Vorgestern bei Markus Lanz [1]: Als wäre er Kaiser Karl der Große, wagte niemand den „SPD-Gesundheitsexperten“ darauf anzusprechen, wo denn seine noch vor wenigen Wochen prognostizierten 10.000 Toten geblieben sind – also die (seinen damaligen Worten nach) auf Intensivstationen binnen sechs Wochen erstickenden Berufstätigen, Eltern kleiner Kinder, vom Virus unverhofft mitten aus dem Leben gerissen.
Das Massensterben der Noch-nicht-Senioren, das er sich zusammengedichtet hatte – mit dem inzwischen bekannt gewordenen kleinen Schönheitsfehler, dass er „leider vergessen“ hatte dem Publikum mitzuteilen, was sein Schreckensbild in Wirklichkeit war: reine faktenfreie Spekulation und gerade nicht die reine Wissenschaft, für die dieser emotional unterkühlte „Experte“ doch angeblich so unverbrüchlich steht.
Nein, nur ganz allgemein die Frage, warum er vom Pessismist zum Optimist geworden sei, wurde ihm zugemutet. Das schien ihn zu beflügeln. Denn wer gedacht hatte, „Fliegenkalle“ würde quasi defensiv agieren, die altbekannte Platte vom strengen Super-Lockdown auflegen und die Bundesnotbremse als erfolgs-entscheidenden Rettungs-Faktor preisen, der musste sich nun verwundert die Augen reiben:
Er habe schon im Januar gewusst, dass wir einen guten Sommer haben werden und Ende Mai werde Deutschland endgültig durchstarten. Ach ja, die verschwundene dritte Welle – wo es exponentiell aufwärts gehe, da gehe es eben auch wieder exponentiell abwärts.
„Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern“ – zu Adenauers Zeiten und noch lange danach hatten es Politiker nötig, plötzliche Wendungen mit einem solchen verbalen Augenzwinkern zumindest andeutungsweise zu entschuldigen, wenn sie nicht wüst beschimpft werden wollten, z.B. als „Wendehälse“, wie man das reihenweise ab 1990 erleben konnte.
Lauterbach scheint das nicht nötig zu haben, sondern uns vielmehr zeigen zu wollen, dass wir in Orwellschen Zeiten leben, in denen er als Gesandter des Großen Bruders das amtliche Narrativ jederzeit beliebig und auch rückwirkend abändern kann: Seine heutigen Wahrheiten hat er schon immer vertreten – wenn Sie sich anders erinnern, dann haben Sie eben einen Gedächtnisfehler.
Diese Blöße wollten sich die anderen Anwesenden offensichtlich nicht geben und so blieb unausgesprochen, dass des Kaisers neue Kleider vielleicht nur aus einem Luftgewand bestehen.
Dann nennt er aber doch noch einen Grund, warum es so gut laufe: der Stand der Impfungen. Bei nur 10 Prozent vollständig (d.h. zweifach) Geimpften klingt das zwar nicht sonderlich überzeugend, aber es gibt ja noch das Drittel Deutschlands, das wenigstens den ersten Pieks hat. Lauterbach stimmt das Loblied der Erstimpfung an, die epidemiologisch bereits schon so richtig wohltuend reinhaue.
Lästige Gegenbeispiele interessieren niemanden.
Auf das einen Tag zuvor bekannt gewordene Missgeschick des Bundesinnenministers geht nämlich weder er noch sonst jemand aus der Lanz-Runde ein:
Seehofer hat sich – trotz Erstimpfung im April – mit Corona infiziert und ist in häuslicher Isolation, [2].
Indirekt kommt Lauterbach aber doch noch auf Seehofer zu sprechen: in seinem Loblied auf AstraZeneca, das er sich als Unter-60-jähriger hatte spritzen lassen.
Bekanntlich hatte der 71-jährige Seehofer vor sechs Wochen gegen die Aufforderung von Jungspund Jens Spahn gebockt, als dieser von seinen Kabinettskollegen über 60 verlangte, als vertrauensbildende Maßnahme dem Volk ein Vorbild zu geben und sich doch bitte impfen zu lassen mit dem umstrittenen AstraZeneca, das zunächst gar nicht an Senioren und dann plötzlich nur noch an Senioren „verimpft“ werden sollte [3].
In einem taktisch wichtigen Punkt will Lauterbach seinen Impf-Optimismus aber eingeschränkt wissen:
Die Impf-Unwilligen sollten nicht glauben, den Eintritt der Herdenimmunität abwarten zu können und (quasi als Trittbrettfahrer) ohne eigenes Impfen dann den Schutz der anderen mitgenießen zu können. Denn die Wissenschaft (oder waren es nur ein paar US-Bundesstaaten?) hätten das Konzept der Herdenimmunität inzwischen verworfen.
Er versichert den Ungeimpften daher: Jeder von ihnen werde irgendwann Corona bekommen. Sie sollten daher bedenken, dass eine Impfung wenigstens vor schweren Verläufen schütze.
„Irgendwann“ Corona bekommen – da fällt einem doch sofort ein: Wie geht es denn eigentlich nach Lauterbachs tollem Sommer 2021 weiter? Im Herbst und Winter kommen mit der Kälte bekanntlich die Viren zurück und Lauterbach deutet an, dass dies auch für Corona gelten wird. Das Chamäleon, das jetzt vor Optimismus nur so strotzt, wird sich dann wohl wieder in die Kassandra zurückverwandeln, als das wir es bestens kennen.
Genaueres braucht er uns nicht verraten – das ist der Job der Regierungen, die bereits gehandelt haben:
„Neuer Riesenauftrag für BioNTech / Bis 2023 kauft die Europäische Union in großem Umfang Corona-Impfstoff”, [4] – gegen welches Virus auch immer.
Werden dann „Suppenkasper” wie Seehofer in Pension sein und wir alle brav die Suppe auslöffeln, die Lauterbach und Co. uns einbrocken?
[1] https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-12-mai-2021-100.html
[2] https://www.tagesspiegel.de/politik/horst-seehofer-in-quarantaene-bundesinnenminister-trotz-erstimpfung-mit-corona-infiziert/27178420.html
[3] https://www.tagesspiegel.de/politik/lasse-mich-nicht-bevormunden-seehofer-will-kein-astrazeneca-steinmeier-laesst-sich-impfen/27062114.html
[4] https://www.dw.com/de/neuer-riesenauftrag-f%C3%BCr-biontech/a-57469720
Ein Gedanke zu „Guru Lauterbach: Plötzlich Corona-Optimist oder nur Chamäleon?“