Schneeberg – die gesuchte Verbindung der “NSU-Verbrechen”?

Ende Oktober 2021 fragte der Journalist Thomas Moser “Wo ist die Verbindung?” zwischen der Ceska-Mordserie und dem heilbronner Polizistenüberfall. Er spekuliert, dass der Hintergrund des Mordes an der Polizistin Michèle Kiesewetter auch organisierte Kriminalität gewesen sein könnte. Dementsprechende Spuren stellte ich 2016 in einem Artikel vor. Jetzt präsentiere ich neue Erkenntnisse, die ich aus meinem Studium der Ermittlungsakten und Vernehmungsprotokollen gewonnen habe.

Die Ermittlungsakten der Sonderkommission (Soko) “Parkplatz” geben von einem Zeugen Auskunft, der die Ermittlungsrichtung “organisierte Kriminalität” stützte. Durch den Aussteiger kommen geografische Überschneidungen zwischen der persönlichen Umgebung des sogenannten “NSU-Trios” und der organisierten Kriminalität in Heilbronn zu Tage. Es geht um die Kleinstadt Schneeberg im Erzgebirge, Sachsen. Der Geheimdienstagent Temme gab sich ausgerechnet als ein “Jörg Schneeberg” aus, währenddessen sich ein Ceska-Mord ereignete. Mein Artikel macht diese Überschneidungen und kaum möglichen Zufälle deutlich. Ich veröffentliche einen Auszug aus meinem Enthüllungsbuch “Mordfall Kiesewetter”.

31. Arbeitete das NSU-Trio mit der Russen-Mafia zusammen?

Trotz umfangreicher NSU-Ermittlungen konnte laut des früheren CDU-Bundestagsabgeordneten Clemens Binninger nur bei 250 Tage im „Untergrund“ (1998-2011) geklärt werden, wo sich Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt aufhielten. Wo sie in den restlichen 4654 Tagen waren, wüsste niemand. Er wies darauf hin, dass die Männer mit den ausgeliehenen Fahrzeugen viele „tausend Kilometer“1 zurücklegten.

Waren sie bei Schleusungen und im Menschenhandel verwickelt?

Es gab Neonazis, die in diesem Bereich tatsächlich beteiligt waren: Silvio G. leistete ab März 1997 seinen Grundwehrdienst in der Jägerkaserne Schneeberg. Ab „der zweiten Hälfte der 1990er Jahre“ war er „Mitglied einer bandenmäßig agierenden Gruppierung“, die als „Zittauer Schleuserring“ öffentlich bekannt wurde. „Der Gruppierung waren Dienstinterna der Polizei bekannt, die über einen BGS-Beamten [Bundesgrenzschutz] erlangt wurden, mit dem G. in Kontakt stand. Von Oktober 1998 bis Juni 1999 führte er nachweislich 34 erfolgreiche Schleusungsfahrten durch, (…). Seine Aufgabe bestand insbesondere darin, zumeist im Bereich Jonsdorf, Großschönau und Hainewalde fußläufig über die Grenze herangeführte Personen in eigenen oder eigens angemieteten Fahrzeugen wahlweise nach Leipzig oder Chemnitz zu fahren, wofür er jeweils Geld erhielt.“2 Silvo G. gab eine Waffe an einen Abnehmer weiter, „den er sich nach eigenen Angaben über den Rockerclub „Gremium MC“ habe vermitteln lassen. G. selbst war im Besitz einer szeneüblichen Lederkutte mit „Gremium“-Aufdruck.“

Im Zuge der Abhöraktion „Terzett“, die sich gegen das NSU-Umfeld richtete, ging im Jahr 2000 eine Nachricht von Silvio G. ins Netz: Der sächsische Geheimdienst erfuhr, dass er Waffen besitzen würde. Diese Information sollte an das Landeskriminalamt (LKA) Sachsen weitergegen werden, was allerdings nicht passierte. Das Problem: Silvio G. war zu diesem Zeitpunkt aufgrund Schleusungen und Drogenhandels bereits seit einem Jahr in Haft gewesen. Daher kamen die sächsischen Linken und Grünen zum Ergebnis: „Der ihn betreffende Hinweis kann daher, falls er überhaupt zutraf, nicht aktuell gewesen sein.“

Keine Hinweise auf Verwicklung des “MC Gremium”

Nachdem am 14. Mai 2007 die Soko-alt die Maßnahme „Motorradgruppierungen“ erledigte, stellte die Soko-neu am 14. April 2009 nochmalige Nachforschungen an. Als Grund wird genannt, dass laut medialer Berichterstattung „Hinweise auf entsprechende Gruppierungen“ (Polizeiordner 34, S. 154) zwar bei ihr eingingen, aber bislang „nicht entprechend bearbeitet“ wurden. Auch sie kam schnell am 25. Mai 2009 zum Schluss, dass das „MC Gremium” keine Rolle beim Polizistenüberfall spielte.

