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NSU-Prozess: Plädoyer der Nebenklagevertreterin Angela Wierig

Die Journalisten Annette Ramelsberger, Wiebke Ramm, Tanjev Schultz und Rainer Stadler, haben dankenswerterweise über die Bundeszentrale für politische Bildung die Protokolle des NSU-Prozesses veröffentlicht. Da vom Prozess kein offizielles Protokoll gefertigt wurde, bildet diese Publikation tatsächlich ein Dokument der Zeitgeschichte und damit eine historische Quelle.

Es spielt dabei keine Rolle, dass die Wiedergabe des Prozessgeschehens stellenweise unvollständig erfolgte. Ich sehe auch keinen Mangel darin, dass die Herausgeber eindeutige politische Positionen beziehen. Man wird es nie allen recht machen können – so oder so nicht. Vor allem darf man nicht außer acht lassen, dass die Beweisaufnahme im NSU-Prozess regelmäßig etwas ganz anderes ergeben hat, als beispielsweise die Recherchen des AK-NSU, von Frau Muthesius, brain freeze, Thomas Moser und vielen anderen. Die Protokolle bilden in jedem Fall eine nahezu unerschöpfliche Fundgrube für jeden zeitgeschichtlich Interessierten.

https://www.bpb.de/shop/buecher/schriftenreihe/293325/der-nsu-prozess-das-protokoll

Beeindruckt hat mich unter anderem das Plädoyer der Nebenklagevertreterin Angela Wierig vom 396. Verhandlungstag. Zufällig hielt RAin Wierig ihr Plädoyer am 12. Dezember 2017, also an dem Tag, an welchem die Staatsanwaltschaft Meiningen das Mordermittlungsverfahren gegen den LKD Michael Menzel eröffnete.

Wierigs Mandantin im NSU-Prozess war Aysen Tasköprü, eine Schwester des ermordeten Süleyman Tasköprü. Diese erklärte später außerhalb der Hauptverhandlung, dass sie sich von ihrer Anwältin hintergangen fühlte und beantragte, Angela Wierig von ihrem Mandat zu entbinden. Statt dessen wollte sie sich für den Rest des Verfahrens von der Nebenklage-Anwältin Gül Pinar vertreten lassen.

Am 22. Januar 2018 teilte Aysen Tasköprü dem Gericht per Telefax mit, dass sie auf eigenen Wunsch ihre Nebenklage zurückziehe. Sie begründete dies mit dem Plädoyer Wierigs und dem daraus hervorgegangenen Zerwürfnis mit ihrer Anwältin.

Hier nun auszugsweise das Plädoyer Angela Wierigs, gehalten am 12. Dezember 2017, dem 396. Verhandlungstag des NSU-Prozesses, Zitat:

“…Zu Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos hat die Bundesanwaltschaft gesagt, es seien keine psychopathischen Mörder gewesen. Hierzu habe ich eine andere Meinung. Fakt ist, dass bereits das erste Mordopfer fotografiert wurde. Wobei sich die Frage stellt, ob zu diesem Zeitpunkt das Foto ausschließlich gemacht wurde, um im Bekennervideo eine Rolle zu spielen. Oder ob es Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt wichtig war, diesen Moment als eine Art Trophäe zu konservieren, wie es sich auch bei der letzten Tat in Heilbronn manifestierte. Dass keine weiteren offensichtlichen Trophäen gefunden wurden, spricht nicht unbedingt gegen die Annahme des generellen Trophäen-Nehmens über die Fotos der Opfer hinaus. Dieser Umstand ließe sich unschwer damit erklären, dass Alltagsgegenstände im Brandschutt der Frühlingsstraße nicht als solche mit Vorbesitzern erkennbar gewesen wären. Zu den weiteren Kriterien, die eine psychopathische Persönlichkeit ausmachen, haben wir in der Hauptverhandlung genügend Fakten erörtert. Es liegt im Auge des Betrachters, ob man diese Annahme teilen möchte. Was für diese Annahme spricht, ist die Tatsache, dass damit der fehlende Kitt im Beziehungsgeflecht zwischen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gefunden wäre.

Sollten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in erster Linie psychopathische Killer und Cleaner gewesen sein, so hat Beate Zschäpe deren mörderischen Neigungen die moralische Zuflucht des politischen Kampfes geboten. Und insofern betrachte ich nicht Ralf Wohlleben als das “Mastermind” des NSU – das Gehirn der Truppe war Beate Zschäpe. Die Frau mit der Botschaft. Ralf Wohlleben ist nur der, bei dem die Beweisaufnahme viele Fragen aufgeworfen hat. Und offenbar bin ich nicht allein mit meiner Ungewissheit, denn die Bundesanwaltschaft selbst nimmt einmal von ihm an, er habe mit unbedingter Gewalt im politischen Kampf gerechnet und sie befürwortet, um dann zu konstatieren, er habe den Marsch durch die Institutionen gewollt. Im Gegensatz zum Angeklagten Eminger – der sei für den Lösungsansatz durch Gewaltausübung gewesen.

