wir eine andere Variante: Du kannst auch vom Hochhaus fallen.“ Er war suizidgefährdet, dann war er weich. Man hat ihn zum BKA begleitet, er hat die Aussage gemacht. Er hat Personen belastet. Es hat sich dann erwiesen durch die Spurensuche in seinem Haus, durch Zeugeneinvernahmen von Nachbarn und Angehörigen von ihm, dass das alles hinten und vorne nicht stimmen kann.“2
Nachdem der Skandal aufflog, machte Nocken ausgerechnet beim thüringer Landesamt für Verfassungsschutz Karriere. Er war von 1993 bis 2001 beim dortigen Landesgeheimdienst für die Anwerbung von Informanten zuständig, zuletzt war er sogar stellvertrender Behördenleiter. Martina Renner: „Mit ihm kommt eine ganze Kohorte, die ihn begleiten, quasi ein ganzer Tross aus Hessen, die hatten auch alle Dreck am Stecken. (…) Und das muss man auch wissen, wenn man das erklären will, was passiert ist.“ In der Zeit finanzierte der Geheimdienst den sogenannten „thüringer Heimatschutz“, in dem sich Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe radikalisierten.
Zwischen 1996 und 2003 sollen beim „Heimatschutz“ „zwischen 35 und 45″3 Informanten der Geheimdienste aktiv gewesen sein, jedes vierte Mitglied stand auf der Gehaltsliste des Staates. Die Auschüsse konnten die Klarnamen der meisten Informanten erfahren, das „NSU-Trio“ war nicht dabei. Der „Heimatschutz“-Mitgründer Timo Brandt war ein Informant. Die Polizei führte „35 Ermittlungsverfahren“4 gegen ihn, ohne dass es einmal zu einer rechtskräftigen Verurteilung kam. Die Anwerbungen erfolgten im Rahmen der Geheimoperation „Rennsteig“5 unter Federführung des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Es waren auch das bayerische und thüringer Landesamt für Verfassungsschutz und der Militärische Abschirmdienst (MAD) beteiligt. Es ist ungeklärt, welche Interessen der „Staat hinter dem Staat“ mit dem „Rennsteig“ verfolgte.
Was in Heilbronn passiert wäre
Im Vorfeld gab es im privaten und beruflichen Leben von Michèle Kiesewetter (MK) und Martin Arnold (MA) keine Vorkommnisse, die mit dem Überfall in Verbindung stehen. Es gab am 25. April 2007 einen harmlosen Einsatz namens „sichere City“, für den die böblinger Bereitschaftspolizisten zur Unterstützung der Streifenpolizei um 08:30 nach Heilbronn entsandt wurden.
Am Tattag parkte MK zweimal ihren BMW-Streifenwagen auf dem Festplatz Theresienwiese (TW), direkt neben einem Trafohaus. Der Grund war, dass sie im Schatten Pause machen konnten. Während ihrer zweiten Pause um 14:00 traten unvermittelt Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos an den geparkten Streifenwagen heran. Sie schossen den im Auto sitzenden MK und MA in die Köpfe. Anschließend raubten sie die Dienstwaffen sowie verschiedene Ausrüstungsgegenstände und flüchteten mit einem angemieteten Wohnmobil aus Heilbronn. Das rechtsterroristische Tatmotiv war, sich Polizeiwaffen als Trophäen zuzulegen, und ihren Hass gegen Polizisten auszuleben. Der Tatort und die Opfer hatten für die Täter keine besondere Bedeutung. Es war eine geplante Zufallstat.6 Der heilbronner Staatsanwalt Christoph Meyer-Manoras fasste die Version des Generalbundesanwaltes zusammen: Böhnhardt und Mundlos wären „an der Theresienwiese vorbeigeradelt, [hätten] das Polizeifahrzeug gesehen und die aus ihrer Sicht bestehende Chance, den ihnen verhassten Staat direkt anzugreifen, unverzüglich umgesetzt“7.
Alternative Darstellung
Meine Hypothese lautet: Die Opfer waren gegen die überregional tätige Russen-Mafia eingesetzt gewesen: Kiesewetter war eine Scheinankäuferin. Arnold war bei Observationen beteiligt, und tätigte Übersetzungen von russisch ins deutsche. Aufgrund ihrer Ermittlungen wurden Drogenhändler festgenommen. Der Täterkreis enttarnte Kiesewetter und bestrafte beide stellvertretend für alle am Einsatz beteiligten Bereitschaftspolizisten. Die Racheaktion fand ausgerechnet während eines geheimen Sondereinsatzes am Trafohaus statt. Es kam am 25. April zur Überschneidung von zwei verschiedene Handlungssträngen, die sich parallel in Heilbronn abspielten.