Wozu dienten angemietete “NSU-Wagen”?

Ermitter fanden im Brandschutt der zwickauer “NSU-Wohnung” zahlreiche Mietverträge ausgeliehener Fahrzeuge. Es gab immer wieder Überschneidungen der Mietdauer mit dem Zeitpunkt von “NSU-Verbrechen”. Angeblich führte das Trio „Todeslisten“, mit tausenden Zielen, und spähte potentielle Opfer aus. Dagegen sprechen allerdings ein Teil der ausspionierten Ziele wie Tierheime, Hühnerfarme, Kleingartensiedlungen. Dies stellt die grundsätzliche Frage, welchen Zweck die Anmietungen dienten. Es könnte alternativ damit erklärt werden, dass die Männer im Auftrag unterwegs gewesen waren. Eine weitere Ungereimtheit ist, dass in den sogenannten „Todeslisten“ und bei den ausgespähten Personen und Objekten kein “NSU-Tatort” dabei ist. Es gibt lediglich eine einzige Markierung auf einen der 95 gefundenen Stadtpläne, wo ein Kreuz bei einem “NSU-Tatort” angebracht wurde. Die anderen 299 Markierungen in den Stadtplänen betrafen andere Örtlichkeiten.

Bundesanwalt Dr. Herbert Diemer konnte dem Untersuchungsausschuss des Bundestages nicht erklären, warum die “NSU-Tatorte” nicht auf den „Todesliste“ stehen: „Ich weiß es nicht. Ich kann es doch nicht ändern.“3 „Wie es zu der Auswahl der Tatorte kam, weiß ich nicht.“

Obwohl die Ceska-Mordserie am 06. April 2006 endete, gingen die Anmietungen weiter. Es waren neben Wohnmobilen, große Personenkraftwagen wie „VW Touran“, VW T-5 etc. Allein im Jahr 2008 waren es sechs Fahrzeuge. Beate Zschäpe erklärte der Nachbarschaft, dass ihre beiden Freunde Autos überführen würden. Sie befand sich die meiste Zeit alleine im Haus. Der Wasser- und Stromverbrauch entsprach dem eines 1-Personen-Haushalts. Es wurde in der Wohnung keine Männerbekleidung gefunden.4

Gab es eine heiße Spur?

Am 17. Oktober 2009 machte Alexander B. beim Kommissariat 1 der Polizeidirektion Westpfalz eine Aussage: Sein Freund, der Kasache Alexey B., würde wissen, „wer die Polizistin in Heilbronn umgebracht habe“. Es wären „Russen“, die u. a. in Heilbronn mit „Waffen, Drogen, Zuhälterei“ ihr Geld verdienen würden. Laut Alexander B. würde sich die Gruppe in „Heilbronn, Stuttgart und Neckarsulm aufhalten, aber auch im Bundesland Sachsen, und zwar im Bereich Chemnitz.“

Die Soko vernahm daraufhin Alexey B. am 17./18. November 2009, 26. Oktober 2009, 13. Dezember 2009, 16. Januar 2010 sowie am 24. August 2011. Die Polizisten ermittelten in diese Richtung, bis es zur Umpolung der Ermittlungen, weg von organisierter Kriminalität hin zu Rechtsterrorismus, kam. Der Grund war die sogenannte “Selbstenttarnung des NSU” im November 2011.

Quelle: © OpenStreetMap-Mitwirkende

Auf Grundlage der Aussagen des Aussteigers fallen zwei geographische Überschneidungen zwischen dem Umfeld des “NSU-Trios” und der heilbronner Russen-Mafia auf: Zum einen Schneeberg und zum anderen Öhringen, indirekt auch die Theresienwiese (TW).

  • In Zschäpes Wohnung fanden sich Ausspähnotizen. Ausgespäht wurden zum Beispiel Mitglieder des Untersuchungsausschusses (UA) des Bundestages, der 2005 die “Visa-Affäre” aufklären sollte. Damit schließt sich der Kreis zur TW, die ein Treffpunkt von Schleusungen und Menschenhandel war. Zum Beispiel gab es Ausspähnotizen vom Chef des Visa-Ausschusses, Hans-Peter Uhl (CSU): „Sehr gute Lage, Zugang im Garten”, hatten sie auf einer Liste notiert.“5.