Ralf Wohlleben sitzt aus einem einzigen Grund auf der Anklagebank. Und diesen Grund hat Carsten Schultze unsicher identifiziert, wobei er sich das Objekt seiner Identifizierung vorher – Zitat – “bestimmt 100 Mal” im Internet angesehen hat. Ich wage die Behauptung, dass eine so unsichere Angabe, mit der allen Beteiligten bekannten Fülle an unglücklichen Umständen – Stichwort: trügerisches Gedächtnis – in fast jedem anderen Verfahren als unzureichend für die Beweisführung eingestuft worden wäre. Die Bundesanwaltschaft flankt elegant über die Schwierigkeiten der Beweisführung, indem sie die unsichere Identifizierung der Ceska 83 durch Carsten Schultze gerade dafür heranzieht, das dies für die Wahrhaftigkeit der Angabe spricht. Und führt aus: “man müsste im Gegenteil skeptisch sein, wenn eine eindeutige Identifizierung stattgefunden hätte”. Dieses Argument überzeugt mich nicht. Ich kann mir kein Szenario vorstellen, in dem Carsten Schultze sicher, klar, unmissverständlich und eindeutig und sofort auf die Ceska 83 gezeigt hätte und die Reaktion “Skepsis” gewesen wäre. Weshalb auch der Umkehrschluss nicht gilt.

Und hinsichtlich des hier von mehreren Seiten vorgetragenen Arguments, eine Waffe mit Schalldämpfer sei dem einzigen Zweck gewidmet, Menschen zu töten: Das ist ein Scheinargument. Es gibt keinen solchen Erfahrungssatz. Wer sich einmal die Mühe macht, die Begriffe “Banküberfall” und “Schalldämpferwaffe” zu googeln, wird feststellen, dass die Verwendung einer Schalldämpferwaffe bei Banküberfällen durchaus üblich ist. Was auch Sinn ergibt. Wenn ein Warnschuss in die Decke abgegeben wird, soll schließlich nicht das ganze Viertel mitbekommen, dass gerade ein Überfall stattfindet. Und auf diesem wackligen Fundament der Waffenidentifizierung und eines Erfahrungssatzes, den es nicht gibt, beruht der Antrag der Bundesanwaltschaft, Herrn Wohlleben zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren zu verurteilen.

Ich frage mich, ob auch der Bundesanwaltschaft bewusst war, auf welcher Basis sie ihren Beweis führte. Jedenfalls ist mir noch die Stimme von Oberstaatsanwalt Weingarten im Ohr, der in den Saal rief: “Wer wagt es da, noch etwas anderes zu denken.” Ich möchte Ihnen dazu sagen, dass ich es unter keinen Umständen für ein Wagnis halte, zu denken. Ich halte es eher für gewagt, nicht zu denken. Und vor Gericht nicht zu denkern, sollte sich grundsätzlich verbieten. Insbesondere, wenn ein Verfahren so mit Emotionen befrachtet ist wie dieses. Da sind nicht nur die Taten selbst, die schlicht nur als pervers bezeichnet werden können; da ist in tragender Rolle das emotional belastende Moment des Nazi-Themas.

Das “Dritte Reich” ist seit fast drei Generationen Geschichte. Der Vorwurf aber, der Deutsche trage den Nationalsozialismus gleich einer Erbsünde ab Geburt in sich, ist überaus lebendig. Und offenbar manchmal auch zutreffend. Und bei jenen, wo er nicht zutreffend ist, herrscht oft eine tief verwurzelte, manchmal geradezu hysterische Furcht, sich diesem Vorwurf auszusetzen. Weshalb – so habe ich den Eindruck – es im Umgang mit Rechtsaußen des Öfteren an der Sachlichkeit fehlt. Vor Gericht aber bedarf es ständiger und sorgfältiger Abwägung, welche Vorwürfe emotional geprägt und welche auf leidenschaftslos geprägten Fakten basieren. Wenn eine Gesellschaft daran gemessen werden kann, wie sie mit den Schwächsten umgeht, dann kann ein Rechtsstaat daran gemessen werden, wie er mit dem politischen Gegner umgeht.