Zuerst möchte ich aber darstellen, in welchen Punkten ich mit der offiziellen Darstellung übereinstimme.
Unbestrittene Fakten zum Polizistenmord, Zeitabschnitt 13:30 – 14:00
-
Kiesewetter fuhr auf die Theresienwiese und parkte
MK fuhr gegen 13:30 vom Polizeirevier zur TW und parkte gegen 13:50 im nord-westlichen Bereich ihren BMW-Streifenwagen. Bei einem BMW-Streifenwagen, der neben dem Trafohaus geparkt war, wurden MK und MA in die Köpfe geschossen. Die Schüsse ereigneten sich um 13:58.8
MK traf ein Projektil aus der Pistole „Radom“, Mod. VIS 35, Kaliber 9 mm Luger. Während des zweiten Weltkrieges nutzten deutsche Soldaten diese Handfeuerwaffe. Die ausgeworfene Hülse befand sich im Heckbereich des Autos.9 MA traf ein Projektil aus der Pistole Tokarev, Modell TT 33, Kaliber 7,62 mm. Die Hülse lag 3-4 Meter vor der Motorhaube.10 Das Magazin „stern“ berichtete Mitte September 2010 von einer „Mafia-Islamisten-Verbindung“. Anhaltspunkte waren u. a., dass russische Schusswaffen des Typs Tokarev von „Gotteskriegern“11 in Tschetschenien eingesetzt werden, und dass Mitglieder der islamistischen „Sauerland-Gruppe“ ausgesagten, „dass sie im Terrorcamp an der Tokarev (…) ausgebildet worden seien.”
-
Keine Todessicherung, Täter lagerten Opfer um
Die Täter wollten nicht sicherstellen, dass die Opfer sterben müssen. Daher schossen sie nicht ein zweites oder drittes Mal. Gleichzeitig flüchteten sie nach dem Angriff nicht sofort, sondern lagerten minutenlang die Opfer um. Das Motiv war, laut der Soko, die Dienstwaffen und Ausrüstung zu rauben. Dabei mussten die Angreifer die Opfer gepackt, umgedreht und sich mit ihrem Blut verschmiert haben.
-
Keine (unbeteiligte) Augenzeugen vom Überfall, Umlagerung und Raub
Als der heilbronner Revierleiter Andreas M. zum Tatort kam, herrschte eine ungewöhnliche Atmosphäre: Er traf dort lediglich auf die Streife, die als erstes um 14:22 am Trafohaus ankam. Nicht nur diese Streifenbesatzung, bestehend aus Joachim T. und Kerstin K., hätte niemanden am Tatort gesehen. Es gab keine Tatzeugen – „das kann doch überhaupt nicht sein. Aber an dem Tag war es einfach so.“12 Der Vorsitzende des bw UA Wolfgang Drexler wies den Fallanalytiker des bw LKA Andreas T. auf die fehlenden Zeugen hin: „(…) weder auf dem Fahrradweg noch auf der Brücke, noch hat jemand runtergeschaut von der Eisenbahn runter in diesem Stellwerk, nichts gab es.“13 Er wusste auch keine Antwort.14
Die Stimmung am Tatort schilderte der heilbronner Journalist Helmut Buchholz, als er neben dem Streifenwagen mit der Leiche Kiesewetters stand: „Es ist ein öffentlicher Platz. Hier parken Autos von den Berufsschülern. Hier führt ein Fahrradweg vorbei. Der Zug fährt vorbei. Dahinten ist das Stellwerk von der Bahn. Dahinten wurde das Maifest aufgebaut. Man hörte noch dieses Klopfen von Hämmern und anderen Werkzeug. Also es war hier Publikum en mass da. Und das Ganze kam schon fast vor wie eine Bühne. Also wie so ein Servierteller.“15
Es hörten allerdings einige Personen zwischen einem und drei Schüsse. Zum Teil wird angegeben, dass während des Schusses ein vorbeifahrender Zug laute Geräusche verursachte, und dass es zu einem Echo gekommen sein könnte.16 Außerdem sahen Zeugen Männer, zum Teil blutverschmiert, von der TW wegrennen.
