Archiv der Kategorie: Tiefer Staat am Beispiel NSU

Kein Strafprozess gegen den „Peter Urbach“ des NSU

1996 kam Thomas Starke aus dem Knast und wurde – nur für drei Monate? – zu Zschäpes Lover.

1997 soll er dem Trio mehr als 1 Kilo TNT-Sprengstoff beschafft haben, dessen Zweck und Verbleib unklar ist. Denn eine drohende Haftbefehl-Vollstreckung gegen Böhnhardt veranlasste das Trio zum Wechsel in den Untergrund. Dass die drei im Untergrund blieben, könnte mit diesem TNT zusammenhängen, denn Spuren davon fand die Polizei 1998 in der Garage, die Zschäpe am alten Wohnort Jena ausgerechnet von einem Polizisten angemietet hatte.

Starke selber, ein führender Blood-and-Honor-Mann in Sachsen, hatte keine Notwendigkeit, in den Untergrund zu gehen, sondern half den drei untergetauchten Thüringern, Unterschlupf in seinem Chemnitzer Umfeld zu finden. Seine waffen-affinen Leute hätten das Trio auf kurzem Wege und vor allem unauffällig mit den angeblich so begehrten Waffen versorgen können – aus vorhandenen Beständen.

Dagegen musste der in Thüringen zurückgebliebene angebliche Ceska-Beschaffer Ralf Wohlleben auf dem Weg nach Sachsen zwar keine bewachte Landesgrenze überwinden, aber als NPD-Politiker in Thüringen fühlte er sich (wohl zu Recht) bereits mehr als genug überwacht und hatte daher gute Gründe, nicht noch weitere Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Zumal er ja (anders als Starkes Leute) nicht über Bestände verfügte, sondern alles was er u.U. liefern wollte, sich selber erst mal riskant hätte beschaffen müssen.

Obwohl Starke also ein ganz wichtiger Helfer war, lebte er nicht im Untergrund und festgenommen wurde er erst im November 2000 – nicht als NSU-Helfer und nicht als Mitglied der kriminellen bzw. terroristischen Vereinigung Blood & Honour, sondern im Zuge der Ermittlungen gegen die Berliner Neonazi-Band „Landser“. Vorgeworfen wurden ihm keine Gewalttaten oder Verstöße gegen Waffen- und Sprengstoff-Recht, sondern Volksverhetzung aufgrund seiner Beteiligung an der Produktion des Albums „Ran an den Feind“.

Nach dem Auffliegen des NSU erfuhr man, dass Thomas Starke ab 2000 „Vertrauensperson“ (VP) des Berliner Landeskriminalamts (LKA) war, letztlich fast die ganze Zeit bis zum bitteren Ende 2011. Nach und nach kam heraus, dass er 2001 schon als „langjähriger Vertrauensmann“ der Schlapphüte galt und sogar bereits in der DDR in den 80er Jahren für die Stasi Fussballfans ausspioniert hatte und vielleicht 1990 von den neuen Herren einfach nur übernommen werden musste, [1], [ 2] .

Ob er in der kritischen Zeit seiner TNT-Lieferung wirklich nicht im Sold der Dienste stand (was jenen aus PR-Gründen sehr gelegen käme), ist sehr zweifelhaft. Wenn (gemäß des offiziellen Narrativs) das Trio aber zusammenblieb bis 2011 und die Uwes ab 2002 mit Zschäpes Wissen und Mitwirken mordeten, dann müsste Starke dies mitbekommen haben.

Denn nicht nur seine Spitzel-Tätigkeit dauerte fast bis zur NSU-Enttarnung – man fand in Zschäpes letzter Wohnung DNA-Spuren eines Starke-Abkömmlings:
„In der Frühlingsstraße wurde eine DNA-Spur gefunden, die zunächst einem Kind Starkes zugeordnet wurde. Auf dieser Grundlage wurde Starke befragt, allerdings stellte sich später heraus, dass es sich um das DNA-Material einen Mitarbeiters des BKAs handelte, der das Asservat verunreinigt hatte“, [3].

Verunreinigungen durch Spurennehmer kommen schon mal vor, aber dass deren DNA zum Verwechseln ähnlich ist der DNA einer völlig anderen Person, die sich aber durchaus in der Wohnung der Spuren-Entnahme aufgehalten haben könnte – das ist doch arg viel des „Zufalls“. Oder war ein Starke-Abkömmling 2011 schon im berufstätigen Alter und bei der Polizei eingestellt worden?

Wie Tino Brandt, der Gründer, Leiter und ideologische Einpeitscher des „Thüringer Heimatschutzes“, ist Starke also deutlich mehr gewesen sein als ein bloßer Mit-Läufer und bezahlter Mit-Horcher. Zum Beispiel ein agent provocateur,  ein in den USA völlig normaler Tat-Provozierer, dessen Einsatz bei uns eigentlich illegal wäre.

„Eigentlich“: Immer mehr kommen bei uns verdeckte Ermittler zum Einsatz, die z.B. einen Dealer nur auf frischer Tat überführen können.  Bei einem „Gelegenheits-Dealer“ wird es grenzwertig, aber bei eingefleischten Serien-Dealern ist die Rechtsprechung bereit, statt einer verbotenen Tat-Provozierung eine bloße „Verschaffung einer Tatgelegenheit“ zu sehen, bei der nicht zu befürchten ist, ein noch unentschlossener Tat-Kandidat sei erst und nur durch den Ermittler ernsthaft in Versuchung und zur Tat gebracht worden – sprich: er wäre ohne diese Versuchung rechtstreu geblieben, [4].

Brandt und Starke sind nach diesen Maßstäben eindeutige Anstifter, Tatprovozierer. Dass sie dies mit Wissen und sogar mit Willen ihrer staatlichen Auftraggeber taten, ist höchst wahrscheinlich, wird vom Staatsapparat aber weder zugegeben noch ernsthaft untersucht.