Mutet es merkwürdig an, wenn die Anwältin einer Hinterbliebenen Sachlichkeit anmahnt? Und nicht in die Emotionalität schlittert? Wie es hier so häufig geschehen ist. Das wäre nur dann anzunehmen, wenn es meiner Mandantin um Rache ginge. Doch darum geht es ihr nicht. Rache ist nichts, was ihr mit ihrem Schmerz hilft. Mit Emotionen hat meine Mandantin genug zu kämpfen. Was ihr helfen würde, wäre, die Wahrheit zu erfahren. Um es klar auszusprechen: Für meine Mandantin kann es hier kein gerechtes Urteil geben. Denn vieles, was ihr angetan wurde, ist überhaupt nicht justiziabel. Natürlich ist da zunächst der Verlust ihres Bruders: Eine Lücke wurde in ihr Leben gerissen, die sich nie wieder schließen wird. Und dann kam das Bekennervideo – und das, Frau Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof Greger, war kein Stich ins Herz; da wurde ein Brustkorb gewaltsam geöffnet und das arme pumpende Herz herausgerissen, auf den Boden geworfen, bespuckt und mit Doc Martens darauf herumgesprungen. Die unfassbare Botschaft, dass Süleman ermordet wurde, weil er türkischer Abstammung war; im Leben meiner Mandantin spielte die ethnische Herkunft nie auch nur die geringste Rolle. Sie hat ihren Sohn dazu erzogen, auf die Frage, ob er Deutscher oder Türke sei, zu antworten: Ich bin ein Mensch.

Ich frage mich, ob all diesen wohlmeinenden Menschen, die im Laufe dieses Verfahrens, immer wieder den institutionellen Rassismus in seinen verschiedenen Ausprägungen und Erscheinungsformen angeprangert haben, bewusst war, was sie angerichtet haben. Natürlich gab es Ermittlungspannen. Die passieren immer wenn ermittelt wird. Weil Menschen ermitteln. Mit all ihren Eitelkeiten, Unzulänglichkeiten und manchmal auch schlichter Dummheit. Nur sollte man nie Bösartigkeit unterstellen, wenn Dummheit, Eitelkeit oder Unzulänglichkeit als Erklärung ausreichen. Ich möchte nur kurz an die Episode ereinnern, als ein Polizeibeamter auf die Wohnung stieß, in der Hans Martin Schleyer gefangen gehalten wurde. Der Hinweis, die Wohnung sei von einer Ausweisbeschafferin der RAF angemietet worden, wurde von der höheren Dienststelle schlicht nicht zur Kenntnis genommen. Warum nicht, wurde nie abschließend geklärt. Allerdings findet sich unter den diversen Erklärungsversuchen für diese entsetzliche Ermittlungspanne, die den Tod eines Menschen zur direkten Folge hatte, nicht ein einziges Mal der Grund des institutionellen Rassismus.

(…)

Ist denn niemandem, der diesen Vorwurf erhoben hat, bewusst, dass damit die Hassbotschaft des NSU perpetuiert und konsolidiert wird? Das diese Vorwürfe bedeuten: Der NSU war nur die Speerspitze; der den Weg der Gewalt gewählt hatte, aber dessen Art zu denken in Deutschland weit verbreitet ist? Ausgerechnet bei der Polizei und den Ermittlungsbehörden weit verbreitet ist? Also gerade bei den Institutionen , von denen man sich Schutz vor Gewalt erhofft? In diesem Zusammenhang erlauben Sie mir noch einen Gedanken: Ich kann mir nicht über alle Ermittlungsbeamten ein Urteil bilden. Jedenfalls aber über die Hamburger kann ich das. Weil ich Kontakt zu ihnen hatte. Und ich weiß, wie unendlich schwer sie die Vorwürfe des institutionellen Rassismus getroffen haben.

Ich weiß – wie Sie auch und wie jeder Polizeibeamte – , dass bei Tötungsdelikten der Täter meist im unmittelbaren Umfeld des Opfers zu finden ist. Insofern ist es überaus folgerichtig, im Umfeld des Opfers den Täter zu vermuten. Das ist kein institutioneller Rassismus, das sind Erfahrungssätze der Kriminologie. Ich weiß auch, dass die Ermittlungen in Hamburg in wirklich jede Richtung geführt wurden. Allein, es fehlten die Anhaltspunkte für eine heiße Spur in Richtung NSU. Was damit zusammenhängen mag, dass eine Tötungsserie wie die des NSU eben erstmals in Deutschland passiert ist. Und das gilt auch für die ersten Verdachtsmomente der Profiler – dort wurde ein rechtsextremer Hintergrund vermutet. Nur, auch dort: keine heiße Spur.