Der Stadtplan zeigt das geografische Umfeld des Tatortes:
Quelle: © OpenStreetMap-Mitwirkende17
Neue Artikelserie über heilbronner Polizistenüberfall | http://friedensblick.de/31833/neue-artikelserie-ueber-heilbronner-polizistenueberfall/ |
Einführung | http://friedensblick.de/31840/einfuehrung-der-tiefe-staat-im-mordfall-kiesewetter/ |
Teil 1 | https://friedensblick.de/31849/teil-1-michele-kiesewetter-und-martin-arnold-waren-bei-der-bereitschaftspolizei-boeblingen/ |
Teil 2 | http://friedensblick.de/31864/teil-2-einsaetze-ihrer-beweissicherungs-und-festnahmeeinheit-523-im-tatzeitraum/ |
Teil 3 | http://friedensblick.de/31873/teil-3-die-vorgeschichte-des-polizistenmordes/ |
Teil 4 | http://friedensblick.de/31876/teil-4-der-tatort-theresienwiese-in-heilbronn-umschlagszentrum-des-menschenhandels/ |
Teil 5 | http://friedensblick.de/31884/teil-5-entdeckung-durch-den-radfahrer-peter-s-gegen-1408/ |
Teil 6 | http://friedensblick.de/31889/teil-6-reaktion-der-heilbronner-polizei/ |
Teil 7 | http://friedensblick.de/31899/teil-7-tatrekonstruktion-und-operative-fallanalyse/ |
Teil 8 | http://friedensblick.de/31915/teil-8-welche-einsaetze-fanden-am-tattag-in-heilbronn-und-neckarsulm-statt/ |
Teil 9 | http://friedensblick.de/31923/teil-9-wie-reagierten-die-bereitschaftspolizisten/ |
1Stuttgarter Zeitung, „FDP fordert Rücktritt von Bilkey Öney”, 11. Juni 2012
2Youtube, Martina Renner, „openmind 2014“ Kassel, https://www.youtube.com/watch?v=EHPp309wko8#t=1055
3SPIEGEL, “Spitzel bespitzelt Spitzel”, 04.09.12, https://www.spiegel.de/panorama/nsu-40-v-leute-im-thueringer-heimatschutz-a-853927.html
4Nsu-watch, V-Mann-Porträt: Tino Brandt, 11.02.15, https://www.nsu-watch.info/2015/02/v-mann-portraet-tino-brandt/
5„Rennsteig“ ist der Name einen Wanderweges, der an Eisenach vorbeigeht.
6Landtag Baden-Württemberg, Untersuchungsausschuss (UA), 25. Sitzung, 24.07.15, Wortprotokoll, S. 58. Aussage von Staatsanwalt Meyer-Manoras: „Die bekannten Fakten sprechen in einer Gesamtschau für eine Zufallstat, die allerdings bereits einige Zeit vorher geplant war.“
7Landtag Baden-Württemberg, UA, 25. Sitzung, 24.07.15, S. 33
8Ein Zeuge, der Schüsse hörte, schaute in dem Moment auf seine Funkuhr.
9Vgl. Ordner (O.), Seite (S.) 133
10O. 1, S. 132
11Stern, „Die mysteriöse Mafia-Islamisten-Verbindung“, 13. September 2010, https://www.stern.de/panorama/stern-crime/heilbronner-polizistenmord-die-mysterioese-mafia-islamisten-verbindung-3885424.html
12Landtag Baden-Württemberg, NSU-UA, 7. Sitzung, 07.12.15, Wortprotokoll, S. 174: „Das war also unser erster Kontakt auch, und da war niemand. Es war zu diesem Zeitpunkt, in diesem Zeitfenster, als diese Tat passiert sein muss dann bis zum Meldungseingang, da wirklich niemand. Da waren keine Fußgänger unterwegs, da waren keine Radfahrer unterwegs, wie man vermeintlich hätte annehmen können oder annehmen müssen, wenn man sich sagt: Mensch, das ist ein belebter Ort; das kann doch überhaupt nicht sein. Aber an dem Tag war es einfach so.“
13Landtag, Baden Württemberg, NSU-UA, 32. Sitzung, 30.10.15, K S. 92
14Ebd., (…) die Schussabgabe und dieser Raub an den Polizeibeamten, dass das eher keiner gesehen hat, das – – weil sonst, dass man sich da nicht meldet – – Das ist wahrscheinlich.“
15ARD, „Tod einer Polizistin, Das kurze Leben der Michèle Kiesewetter“, 24.04.17, Zeitindex: 07:16
16O. 1, S. 245: „Ihnen sei ein Zug aufgefallen, der zu dieser Zeit gerade die Brücke passiert und an den Zeugen vorbeigefahren sein soll.“
17www.openstreetmap.org/copyright