Den ersten großen berühmt-berüchtigten Fall eines staatlich eingeschleusten V-Manns und Anstifters gab es Ende der 60er Jahre bei der RAF:
Der RAF-Forscher Wolfgang Kraushaar bezeichnete Peter Urbach als das beste Beispiel für einen geheimdienstlichen Einfluss auf die linksradikale Szene. Es gebe immer noch keine Stellungnahmen der damals beteiligten staatlichen Stellen, und die Öffentlichkeit werde in dieser Angelegenheit wie in einer Reihe vergleichbarer Fälle „einfach hängengelassen“, [5].

Ein „Hängenlassen“ der Öffentlichkeit war im Falle von Starke schon früh im überlangen Prozess absehbar gewesen: So wie Temme (trotz kurzzeitiger Haft nach der Bluttat von Kassel, trotz unaufgeklärter Merkwürdigkeiten) im Prozess ab 2013 vom Gericht durchgehend nur als Zeuge behandelt wurde, so war klar, dass die Bundesanwaltschaft Leute wie Starke „erst in einem zweiten Prozess anklagen“ wollten, damit ihnen im „ersten“ Prozess ein Aussageverweigungsrecht zusteht.
Und ob es zu diesem zweiten Prozess überhaupt kommen würde, erschien umso unwahrscheinlicher, je länger der erste andauerte.

Die Münchener Urteile verstärkten den Eindruck: Wohlleben bekam 10 Jahre für die sehr auf sehr dünnen Beweis-Beinchen stehende Ceska-Beschaffung, obwohl die Öffentlichkeit nicht erfuhr, wie lange und wie intensiv er nach dem Untertauchen der drei überhaupt noch Kontakt hatte und über Mord- oder sonstige Pläne sichere Infos bekam. Der mitangeklagte Holger Gerlach unterstützte das Trio dagegen bis zum Schluss – hatte also rund 10 Jahre länger intensiven Kontakt, also die ganze Zeit der Morde über!
Und obwohl er kein hilfsbereiter Naivling war, sondern die braune Gesinnung der Uwes teilte und seine Unterstützung auch Waffenbeschaffung umfasste, obwohl er vor Gericht statt reinen Tisch nur eine heikle Teilaussage ablieferte, kam Holger Gerlach mit nur drei Jahren davon.

Hart bestraft wurden also nur zwei Angeklagte:

  • die kinderliebe Katzenfrau Zschäpe, die nach Meinung der Uwes und der anderen „harten Männer“ nichts von der Ceska-Anlieferung mitbekommen sollte;
    .
  • Ralf Wohlleben, der in Sachen Ceska-Beschaffung vom eigentlichen Ausführungs-Täter Carsten Schultze mit dubiosen (aber medial unverständlicherweise bejubelten) Aussagen zum allein bestimmenden Anstiftungs-Täter aufgebauscht wurde

Die übrigen kamen sehr schonend davon bzw. scheinen eine Art Bonus bekommen zu haben …

Ein Jahr, nachdem die Revisionen von Zschäpe und Wohlleben vor dem BGH gescheitert und ihre Strafen dadurch rechtskräftig geworden waren, wurde dann Im September 2022 die Katze aus dem Sack gelassen:

„Eingestellt wurden die Verfahren von Thomas St. (heute Thomas M.), Jan W., Max-Florian B., Matthias D. und Mandy St.“, [6].

Die im Gegensatz z.B zu Italien gegenüber der Regierung weisungsgebundene Bundesanwaltschaft wagt den NSU-Schlussstrich, betitelt Thomas Moser seinen Aufsatz.

[1] https://friedensblick.de/8212/nsu-tnt-lieferant-starke-war-langjaehriger-vertrauensmann/

[2] https://www.spiegel.de/panorama/nsu-in-chemnitz-radikalisierung-in-sachsen-a-873908.html

[3] https://www.nsu-watch.info/2014/08/protokoll-133-verhandlungstag-31-juli-2014/

[4] https://kripoz.de/2022/03/31/unzulaessige-tatprovokation-durch-staatliche-ermittler-voraussetzungen-und-folgen/

[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Urbach

[6] https://overton-magazin.de/krass-konkret/die-bundesanwaltschaft-wagt-den-nsu-schlussstrich

Erschoss heilbronner Polizistenmörder das Opfer kniend?

Am 25. April 2007 schossen Unbekannte zwei böblinger Bereitschaftspolizisten in Heilbronn in die Köpfe. Die Polizistin Kiesewetter starb, ihr Kollege Arnold überlebte. Der Angriff wird heute dem „National-Sozialistischen-Untergrund“ (NSU) zugeschrieben und als „heilbronner Polizistenüberfall“ bezeichnet. Nach meiner Recherche sollte das Verbrechen eher in „Polizisten-Hinrichtung“ umbenannt werden. Erschoss heilbronner Polizistenmörder das Opfer kniend? weiterlesen

Täterprofil – das verbindet alle “NSU-Morde”

  • Selber Täterkreis: Ceska-Mordserie und heilbronner Polizistenüberfall

Kiesewetters Onkel Mike W. schloss 2007 unter anderem aus dem „skrupellosen Vorgehen“ der Täter, dass der Hintergrund des Polizistenmordes organisierte Kriminalität gewesen sein könnte, „im Bereich russisch oder georgisch“. Es könnte ein „Zusammenhang mit den den bundesweiten Türkenmorden“ bestehen. „Ein Kollege von der KI 1 hat mich nur angesprochen, dass ein Zusammenhang bestehen könnte.“1 Ende 2011 wurde bekannt, dass der „Kollege von der KI 1“ Uwe M. gewesen sein soll. Der thüringer Untersuchungsausschuss (UA) vernahm Uwe M. und Mike W. am 06. März 2014. Dabei traten unlösbare Widersprüche auf: Beispielsweise hätte laut Uwe M. ihr Gespräch nicht „so nah nach dieser Tötung stattgefunden (…), glaube ich persönlich gar nicht, sondern ich denke, da war eine ganze Zeit vergangen.“2 Es ist ungeklärt, vom wem W. die Informationen erhielt. Laut des Journalisten Thomas Moser wäre für Mike W. der Polizistenüberfall bis heute nicht aufklärt. Er würde sich die Frage stellen: Warum kann der Staat einen Polizistenmord nicht aufklären?” Und die Antwort, die sich der Onkel des Opfers zurechtgelegt habe, ist gleichfalls eine Frage: “Wird der Mord vielleicht nicht aufgeklärt, weil der Staat beteiligt war?”3 Täterprofil – das verbindet alle “NSU-Morde” weiterlesen