  • Gemäß Alexey B. unterhielt der Bandenchef, ein Ukrainer, „eine Schmugglerhalle” in Öhringen. Dann würden „reiche deutsche Verrückte auftauchen, die die Mädchen foltern“. Es gäbe Polizisten, die vor Aktionen warnen und beim Zigarettenschmuggel mitmachen würden. Der Zeuge Florian Heilig berichtete 2010, dass es in Öhringen eine rechtsextreme Organisation, die sogenannte „Neoschutzstaffel“ (NSS), gebe. Dort soll 2010 ein Treffen zwischen dem NSU und dem NSS stattgefunden haben. Kurz vor seinem Tod sagte der junge Mann: „Das war alles ganz anders. Die Presse lügt doch nur. Das wurde von höherer Stelle organisiert. Ihr könnte Euch gar nicht vorstellen, wie viele Beamte und hochgestellte Rechtsanwälte, ja sogar Politiker in diese Sache verwickelt sind.“ (Compact Magazin)

  • Alexey B. lebte nach seiner Einwanderung erst im sächsischen Schneeberg, bevor er in den Raum Heilbronn verzog. Von dort verkaufte er im Jahr 2010 seinen Audi nach Zwickau. Ende 2010 beschlagnahmte die Soko dort den beschädigten Tankdeckel. Laut B. wurde der Deckel von der Russen-Mafia aufgebrochen, um eine Substanz in den Tank einzufüllen. Dann würde gezielt das Auto explodieren. Tatsächlich verbrannten die Zeugen Florian Heilig und Arthur Christ in ihren Autos.

  • In Schneeberg lebte auch der Vietnamese Herr V.. Ihm gehörte eine Immobilienfirma „V. GmbH“, die Anfang Juni 2011 das “NSU-Haus” in der zwickauer Frühlingsstraße kaufte. In Zschäpes Wohnung waren am 04. November 2011 Handwerker aus Schneeberg tätig, bis das Haus um 15:00 in die Luft flog und in Flammen aufging. Kurz davor verließen die Handwerker das Haus. Der Nachbar Arnfried M. beobachtete, dass „ab und zu“6 ein dunkelblaues Auto mit erzgebirger Kennzeichen vor dem Haus parkte.

  • Am 07. November ging in der Nachbarstadt Glauchau eine Wohnung in Flammen auf. In dem Stadtteil hatte der Vermieter gleichfalls Immobilienbesitz.7 Ob es sich um die abgebrandte Wohnung handelte, ist ungeklärt. In den „90er-Jahren“ traten in Thüringen „vietnamesische Gruppierungen“8 auf, „die vor allem Zigarettenschmuggel und Zigarettenhandel betrieben hätten.“ Nach der Explosion machte sich Beate Zschäpe nach Glauchau auf. Es ist bis heute ungeklärt, was sie dort machte.9

  • Der ehemalige hessische Geheimdienstagent Andreas Temme könnte sich zur Tatzeit am letzten Tatort der Ceska-Mordserie aufgehalten haben, im kasseler Internet-Cafe von Halit Yozgat. Dort meldete er sich in der Flirtseite „ilove“ an, als ein Jörg Schneeberg”. Von der Erschießung bekam er nichts mit. Temme hatte einen Informanten aus der rechtsextremen Bereich und fünf aus dem islamistischen.

  • Der ehemalige heilbronner Kriminalpolizist Peter F. sicherte nach dem Polizistenmord am Tatort Spuren. Er ist auch Sachbuchautor: Aus seiner Feder stammt „immer wieder morden“. Es handelt über Serienmörder. Das Buch zeigt auf dem Deckel den Hinterkopf eines kahlgeschorenen Mannes. Dort geht es allerdings nicht um Terrorismus, sondern um „unpolitische“ Serienmörder, etwa um Männer, die etwa aus sexuellen Gründen Frauen ermorden. Sein Buch spielte auch in den Ermittlungen der Ceska-Mordserie eine Rolle: Während der Hausdurchsuchung fanden Ermittler bei Andreas Temme genau dieses Buch, was die kasseler Mordermittler „in höchstem Maße irritiert“10 hatte. In einem Interview mit dem SWR warnte Peter F. 2020 vor einer Unterwanderung der Querdenker-Bewegung durch Rechtsextremisten.11

  • Am Griff einer Metalltüre (NO-Ecke) des Trafohauses, nur Meter vom eigentlichen Tatort entfernt, hing eine Plastiktüte mit Servietten und einer zusammengeknüllten Alufolie. Es wird als Aluminiumfolie mit Döner-Tüte und Servietten, zerknüllt“12 bezeichnet. Ermittler fragten lediglich die Dönerläden in Tatortnähe, ob Polizisten bei Ihnen einen Döner-Kebab gekauft hätten. Sämtliche Betreiber negierten dies, nur Ahmet A. gab einen interessanten Hinweis: Er kannte MK „vom sehen her“13. Am Tattag sah er allerdings „keine Polizisten in Uniform“ in seinem Laden.

