Der damalige Bereitschaftspolizist Martin Arnold wurde Opfer eines feigen Überfalls, ihm und seiner Kollegin Michele Kiesewetter (MK) wurden in die Köpfe geschossen, MK überlebte nicht. Seine Erinnerungen könnten ein wenig Licht ins Dunkel bringen, jedoch scheint er in seinen “Erinnerungen” beeinflusst geworden zu sein.
Warum sollten die eigenen Kollegen ein Interesse daran haben, ihn zu manipulieren, wenn sie den Überfall hätten aufklären wollen? 2011 taucht schließlich ein ärztliches Attest auf, dass er sich an nichts mehr erinnern könnte, was den Überfall betrifft.
Auf welchen Beispielen basiert mein Eindruck der Zeugenmanipulation? Es könnte natürlich auch ein Zufall sein, aber Arnold scheint seine Erinnerungen an die jeweilige Ermittlungsrichtung angepasst zu haben. Manchmal erscheint es auch, dass er Ungereimtheiten in der offiziellen Darstellung durch (nachträgliche) Erinnerungen auflöst.
Ich will damit auf keinen Fall Martin Arnold angreifen – ich wüsste nicht, wie ich mich in seiner Situation verhalten würde. Falls mein Eindruck jedoch richtig wäre, könnten seine Aussagen damit erklärt werden, dass er Angst vor den Tätern hat(te) und sich deshalb fügte.
Laut Darstellung der Sonderkommission (Soko) kauften die überfallenen Polizisten Michele Kiesewetter (MK) und Martin Arnold gegen 11:30 bei der Bäckerei Kamps eine Brotzeit ein. Die Verkäuferinnen sagten aus, dass sie beide Beamten von früheren Einkäufen her kannten. Damit ist ausgeschlossen, dass es sich um Arnold handelt, da er das erste Mal in Heilbronn gewesen war. Es war überhaupt der zweite Einsatz des Polizisten.
In seiner ersten Vernehmung am 06.06.07 sagte er, dass “jeder für sich selber” in der Bäckerei eingekauft hätte.
Bei seiner zweiten Vernehmung am 04.07.07 passiert etwas sehr seltsames. Auf einmal hätte er im Streifenwagen außerhalb der Bäckerer gewartet und MK hätte für ihn eingekauft. Im Satz davor sagte er, dass er ja das erste Mal in Heilbronn gewesen wäre.
“Mir war diese Bäckerei bis zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt. Dazu muss ich nochmals sagen, dass ich an diesem Tag erstmals in Heilbronn war. Die Michele ist dann alleine zu dem Bäcker in den Laden gegangen und hat mir auch etwas mitgebracht.”
Es kommt so vor, als ob ihm jemand im Vorfeld sagte: “Du kannst gar nicht in der Bäckerei gewesen sein, weil die Verkäuferinnen den Polizisten von früheren Einkäufen her kannten.”
Am 07.02.08 wiederholte Arnold, dass MK alleine in die Bäckerei gegangen war.
Am 27.02.2008, so steht es wörtlich im Vernehmungsprotokoll, sei ihm “wieder eingefallen”, dass er mit MK zusammen in der Bäckerei war. Fett markiert direkt unterhalb dieser Aussage wurde eingefügt, dass …
“… die Angaben des Geschädigten ARNOLD (…) übereinstimmend mit den Feststellungen der Soko Parkplatz [wären]. Es konnte nachvollzogen werden, dass PM’in Kiesewetter und PM Arnold gemeinsam in der Kamps-Filiale in der Sülmerstraße 68 erschienen und Backwaren kauften (…).”
Offensichtlich war es wichtig, diese Feststellung -fett- zu betonen. Warum? Hinterfragten sie zuvor Ermittler?