Neue Erkenntnisse im Fall der erschossenen Polizistin Kiesewetter

Am 25. April 2007 schossen Unbekannte zwei jungen Bereitschaftspolizisten in die Köpfe, am hellichten Tag, mitten in Heilbronn, auf dem belebten Festplatz namens Theresienwiese (TH). Der Tatort war ein Kombi-Streifenwagen der Marke BMW, der neben einem Trafohaus geparkt war. Martin Arnold überlebte, dank einer Kopfbewegung traf das Projektil nicht sein Stammhirn, Michele Kiesewetter (MK) war sofort tot. Danach beraubten die Polizistenmörder die Opfer und lagerten sie am Tatort um. Dabei verschmierten sie sich mit Blut. Bei den Tätern handelte es sich nicht um Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, dies ergab mein Studium der Ermittlungsakten. Neue Erkenntnisse im Fall der erschossenen Polizistin Kiesewetter weiterlesen

Schneeberg – die gesuchte Verbindung der “NSU-Verbrechen”?

Ende Oktober 2021 fragte der Journalist Thomas Moser “Wo ist die Verbindung?” zwischen der Ceska-Mordserie und dem heilbronner Polizistenüberfall. Er spekuliert, dass der Hintergrund des Mordes an der Polizistin Michèle Kiesewetter auch organisierte Kriminalität gewesen sein könnte. Dementsprechende Spuren stellte ich 2016 in einem Artikel vor. Jetzt präsentiere ich neue Erkenntnisse, die ich aus meinem Studium der Ermittlungsakten und Vernehmungsprotokollen gewonnen habe.

Die Ermittlungsakten der Sonderkommission (Soko) “Parkplatz” geben von einem Zeugen Auskunft, der die Ermittlungsrichtung “organisierte Kriminalität” stützte. Durch den Aussteiger kommen geografische Überschneidungen zwischen der persönlichen Umgebung des sogenannten “NSU-Trios” und der organisierten Kriminalität in Heilbronn zu Tage. Es geht um die Kleinstadt Schneeberg im Erzgebirge, Sachsen. Der Geheimdienstagent Temme gab sich ausgerechnet als ein “Jörg Schneeberg” aus, währenddessen sich ein Ceska-Mord ereignete. Mein Artikel macht diese Überschneidungen und kaum möglichen Zufälle deutlich. Ich veröffentliche einen Auszug aus meinem Enthüllungsbuch “Mordfall Kiesewetter”. Schneeberg – die gesuchte Verbindung der “NSU-Verbrechen”? weiterlesen

Polizistenmorde von Kusel und Heilbronn

Die Polizistenmorde von Kusel stehen offenbar im engen Zusammenhang mit einer Kontrolle, siehe Pressekonferenz: Die Polizisten kontrollierten Wilderer, die daraufhin den Beamten in die Köpfe schossen, um nicht verhaftet zu werden. Es handelt sich hier um ein wenig glaubhaftes Motiv. Ich vermute, dass eine zusätzliche Tatmotivation vorliegt. Das Vorgehen der Täter erscheint mir bei der Tatausführung professionell und skrupellos. Offenbar nahmen sie die Polizisten eine längere Zeit unter Beschuss, ohne selbst getroffen zu werden. Die Spurensicherung fand andererseits den Ausweis und Führerschein eines der Tatverdächtigen am Tatort.

Der heilbronner Mord an Michele Kiesewetter (MK) vom 25. April 2007 wird dagegen nicht mit einer Kontrolle erklärt, auch nicht mit der Polizeiaktion „Blizzard“ gegen die örtliche Drogenmafia. Die schnelle Festnahme der (mutmaßlichen) Mörder von Kusel und ihre mediale Präsentation steht im Kontrast zum heilbronner Polizistenüberfall. Hier kam es gleichfalls zu frühzeitigen Festnahmen, aber die Polizei ließ die beiden Männer noch am selben Tag laufen. War die damalige Entscheidung berechtigt? Was steht in den Ermittlungsordnern der Sonderkomission (Soko)?
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Teil 4) Sicherten neckarsulmer Polizisten die Dienstwaffen der überfallenen Kollegen Kiesewetter und Arnold?

 

Bei Einsatzbeginn rüsteten sich die Bereitschaftspolizisten aus. In ihrer Kaserne gab es ein abgeschlossenes Waffenfach, über welches die Polizisten die Schlüsselgewalt hatten. Dort befand sich die gesamte Ausrüstung, die in die Holster und Taschen der Gürtel gesteckt wurde: Dienstwaffe, Ersatzmagazin, Taschenlampe, Reizstoffsprühgerät, schnittfeste Handschuhe, Handschließe und Multifunktions-Taschenmesser.

Auffindesituation der Taschen und Holster

Als Arnold gegen 14:45 Uhr in den Rettungshubschrauber gelegt wurde, wurden der heilbronner Polizistin Kerstin K. seine Ausrüstungsteile übergeben. Als Zeugin in NSU-Prozess sagte Kerstin K., dass sie erst in diesem Moment merkte, dass Arnolds Dienstwaffe fehlte.1 Joachim T. notierte in seiner Anzeige vom 25. April, dass sie drei von Arnolds Ausrüstungsgegenstände „gegen 15:15“2 an die Kripo Heilbronn übergaben: „Pfefferspray, Schließe und Taschenlampe“. Im ludwigsburger Krankenhaus stellten Ermittler fest, dass alle Gürteltaschen von Arnolds Gürtel leer waren, bis auf die Handschuhe. Bei Kiesewetter waren sämtliche Taschen leer.