  • Der Sachstandsbericht der besonderen Aufbauorganisation (BAO) „Bosporus“ erwähnte 2008 einen „psychisch auffälligen Mann aus dem Raum Göppingen, bei dem in der Vergangenheit bereits Munition und Waffenzubehör gefunden wurden.“ Er gab einen Hinweis auf von den Ceska-Mördern „am Tatort gefertigte Fotos“.14 Im Bericht aus dem Jahr 2008 steht weiter, dass „nach derzeitiger Einschätzung (…) die Angaben nicht zutreffen [dürften].“ Im “NSU-Bekennerfilm” gibt es tatsächlich Fotos der Opfer, die vom Täterkreis gemacht wurden. Um wem handelte es sich? Am Tattag waren in Heilbronn just göppinger Bereitschaftspolizisten tätig, was allerdings vertuscht wird, genauso wie ihr Einsatzziel.

Es ist also wahrscheinlich, dass Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt mit den sogenannten “NSU-Verbrechen” indirekt etwas zu tun hatten, als Helfershelfer einer schwerkriminellen Bande durch die Lande tourten. Sie waren also im Kontakt mit dem Täterkreis, der sie “im Untergrund” mit Aufträgen betreute, um sie ggf. als Bauernopfer zu präsentieren.

1T-online, “Mundlos und Böhnhardt waren vielleicht nicht die Schützen”, 11.07.18, online: https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_84091366/nsu-aufklaerer-binninger-zweifel-dass-nsu-nur-aus-drei-personen-bestand-.html

2Landtag, Sachsen, NSU-UA, „Abweichender Abschlussbericht“ von „der Linken“ und „Bündnis90/die Grünen“, 03.06.19, S. 427

3Bundestag, NSU-UA, Anlage 32, 51. Sitzung, 09.03.17, S. 87: „Vorsitzender Clemens Binninger: Entschuldigung, – Herr Diemer, aber warum waren die Tatorte nie dabei? Zeuge Dr. Herbert Diemer: Ich weiß es nicht.

Vorsitzender Clemens Binninger: Da spähen die Tausende Adressen aus oder Hunderte, – Zeuge Dr. Herbert Diemer: Ich weiß es nicht. Vorsitzender Clemens Binninger: – machen sich Notizen, aber dort, wo sie zuschlagen, die tauchen da nicht auf. Zeuge Dr. Herbert Diemer: Ich weiß es nicht. Ich kann es doch nicht ändern.“

4Vgl. SWR, „BKA-Präsident staunt über Wasserverbrauch der Zwickauer Zelle“, 16.03.2012, online: https://www.swr.de/blog/terrorismus/2012/03/16/bka-prasident-staunt-uber-wasserverbrauch-der-zwickauer-zelle/

5SPIEGEL, „Neonazi-Morde – Fahnder waren Verdächtigen auf der Spur“, 14.04.2012, online: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/nsu-terroristen-ermittler-fahndeten-nach-verdaechtigen-radfahrern-a-827562.html

6BKA, Ordner „Bd4-2-1Ordner2KomplexWhgTRIOFruehlingsst26Zwickau“, S. 305: „Ab und zu haben sie Besuch bekommen. Mir ist zum Beispiel aufgefallen ein dunkles Fahrzeug, ein dunkler PKW mit “Erz”-Kennzeichen Es war möglicherweise dunkelblau und ein Kombi. Dieser wurde dann immer direkt an der Seite der Hausnummer 26 abgestellt, und,ich denke,es waren auch mehrere Leute, die dann in das Haus hineingingen. Da ja sonst dort keiner Verwandtschaft aus dem Erzgebirge hat, habe ich daraus geschlossen, dass die zu den jungen Leuten gehen.“

7Landtag Sachsen, NSU-UA, Abweichender Abschlussbericht von Linken und Grünen, 03.06.19, S. 919

8Landtag Thüringen, NSU-UA, Abschlussbericht, 29.08.19, S. 1116

9Annette Ramelsberger (…), „Der NSU-Prozess. Das Protokoll“, 2019, S. 903: „Zunächst war ich in Glauchau und sodann in Chemnitz.“

10Bundestag, NSU-UA, 21. Sitzung, 28.06.12, S. 117

11Vgl. swr, “Querdenken”-Bewegung: Ex-Polizist warnt vor rechter Unterwanderung“, 19.12.20, online: https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/ballweg-empoerer-100.html

12O. 26, S. 197

13O. 12, S. 154, Vermerk vom 28.04.07

14Kriminalfachdezernat 1 Nürnberg, MK „Bosporus“, 33. Sachstandsbericht, 26.08.08, S. 2

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