Zeugen sahen gegen 11:45 und um 13:45 einen Streifenwagen im nördlichen Bereich der Theresienwiese stehen, in der Nähe der Bahnunterführung. Die Frage ist, ob er in diesem Moment in dem Wagen saß und die gekaufte Brotzeit verzehrte. Am 22.04.2008 erinnerte sich Arnold, dass sie auch dort gestanden wären.
“Bei der ersten Rauchpause waren wir nicht an der gleichen Stelle, sondern irgendwo weiter in der Parkreihe da vorne. Aber auch links von dem Weg hier.”
Diese “passenden” Änderungen in den Aussagen würden nicht weiter ins Gewicht fallen, wenn nicht ein Schema in den Vernehmungsprotokollen erkennbar wäre: Zwei wichtige Zeugen passten ihre Aussagen nachträglich an, so dass sie vom Verdacht auf ein blaues Auto ablenkten.
Ein anderes Beispiel ist, dass Arnold in keiner seiner Vernehmungen aussagte, dass MK zuerst angeschossen wurde. Genau dies hätte er jedoch seiner Freundin geschildert. Rebecca V.:
“Er hat mir erzählt, dass er aus dem Augenwinkel heraus mitbekommen hat, dass an Micheles Fenster eine Person mit einer Waffe stand. Er hat mir auch erzählt, dass Michele zuerst angeschossen wurde.”
Diese Darstellung deckt sich mit dem wahrscheinlichsten Tatablauf, den ich hier geschildert habe. Dazu im Gegensatz behauptet die Soko, dass beide Opfer nahezu gleichzeitig angeschossen wurden. Dementsprechend dementierte Arnold die Darstellung seiner damaligen Freundin. Er wurde am 16.05.2011 kurz nach ihrer Vernehmung dazu befragt.
Vorhalt:
Am 11.05.2011 wurde deine frühere Freundin, Rebecca V., als Zeugin vernommen, sie gab u. a. an, dass du ihr erzählt haben sollst, dass du aus dem Augenwinkel heraus mitbekommen haben sollst, dass an Micheles Fenster eine Person mit einer Waffe stand. Was kannst du dazu sagen, nachdem dies bisher so von dir nicht gesagt worden ist?
Antwort:
Ich habe nie der Rebecca gegenüber geschildert, dass der Mann auf der Seite von Michele eine Waffe in der Hand hielt. Es war so, wie ich bisher geschildert habe. An diesem Sachverhalt hat sich meiner Erinnerung nach nichts geändert. (…)”
Ein erster Schuss auf MK hätte weitreichende Folgen, da MK vom Angriff völlig überrascht wurde. Die aus meiner Rekonstruktion resultierende Analyse würde eher dafür sprechen, dass ihr Mörder aus dem (beruflichen oder privaten) Bekanntenkreis stammt.
Arnold wird auch darauf angesprochen, dass laut seiner Freundin er ein “komisches Gefühl” gehabt hätte, als er zusammen mit MK die Theresienwiese anfuhr. Auch dies dementiert er. Hier ist anzumerken, dass im Vernehmungsprotokoll der Freundin diese Aussage (“komisches Gefühl”) nicht steht! Wurde die Aussage aus dem Protokoll entfernt?
“Vorhalt:
In dieser besagten Vernehmung sagte Fr. V., dass du schon bei der Einfahrt in die Theresienwiese ein komisches Gefühl gehabt haben sollst. Wodurch wurde dieses Gefühl ausgelöst und wie hat sich das Gefühl bei dir gezeigt?
Antwort:
Auch davon habe ich ihr nie berichtet. Es war auch nicht so, dass ich ein komisches Gefühl hatte, hätte ich ein komisches Gefühl gehabt, dann wäre ich bestimmt nicht auf diesen Platz gefahren, um dort eine Vesper- und Zigarettenpause zu machen, bzw. hätte ich der Michele gesagt, dass sie weiterfahren soll.”
Im März 2009 platzt das “Phantom von Heilbronn”, bei dem unbekannten DNA-Muster handelte es sich um ein verunreinigtes Wattestäbchen. Bis dato konnte Arnold das Gesicht des Schützen nicht näher beschreiben.