Durchsuchung der Waffenfächer in böblinger Kaserne

Am 26. April schickte die Bepo an die Soko-alt eine „Ausrüstungsliste des Fahrzeugs und der Beamten“. Ein Abgleich mit der aufgefundenen Ausrüstung ergab die „Fehlbestände“. Bei Kiesewetter ging ab: Dienstwaffe, Ersatzmagazin, Taschenmesser, Taschenlampe und Handschließe. Bei Arnold: Dienstwaffe. Die Gegenstände wurden, bis auf das Ersatzmagazin, zur Fahndung ausgeschrieben. Sie konnten durch angebrachte Nummern identifiziert werden.

Als Ermittler der Soko-alt am 29. April die Waffenfächer durchsuchten, fanden sie nur ein leeres Ersatzmagazin im Fach Arnolds. Das Vorhängerschloss zum Fach Kiesewetters war unbeschädigt, das Schloss Arnolds aufgebrochen. Dies wäre veranlasst worden, um „feststellen zu können, welche Ausrüstungsgegenstände möglicherweise fehlen.“3 Soko-Ermittler fassten am 30. April zusammen, welche der „dienstlich, persönlich zugeteilten Gegenstände“4 noch vorhanden waren Dies erfolgte indem, die „nicht aufgefundenen und dienstlich zugeteilten Gegenstände“ miteinander verglichen wurden.

Ungereimtheiten

  • Der heilbronner Polizist Joachim T. schrieb am 25. April, dass die Dienstwaffen der Opfer abgehen würden, „sowie die Schließe der Kollegin.“ In seiner Befragung Ende 2010 bestätigte der Kripo-Beamte Jörg T., dass bereits am Nachmittag die Dienstwaffen als „entwendet“ galten. Aber warum verbreitete sich diese Nachricht nicht im Kollegenkreis, nicht einmal im heilbronner Führungs- und Lagezentrum (FLZ)?5 Beispielsweise wurde dort lediglich protokolliert, dass Kripo-Chef Volker Rittenauer „die Absuche des Tatorts nach Tatwerkzeugen oder verdächtigen Gegenständen“ anordnete. Eine Suche nach geraubter Ausrüstung wurde im Einsatzprotokoll nirgends erwähnt. Ein explizit dazu befragter Bereitschaftspolizist wusste nichts vom Abgehen der Ausrüstungsteile, während er am Bahnhof Personenkontrollen durchführte.6

  • Arnolds dienstliches Taschenmesser befand sich unter den Ausrüstungsgegenständen, die am 30. April „bei der Bereitschaftspolizei Böblingen (…) festgestellt“ wurden. Das würde heißen, dass er das Messer nicht mit zum Einsatz nahm. Am 03. März 2008 teilte Arnold mit, dass er sein privat erworbenes, identisches Taschenmesser vermisst. Er hätte es am Tattag mitgeführt. Das Messer galt seitdem als entwendet. Da es keine Individualnummer hatte, wurde es nicht zur Fahndung ausgeschrieben. Arnold nahm offenbar gleichfalls nicht sein Ersatzmagazin mit, da es leer in seinem Fach gefunden wurde.

  • Kiesewetters dienstliche Handschuhe waren weder in der dazugehörigen Gürtelschnalle, noch lagen sie im Waffenfach der böblinger Kaserne. Trotzdem galten sie nicht als entwendet. Ab 2010 suchte die Soko-neu nach ihnen, bis sie schließlich Mitte 2011 bei Onkel Mike W. auftauchten, der die Wohnungseinrichtung seiner Nichte bei sich lagerte. Daher war klar, dass MK die Handschuhe „nicht am Tattag mitgeführt“7 hatte, sondern in ihrer Wohnung lagen. Woher wusste die Soko-alt, dass die Handschuhe nicht entwendet wurden?

  • Obwohl ihr dienstliches Taschenmesser ebenfalls nirgends gefunden werden konnte, galt es am 30. April als „bislang nicht aufgefunden“8. Dann wurde es doch zur Fahndung ausgeschrieben. Am 25. Mai schickte der LKA-Ermittler Mathias F. der Soko eine email. Darin informiert er, dass das Taschenmesser „zurückgegeben wurde“9. Er wies darauf hin, dass nach dem Messer gefahndet wird, obwohl es sich im Besitz der Bepo ist.

Auflösung der Ungereimtheiten

Galten die fehlenden Ausrüstungsteile am Tattag nicht als entwendet, weil die Ersthelfer die Ausrüstung während der ersten Hilfe sicherten? Der Grund für die Entnahme könnte gewesen sein, dass die Opfer handlungsunfähig waren, und die Gefahr bestand, dass etwa die Waffen abhanden kommen. Diese Sicherung der Ausrüstung könnte vorgenommen worden sein, als Ersthelfer die Opfer in Schocklage verbrachten. Die Entnahme von den Gürteltaschen diente dazu, die Opfer bequem auf dem Boden hinzulegen.

Dann wäre die Ausrüstung nicht im Besitz der Polizistenmörder gewesen, sondern Besitz der neckarsulmer Polizisten. Für ihre frühe Anwesenheit am Tatort gibt es jedoch im Rahmen der offiziellen Darstellung keine plausible Erklärung. Bei ihnen handelt es sich zudem um wichtige Zeugen. Mussten deshalb (nachträglich) Ausrüstungsteile als geraubt deklariert werden, obwohl sie der Soko-alt vorlagen?

Zeigen Phantombilder zum Teil Zivilpolizisten?