Hinsichtlich der weiteren Kritik, es sei nicht öffentlich bekannt gemacht worden, dass Deutschland von einer rassistisch motivierten Mordserie heimgesucht wird. Stellen Sie sich bitte das Szenario vor: In der damalig bereits aufgeheizten Stimmung wird auf n-tv eine Pressekonferenz angekündigt. Sodann tritt ein Ermittler vor die Mikrofone und gibt kund, dass Migranten, die ein Kleingewerbe betreiben, offenbar im Fokus rassistisch motivierter Mordtaten stehen. Es seien bereits mehrere Taten bekannt, von den Tätern fehlt jede Spur, weitere Opfer sind zu befürchten. Falls jemand weiterführende Hinweise habe, möge er die unten eingeblendete Nummer anrufen, könne sich aber auch an jedes Polizeirevier wenden.

Ich denke nicht, dass ein solches Vorgehen zu ernst zu nehmenden Hinweisen geführt hätte. Ich bin mir aber sicher, dass Teile Hamburgs gebrannt hätten. Und ich halte die Möglichkeit von Ausschreitungen, Straßenschlachten und eventuell auch Toten für wahrscheinlich. Jedenfalls hätte ich nicht die Verantwortung übernehmen wollen, dieses Pulverfass zu zünden.

Zielführende Hinweise hätte ich noch am ehesten durch Informationen aus dem Umfeld des NSU erwartet. Um aber solche Informationen zu bekommen, musste man – zwingend – den Weg über V-Leute wählen. Auch dieses Vorgehen wurde zum Vorwurf gemacht.

In diesem Zusammenhang gestatten Sie mir ein kurzes Wort zum viel beschworenen “Netzwerk”. Frei nach Benjamin Franklin: Selbstverständlich können drei Menschen ein Geheimnis bewahren. Wenn zwei von ihnen tot sind. Das hier dargestellte vermutete Unterstützer-Netzwerk des NSU hätte aus mehr Personen bestanden als ein dörflicher Männergesangsverein. Wenn so viele Personen von einem so monströsen Geheimnis wissen, halte ich es für ausgeschlossen, dass dieses Geheimnis über zehn Jahre lang durch sämtliche Alkoholabstürze, Bettgeflüster, persönliche Feindschaften oder schlicht durch die Möglichkeit, durch einen Deal der Strafverfolgung zu entgehen, gewahrt worden wäre. Ganz abgesehen von diesem altmodischen Gewissen, dass man Nazis generell abspricht, das aber bei dem einen oder anderen vielleicht doch zum Tragen gekommen wäre. Denn prinzipiell gegen jemanden etwas zu haben, ist etwas ganz anderes, als zu goutieren, dass diesem Jemand ins Gesicht geschossen wird.

Nach vier Jahren Verhandlung kann man, insbesondere durch die mediale Aufarbeitung des Prozesses, den Eindruck gewinnen, der NSU war lediglich durch den privaten und institutionellen Rassismus möglich. Was gewiss unzutreffend ist: Der NSU war möglich, weil ein höchst unglückliches Schicksal drei Menschen zusammengeführt hat, deren Wut, deren Hass, deren antisoziale Persönlichkeiten Mord und Terror über Deutschland brachten. Mit dem Ziel, Migranten die Botschaft zu vermitteln, dass Deutschland nicht ihre Heimat sei. Dass sie in Deutschland persona non grata seien. Unter diesem Aspekt war der NSU überaus erfolgreich. Die Botschaft an die Migranten, sie seien ihres Lebens nicht mehr sicher, ist zu meinem tiefsten Bedauern nicht mit dem NSU gestorben. Und diesmal sind es keine rechtsextremen Terroristen, die vermitteln, Deutschland sorge sich nur um die Deutschen, sondern es sind Anwälte und Journalisten. Ich kann im Namen meiner Mandantin nur appelieren, auch in der wohlmeinendsten Berichterstattung nicht die Herkunft eines Menschen als Erklärungsversuch heranzuziehen, wenn die Erklärungen fehlen. Das wäre auch das, was sich meine Mandantin für die Zukunft wünscht. Als Mensch wahrgenommen zu werden. Nicht als Opfer. Ihren Schmerz nicht von Menschen benutzen zu lassen, die ihre eigenen Ziele durchsetzen wollen und sich dabei anmaßen, für meine Mandantin zu sprechen.” Zitat Ende

(aus “Der NSU-Prozess. Das Protokoll”; Ramelsberger, Ramm, Schultz, Stadler, herausgegeben von der Bundeszentrale für politische Bildung im Jahr 2019; Band 2; Seiten 1619 bis 1624)