“Frage:
Kannst Du Dich an das Gesicht der Person erinnern?
Antwort:
Nicht genau. Eigentlich weiß ich nur, dass er keinen Bart und keine Brille trug. Ich kann auch über die Herkunft (Nationalität) der Person keinerlei Aussagen treffen. Wenn ich diesbezüglich etwas sagen würde, wären das reine Spekulationen meinerseits. Ich bin mir sicher, dass es sich bei dieser Person um einen Mann handelte. Sonstige Auffälligkeiten im Zusammenhang mit dieser Person sind mir nicht in Erinnerung.”
Ab Juli 2009 wurde die Spur “Landfahrer” näher beleuchtet, da Polizeispitzel während Knastgespräche (die Juli 2007 stattfanden) einen Hinweis auf die Täter mitbekamen. Diese Hinweise stammen einzig von verschiedenen Mitgliedern der Familie H.! Die Soko befragte das Umfeld und den verdächtigten Mijodrag P., Spitznamen “chico”, zum ersten Mal telefonisch am 05.08.2009, die erste persönliche Befragung fand am 12.08.2009 in Serbien statt.
07.09.2009 wurden Arnold 7 Lichtbildmappen mit Fotos von Männern vorgelegt. Arnold wurde anschließend die Möglichkeit eingeräumt “sich nochmals über die Sache Gedanken zu machen” (Ordner 7, S. 191). Am 11.09.2009 identifizierte er “chico” als den Schützen. Er begründete:
“Was konkret sagt Dir dieses Bild; woran konkret erkennst Du diese Person?
“Zum einen sind es die mittellangen gepflegten Haare, es könnten aber auch kurze Haare gewesen sein, mit Sicherheit aber keine langen Haare, oder eine Glatze. Dann ist es der dunkle Typ und die dunkle Haarfarbe und die schmale Gesichtsform. Bereits an dieser Gesichtsform erkennt man, dass es sich bei diesem Mann um keinen dicken Mann gehandelt hat. (…)”
Der DNA-Vergleich war jedoch negativ. Das Ermittlungsverfahren wurde schließlich durch die Staatsanwaltschaft am 13.10.2010 beendet.
Martin Arnold erstellte am 02.11.2010 ein Phantombild des Mannes, der ihn überfallen hatte. Einen Monat später wird der Bereitschaftspolizist Marcello P. ein zweites Mal von der Sonderkommission befragt. Auf einmal sagt er: “Mir fällt noch ein”.
“Mir ist dieser Vorfall erst im Nachhinein nochmals in den Sinn gekommen. Als ich in Heilbronn nach der Tat vernommen wurde, habe ich nichts darüber erzählt.”
Im Gegensatz zu seiner 2007-Befragung schildert er ausführlich einen Vorfall, der sich ereignete als er und MK in der Nacht vor dem Überfall privat ausgingen: Ein südländisch aussehenden Mann hätte MK beobachtet und “dreckig gegrinst”. Dann wäre er weggelaufen. Wie kann das sein, dass Marcello P. den Vorfall in seiner ersten Vernehmung nicht erwähnte?
Anschließend werden Marcello P. Phantombilder vorgelegt – er wählt ausgerechnet das Bild von Arnold aus! Kannte Marcello P. bereits das Phantombild Arnolds, so dass er es auswählen konnte?
Die Staatsanwaltschaft präsentierte Mitte 2011 ein Gutachten, dass sich Arnold höchstwahrscheinlich an nichts mehr erinnern kann. Arnold zog sein Phantombild zurück.
Im NSU-Prozess zeigt sich sein Anwalt Martinek überzeugt, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos die Schützen gewesen wären.
“An der Täterschaft von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos kann auch nach Einschätzung der Nebenklage keinerlei Zweifel bestehen, unabhängig davon, ob es weitere Beteiligte gab oder nicht.”