Waren folgende zwei neckarsulmer Polizisten für die zweite Umlagerung und die Sicherung der Ausrüstung verantwortlich? Steffen B. und Jörg H.? Haben sie sich mit Blut verschmiert? Dafür gibt es Hinweise: Marcus G. (BFE 522) erinnerte das Phantombild „Libi 2407“ an Steffen B.!10 Noch am Tattag gab es einen polizeiinternen Hinweis auf Jörg H.. Er „war als erster am Tatort und leistete Erste Hilfe. Er wurde blutverschmiert gesehen, Betreuung wird angeregt (20.10 Uhr).“11

Die neckarsulmer Polizisten Steffen B. und Daniela B. fuhren wegen Kontrollen ausgerechnet zum Wertwiesenpark, wo Zeugen blutverschmierte Männer und einen beigen Mercedes sahen. Steffen B. schwächte allerdings diese Darstellung: „Ich wüsste nicht einmal mehr, ob Wir überhaupt jemanden kontrolliert haben. Wenn ich jemanden kontrolliert hätte, dann hätte ich das ganz sicher aufgeschrieben.“

Die TEZ-Zivilpolizisten Janette R., Cecille R. und Matthias G. hielten sich gleichfalls im Wertwiesenpark auf. Als Janette R. auf die Zeugenaussagen angesprochen wurde, antwortete sie: „Wir waren zu dem Zeitpunkt zu dritt. Zwei Frauen und ein Mann. Wir haben damals nicht russisch miteinander gesprochen und von uns hat sich auch keiner die Hände im Fluß gewaschen.” 12

1NSU-watch, 75. Verhandlungstag, 16.01.14, https://www.nsu-watch.info/2014/01/protokoll-75-verhandlungstag-16-1-2014/

2O. 2, S. 488, Anzeige vom 25. April 2007

3O. 8, S. 172, Bericht vom 30.04.07

4O. 32, S. 407, Vermerk vom 30.04.07

5O. 2, S. 502, Protokollierung von Einsatzmaßnahmen im Führungs- und Lagezentrum

6Vgl. O. 11, S. 265, Aussage von Jochen R. (BFE 522): „Wusstet ihr zu diesem Zeitpunkt bereits, dass den Opfern Einsatzgegenstände entwendet wurden? Antwort: Nein.“

7O. 6, S. 339, Vermerk vom 11.08.11

8O. 32, S. 407, Vermerk vom 30.04.07

9O. 6, S. 19, email vom 25.05.07

10Vgl. O. 10, S. 92, A. a. 06.10.10: „(…) an den Drogensachbearbeiter des Prev Neckarsulm im Jahre 2007. (…) Ich glaube, der Kollege heißt B., aber genau kann ich es nicht sagen.“

11O. 2, S. 506, Nachträgliche Protokollierung von Einsatzmaßnahmen im Führungs und Lagezentrum, 25.04.07

12O. 11, S. 229, A. a. 13.10.10

Teil 3) Alternativer Ablauf wirft neue Fragen auf

 

Der alternative Ablauf wirft folgende Frage auf:

  • Welcher Kollege benachrichtigte die neckarsulmer Polizisten Steffen B. und Daniela B. über den Polizistenüberfall? Welche Polizisten standen mit einem zweiten BMW-Streifenwagen an der Zufahrt, als die neckarsulmer Polizisten dort eintrafen und zum Tatort weiterfuhren?
  • Warum sahen die Zeugen Jörg H. und Kerstin K. nicht?

Quelle: © OpenStreetMap-Mitwirkende1

Weder der Taxifahrer Ralf D. noch Hermina Z. erwähnen, dass vor ihrem Eintreffen bereits eine Streife am Tatort anwesend war. Sahen sie deshalb nicht Jörg H. und Kerstin K., weil sie sich kniend auf der Beifahrerseite um Arnold kümmerten? Zeitindex 14:15 Uhr.

  • Widersprüche in den Aussagen der Erstfinder Jamil-Ahmad C. und Peter S.

Standen beide Männer gemeinsam am Opferfahrzeug, so wie es Jamil-Ahmad C. in einer seiner Vernehmungen auch sagte? Dagegen steht die Aussage von Peter S.: Er hätte sich dem Opferfahrzeug nicht genähert, sondern verblieb auf dem Radweg, genausowenig erwähnte er einen Austausch mit einem Passanten.

  • Widersprüche in den Aussagen der Taxifahrer Ralf D. und Marianne H.

Laut Aussage des Taxifahrers Ralf D. traf er am Trafohaus auf keine anderen Personen, als er dort mit Marianne H. um 14:15 Uhr ankam und den Notruf anrief. Pargat S. sagte dagegen aus, dass sie um 14:10 am Tatort auf ein Taxi stießen und mit dem Taxifahrer kommuniziert hätten. Trotz dieses Widerspruches ordnete die Soko dieses Taxi Ralf D. zu. Der Grund ist die Aussage von Marianne H. vom 03. Mai 2007. Sie sah nach ihrer Ankunft am Tatort „als erstes“2 zwei 16-18 jährige Jugendliche, die vom Radweg her kommend am Trafohaus vorbeigingen. Sie sah die beiden Jugendlichen später an der Zufahrt wieder, als sie die TW wieder verließ. Die Soko-alt ging davon aus, dass sie Devinder und Pargat S. meinte, obwohl die beiden wesentlich älter waren. Als die Soko-alt ihr Fotos der Inder vorgelegt wurden, konnte Marianne H. sie nicht identifizieren!

  • Auf wen trafen Devinder und Pargat S.?

Die Soko-alt kam aufgrund der Aussage von Marianne H. zum Schluss, dass die beiden Inder auf die heilbronner Taxifahrer Ralf D. und Marianne H. trafen. Allerdings hatten Ermittler der Soko-neu Zweifel. Im Spuren-Controlling wurde daher eine „Spurenprüfung“3 vorgeschlagen: Ermittler sollten Devinder und Pargat S. fragen, „ob ihnen ein A-Klasse-Taxi aufgefallen ist.“4 Der Hintergrund war, dass der Taxifahrer Ralf D. um 14:15 mit einem VW-Passat zum Trafohaus fuhr. Nach meiner Hypothese, war der Mercedes-Taxi schon verschwunden, als Ralf D. mit seinem VW-Passat am Tatort ankam.

  • Diente zweite Umlagerung der ersten Hilfe?

Die Polizistenmörder sind nicht identisch mit den Personen, die Martin Arnold (MA) und Michele Kiesewetter (MK) ein zweites Mal umlagerten. Die neckarsulmer Kollegen, die die Opfer zwischen 14:12 und 14:14 aus dem Wagen holten, leisteten erste Hilfe: Danach lagen beide Opfer mit dem Oberkörper auf dem Boden, die Füße erhöht im Auto. Es handelte sich um die sogenannte Schocklage, die bei einer durch Blutverlust verursachten mangelhaften Durchblutung des Gehirns angewandt wird.5 Jörg H. bestätigte, dass ein Kollege Arnolds Beine auf den Fußraum hochlagerte.6

  • Halfen auch die Zivilpolizisten Janette R., Cecille R. und Matthias G.?  Kamen die drei Bereitschaftspolizisten im Gefolge der neckarsulmer Polizisten zum Tatort?

Natascha T. schilderte ihre Wahrnehmung, als sie zur TW kam: „Janette R. hat mit einem anderen Kollegen zusammen Verkehrs-/Personenkontrollen durchgeführt, zwei Beamte der BFE haben die Zufahrt auf die Theresienwiese abgesperrt.“7 Handelte es sich um ihre eigene Beobachtung oder gab sie nur wieder, was Janette R. ihr erzählte? Natascha T. bezog sich bei einer anderer Sache auf Janette R.: Ihr hätte Janette R. erzählt, dass sich MK nach der Schulung schnell verabschiedete, weil sie Hunger hatte und Pause machen wollte. Das Gespräch erwähnte Janette R. in ihrer Vernehmung nicht. Laut Natascha T. würden Janette R. und Matthias G. auf der TW ihre Pausen machen.8

  • Fahndeten sie nach der ersten Hilfe, genauso wie Steffen B. und Daniela B., im Wertwiesenpark?

Die TEZ-Zivilpolizisten Janette R., Cecille R., Matthias G. parkten ihr Zivilfahrzeug am Trafohaus. Dann gingen sie „den Fußweg am Neckar in Richtung Wertwiesenpark entlang und schauten auch am Neckarufer nach Verdächtigem. Wir gingen dann über die Otto-Konz-Brücke und befragten auf der anderen Seite des Neckars, Personen (…).9 Janette R. sagte aus, dass sie die Personalien der kontrollierten Personen und ihre „Kurzvernehmungen“ beim Polizeirevier abgab, „aber ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern.“ Dagegen sagte ihr Streifenpartner Matthias G., dass sie „auf keine Personen getroffen“ und „auf nichts Verdächtiges gestoßen“ sind.

Die TEZ-Zivilpolizisten hielten sich gleichfalls im Wertwiesenpark auf, wo Zeugen blutverschmierte Männer sahen. Als Janette R. auf diese Zeugenaussagen angesprochen wurde, antwortete sie: „Wir waren zu dem Zeitpunkt zu dritt. Zwei Frauen und ein Mann. Wir haben damals nicht russisch miteinander gesprochen und von uns hat sich auch keiner die Hände im Fluß gewaschen.” 10

Soko-neu suchte nach beigen Mercedes

Am 24. April machten die Bereitschaftspolizisten Elke S. und Patrick He. (TEZ 514) am späteren Tatort eine “Pause. Auf die Frage, ob ihm „keine Fahrzeuge aufgefallen“ waren, etwa ein Wohnmobil oder ein beiger Mercedes, antwortete Patrick He.: „Nein, daran kann ich mich in keiner Weise erinnern.“11

1www.openstreetmap.org/copyright
2O. 4-1, S. 198, A. a. 03.05.07
3O. 50, S. 82, Spuren-Controlling
4O. 50, S. 39, Spuren-Controlling
5Lecturio, Wissensplattform, https://www.lecturio.de/lexikon/schock
6O. 2, S. 491, Vermerk von Jörg H. 30.04.07: „Seine Beine waren kurz zuvor von einem Kollegen auf den Bodenholm der Beifahrerseite aufgelegt worden.“
7O. 12, S. 19. A. a. 11.10.11
8Vgl. O. 11, S. 18, A. a. 11.10.10: „Kollegin R. hat mir nach der Tat erzählt, dass sie mit Michèle und Martin gesprochen hat, – ob diese noch ein bisschen bei ihnen stehen bleiben wollen, worauf die beiden meinten, dass sie gleich losgehen, weil sie Hunger hätten und sich etwas zu Essen kaufen wollten.” Natascha T. strich nachträglich im Wortprotokoll „und Martin“.
9O. 11, S. 230, Aussage von Janette R. am 13.10.10
10O. 11, S. 229, A. a. 13.10.10

11O. 10, S. 192, A. a. 07.10.10

Teil 2) Eingezeichnete Bewegungen des beigen Mercedes im Stadtplan

Fahrtroute des beigen Mercedes

Laut Angabe des neckarsulmer Polizisten Steffen B. fuhren er und Daniela B. nach dem Polizistenmord zur Theresienwiese (TH). Dann ging es zur „Böckinger Brücke“, heute „Erwin-Fuchs-Brücke“. Sie blieben am Wertwiesenpark eine halbe Stunde. Anschließend fuhren sie in die Schrebergärten „auf der anderen Neckarseite (…) und haben uns da umgeschaut.“1

1O. 9, S. 462, Steffen B., A. a. 16.11.10

Zeugin Nr. 1, Martina R., 13:45: „Alter brauner Mercedes“, dahinter BMW-Streifenwagen in Frankfurter Straße, in Richtung TW fahrend.1 Es wird in Polizeiakten als „Zivilfahrzeug“ bezeichnet. Laut meiner Hypothese verlassen anschließend die Zivilpolizisten die TH und fahren in Richtung Neckarsulm weg. Nach der Meldung über den Überfall fähren sie wieder zurück.

Zeuge Nr. 2, Ballas A., 14:00: Beiger Mercedes, „Limousine“, kam von Salzgrundstraße, bog in Karl-Wüst-Straße ein und fuhr in Richtung Neckargartacher Brücke.2

Zeugen Trafohaus, 14:05-14:10: Jamil-Ahmad C., 14:05: Beiger Mercedes, A-Klasse, fährt auf TW.3 Devinder und Pargas S., 14:10: Taxi mit zwei Personen: Ein Mann und eine Frau. Jamil-Ahmad C., 14:10: Beiger Mercedes, A-Klasse, verlässt TW.4

Zeugin Nr. 3, Lieselotte W., 14:00: Beiger Mercedes, „ älteres Auto“, kommt aus Theresienstraße, stoppt an Kreuzung zur Karlsruher Straße. Blutverschmierter Mann rennt aus TW und steigt hinten ein. Wagen fährt in Richtung Otto-Konz-Brücke.5

Zeuge Nr. 4, Herbert M., 14:10: Silberner Mercedes auf Otto-Konz-Brücke, fährt in Richtung Böckingen, auf B 27.6

Zeuge Nr. 5, Markus L., 14:15: Champagnerfarbener Mercedes in Landwehr/Schwindstraße, Kofferraum offen, Mann handiert herum, mit schwarzen Waffenholster. 7

Zeugin Nr. 6, Lieselotte W., 14:30: Beiger Mercedes fährt auf der Sontheimer Brücke.8

1O. 4-2, S. 76, A. a. 04.06.07

2O. 4-1, S. 51, A. a. 27.04.07

3O. 4-1, S. 77, A. a. 26.04.07

4O. 4-1, S. 77, A. a. 26.04.07

5O. 4-2, S. 160 ff., 16.10.09 (zweite Vernehmung 2009)

6S. 50, 156, Herbert M.

7S. 50, S. 113, Markus L.

8O. 4-2, S. 160 ff., A. a. 16.10.09 (zweite Vernehmung 2009)

Teil 1) Zeitstrahl der alternativen Hypothese

Zeitstrahl der alternativen Hypothese

13:50

Michele Kiesewetter (MK) und ihr Streifenpartner, im BMW-Streifenwagen, und der zivile beige Mercedes der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) 522 fuhren gemeinsam auf die Theresienwiese (TW). Im beigen Mercedes saßen die neckarsulmer Polizisten Steffen B. und Daniela B.. Kurz darauf verließ der Mecedes die TW, in Richtung Neckarsulm.

Die Zeugin Martina R. machte um 13:45 folgende Beobachtung: „Alter brauner Mercedes“1, dahinter BMW-Streifenwagen, stoppen in Frankfurter Straße an einem Zebrastreifen. Mercedes fährt anschließend in die TW ein.

13:58

Die Polizisten Kiesewetter und Arnold werden mit Kopfschüssen hingerichtet.

13:58-14:02

Sofort nach dem Angriff, veränderte der Täterkreis den Tatort. Die Opfer wurden vom Boden aufgehoben und folgendermaßen im Wagen zurückgelassen: MK saß auf dem Fahrersitz. Ihr Oberkörper hing aus dem Fahrzeug heraus. Arnold Kopf lag auf dem Beifahrersitz, die Füße außerhalb auf dem Boden.

Die Tatortmanipulation war gegen 14:02 abgeschlossen. Die Täter verließen zu Fuß den Tatort, nördliche Richtung.

14:05

Athanasios B. befand sich mit seinem Auto an einer roten Ampel, an der Stadtgrenze zwischen Heilbronn und Neckarsulm. Ein beigefarbenen Mercedes raste von hinten heran, überholte und überfuhr die rote Ampel.2

Der beige Mercedes rast zur TW zurück.

14:10

Die Inder Devinder und Pargat S. stehen am Trafohaus und sahen MK auf dem Fahrersitz sitzen und kopfüber heraushängen. Pargat S. sagte aus, dass er um 14:10 die Polizei anrief. Diese Aussage bestätigte die Funkzellenauswertung.3 Dann kam ein Taxi zum Tatort hergefahren, darin ein Mann und eine Frau. Pargat S. brach seinen Telefonanruf ab. Als Grund nannte er den Taxifahrer, der ausgestiegen war und ihm zunickte. Der Taxifahrer gab ihm ein Zeichen, dass er bereits mit der Polizei telefoniere.

Heiko N. fuhr mit der Straßenbahn S-4 von Böckingen kommend in Richtung Heilbronn. Währenddessen sah er beim Vorbeifahren den Streifenwagen neben dem Trafohaus stehen, eine Person hing aus der geöffneten Fahrertür heraus. Beide Türen waren geöffnet. Unmittelbar vor dem Streifenwagen, ungefähr drei Meter schräg davor, stand ein silberner, viertüriger PKW, „eventuell Taxi“4.

Trafen die Inder auf Steffen B., seine Kollegin Daniela B.? Als sie eintrafen, stand an der Einfahrt ein Streifenwagen, Kollegen standen draußen zur Zufahrtskontrolle“5. Sahen sie den zweiten BMW-Streifenwagen? MK wäre noch halb” aus dem Auto gehangen. Es gab keine Rettungskräfte, keinen Notarzt, keinen Rettungshubschrauber. Stattdessen trafen die neckarsulmer Polizisten lediglich auf die Kriminalpolizisten Jörg T. und Bettina S.. Fand in der Zeit die zweite Umlagerung statt? Lagen danach beide Opfer auf dem Boden, die Füße hochgestellt auf dem Schweller?

Steffen B. informierte telefonisch das Polizeirevier. Um 14:11 kam es laut des stuttgarter „Polizeiführers vom Dienst“ zur ersten Funkmeldung im Dora-Betriebskanal 426 über angeschossene Kollegen“.6 Das heilbronner Polizeirevier, Dora 5/31 informierte das Führungs- und Lagezentrum (FLZ), Dora 5/21. Um 14:12 wurde die Ringfahndung ausgerufen und die Hubschrauberstaffel alarmiert.

Laut Steffen B. verließen er und Daniela B. auf Anregung des Kollegen T.“7 den Tatort. Der beige Mercedes fuhr in hoher Geschwindigkeit zur Böckinger Brücke am Neckarkanal, die etwa 1,5 Kilometer südlich der TW liegt.

14:11

Jamil-Ahmad C. kam am Tatort an und sah beide am Boden liegende Polizisten und ihre Schutzverletzungen. Er traf auf den Radfahrer Peter S. und informierte ihn. Daraufhin radelte Peter S. zum Bahnhof, um Hilfe zu holen.

14:12

Der neckarsulmer Polizist Jörg H. teilte mit, dass er mit hoher Geschwindigkeit anfuhr“8. Die heilbronner Polizistin Kerstin K. sagte im NSU-Prozess aus, dass sie um 14:08 einen Anruf von einem Taxifahrer [erhielt]“9. Erhielt sie den Anruf von Steffen B.? Sie rasten zum Tatort und kamen um 14.10 Uhr“ an. Kerstin K.: Wir waren wirklich in zwei Minuten da. Wir sind wirklich gerast.” Sie hätte gleich gesehen, dass die Kollegin ex ist.“ Ihre Angabe wird vom stuttgarter „Polizeiführer vom Dienst“ bestätigt: Um 14:15 funkte eine Polizistin, dass eine Kollegin tödlich verletzt wurde (…). Gemeldet wurde dies von einer Kollegin, ohne Nennung eines Rufnamen.“10 Kerstin K. schickte die Zeugen Devinder und Pargat S. sowie Jamil-Ahmad C. vom Tatort weg. Danach kam der neckarsulmer Polizist Erich Anton K. zum Tatort. Er traf auf den neckarsulmer Polizist Jörg H. und seine Streifenpartnerin Kerstin K., die Arnold erste Hilfe leisteten.

14:14

Devinder und Pargat S. befinden sich an der Zufahrt zur TH, wo ihre Personalien aufgenommen wurden. Der Zeuge Jürgen N. steht auf dem Fußweg an der Hafenstraße und sieht einen zweiten BMW-Streifenwagen an der Zufahrt und einen Polizisten, der einen der Inder kontrolliert. Hatte der Inder längere dunklere Haare, weshalb ihn der Zeuge für eine Frau hielt? Danach verließ der BMW die Zufahrt und entfernte sich gleichfalls vom Tatort.

14:15

Als der Radfahrer Peter S. kurz nach 14:12 am Bahnhof ankam, bekamen zwei Taxifahrer seine Schilderung über zwei angeschossene Polizisten auf der TW mit. Ralf D. und Marianne H. fuhren gemeinsam zur TW. Die Taxifahrer sahen Kiesewetter und Arnold außerhalb des Autos auf dem Boden liegen.11 Um 14.15 Uhr ging der Notruf von Ralf D. bei der Polizei an.12 Nachdem heilbronner Polizisten ankamen, verblieben die Taxifahrer am Tatort. Ralf D. beschrieb den Moment als sich ein Rettungssanitäter über Kiesewetter beugte und nur mit dem Kopf geschüttelt“13 hätte.

14:18

Hermina Z. ging zu Fuß gegen 14:22 am Tatort vorbei. Sie bemerkte einen Streifenwagen aufgrund seiner eingeschalteten Sirene. Ein Taxifahrer zeigte einem ausgestiegenen Polizisten den Tatort. Es dürfte sich hier um Ralf D. und den heilbronner Polizisten Joachim T. handeln. Dann hätte der Polizist die bereits am Boden liegende MK am Kopf angefasst”14. Anschließend ging er auf die Beifahrerseite. Hermina Z. bemerkte außerdem ein Paar, welches in der Nähe stand, und nur rumgestanden und geschaut” hätte. Daraufhin verließ sie den Tatort.

1O. 4-2, S. 76, A. a. 04.06.07

2O. 4-1, S. 51, A. a. 27.04.07

3O. 50, Bericht zum Spurencontrolling vom 04.05.11, S. 39: „Beide trafen (…) um 14:10 Uhr am Tatort ein. Eine Minute, später sei dann ein Polizeifahrzeug gekommen. Die Einbuchungen der Handys der Beiden konnten nachvollzogen werden.“

4O. 4-1, S. 18

5O. 9, S. 463, Aussage von Steffen B. am 16.11.10

6O. 30, S. 140, Auswertung des Regierungspräsidiums Stuttgart anhand einer Funkuhr. Laut der heilbronner ASC-Aufzeichnungen ist die Funkmeldung erst um 14:14, 2-3 Minuten später, gemacht worden.

7O. 9, S. 463, A. a. 16.11.10

8O. 2, S. 493, Vermerk vom 30.04.07

9Annette Ramelsberger (…), „Der NSU-Prozess. Das Protokoll“, 2019, S. 271

10O. 30, S. 140. Auswertung des Regierungspräsidiums Stuttgart. Laut der heilbronner ASC-Aufzeichnungen ist die Funkmeldung 3 Minuten später gemacht worden.

11O. 2, S. 26

12Vgl. O. 34, S. 317: „Um 14.15 Uhr hat er die Polizei über Notruf angerufen.“

13Stimme, „Schüsse waren nicht aufgesetzt“, 28.04.07, https://www.stimme.de/archiv/stadt-hn/Schuesse-waren-nicht-aufgesetzt;art1925,995413

14O. 4-2, S. 198, A. a. 08.06.07