Warteten am 25. April 2007 vor dem Anschlag mehrere Männer auf der Heilbronner Theresienwiese, wo die Polizeimeisterin Michèle Kiesewetter erschossen und ihr Kollege Martin Arnold schwer verletzt wurden? Wenn ja, worauf warteten sie? Und: War einer der Männer ein V-Mann des Verfassungsschutzes? – Unterdessen belegen Akten: Das BKA kann „keinen Nachweis erbringen, daß Böhnhardt und Mundlos am Tatort“ in Heilbronn waren.
Es sind die Phantombilder im Heilbronner Polizistenmord, die zu immer mehr Fragen führen. Nach dem tödlichen Angriff auf die zwei Beamten ließ die Polizei aufgrund von Zeugenaussagen insgesamt 15 Phantombilder fertigen. Sie können entweder weitere Zeugen am Tatort oder mögliche Täter und Mittäter des Anschlages darstellen. Ein Zeuge zog sein Phantombild später zurück. Er erklärte, seine Beobachtung frei erfunden zu haben. Auch Martin Arnold, der Polizeibeamte, der den Anschlag schwer verletzt überlebte, trug ein Phantombild zu den Ermittlungen bei. Er will einen der Täter im Rückspiegel kommen gesehen haben, als er und Michèle Kiesewetter mit dem Streifenwagen auf der Theresienwiese standen. Arnold saß rechts auf dem Beifahrersitz. Möglicherweise rettete ihm eine Kopfbewegung nach rechts, weil er im Seitenspiegel eine Person wahrnahm, das Leben. Die Kugel drang nicht mitten durch den Kopf wie bei seiner Kollegin. Arnold wurde schwer verletzt, konnte aber nach sechs Wochen von der Kriminalpolizei erstmals zu seinen Wahrnehmungen vernommen werden. Insgesamt wurde er zwölfmal befragt.
Die 14 – übriggebliebenen – Phantombilder wurden offiziell nie veröffentlicht, bis heute nicht. Drei Bilder zeigen Männer, die blutverschmiert gewesen sein sollen. Die Sonderkommission (SoKo) Parkplatz wollte drei der 14 Bilder zur Fahndung herausgeben. Jenes, das nach Angaben des niedergeschossenen Polizeibeamten erstellt worden war. Eines von einem Mann, den ein Ehepaar wild über eine Wiese flüchten sah. Und eines von einem Mann, dessen rechte Seite blutverspritzt war und der in ein wartendes Auto sprang, das mit quietschenden Reifen davonfuhr. Der Zeuge dieser Situation war ein V-Mann der Heilbronner Polizei („V-Person 1749“), wie aus den Ermittlungsunterlagen hervorgeht. Ob er am 25. April 2007 einen Auftrag hatte, geht aus den Papieren nicht hervor.
Die Veröffentlichung der drei Phantombilder scheiterte am Veto des zuständigen Staatsanwaltes von Heilbronn. Er erklärte die Zeugen schlicht für unglaubwürdig. Sämtliche Phantombilder wurden allerdings allen Polizeibeamten vorgelegt, die zu der Tat befragt wurden – Kollegen der getöteten Polizistin aus Böblingen und Heilbronn.
Der Mord wird von der Bundesanwaltschaft Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zugeschrieben. Allerdings ähnelt kein einziges der Phantombilder Böhnhardt oder Mundlos, deren Gesichter inzwischen allgemein bekannt sind. Auch die Staatsanwaltschaft Heilbronn kommt in ihrem Übergabebericht an die Bundesanwaltschaft zu diesem Urteil. Die Karlsruher Behörde selber kam Anfang 2012 nach der Übernahme der Ermittlungen zu der Einschätzung, „keines der Phantombilder kann als irrelevant bewertet werden.“ Gleichzeitig wollte sie aber ein Gutachten in Auftrag geben, das eine Ähnlichkeit von Phantombildern mit Böhnhardt und Mundlos feststellen sollte. Das gelang nicht. Den Zeugen, nach deren Angaben die Phantombilder erstellt worden waren, wurden Bilder von Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe und dem Angeklagten Holger Gerlach zur Identifizierung vorgelegt. Ergebnis ebenfalls negativ: Niemand erkannte bei den Vier jemanden, der am 25. April 2007 aufgefallen war. Die Anklagebehörde musste eingestehen, im März 2012, „nach wie vor keine Klarheit über Ablauf der Tat und Anzahl der beteiligten Personen zu haben.“ Und Ende Oktober 2012 kam das BKA gar zu dem Ergebnis:
„Ein eindeutiger Nachweis, dass zumindest Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos am Tattag in unmittelbarer Tatortnähe waren, konnte bislang nicht erbracht werden.“
Etwa zwei Wochen später, im November 2012, stellte das die Bundesanwaltschaft in ihrer Anklageschrift ganz anders dar. Nun stehen für sie Böhnhardt und Mundlos als Alleintäter fest. Wie sie zu dieser widersprüchlichen Neubewertung gekommen ist, verrät die Behörde nicht.
Im Sommer 2013 veröffentlichten drei Zeitungen die 14 Phantombilder. Ein pensionierter Beamter des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) von Baden-Württemberg, Günter S., sah sie und meldete sich beim Innenministerium in Stuttgart mit der aufregenden Nachricht, dass es sich bei einem der Phantombilder um einen früheren Informanten handeln könnte. Dieser Informant soll ihm, wie Günter S. vor dem Untersuchungsausschuss in Berlin berichtet hatte, im Jahre 2003 von einer rechtsterroristischen Gruppierung namens „NSU“ erzählt und mehrere Namen genannt haben, u.a. Mundlos. Das Amt ging den Hinweisen seines Mitarbeiters damals – 2003 – nicht nach. Der Informant war anfänglich als „Staufenberg“ bekannt, sein bürgerlicher Name ist Torsten O. Heute weiß man, dass er einmal V-Mann des LfV Baden-Württemberg war, Deckname „Erbse“. Hielt er sich am 25. April 2007 auf der Theresienwiese in Heilbronn auf?
Das besagte Phantombild (Nummer acht) zeigt einen Mann, der sich zusammen mit drei anderen Männern etwa eine dreiviertel Stunde vor dem Mordanschlag am Rande der Theresienwiese aufhielt und dort einem Passanten auffiel. Das Innenministerium behauptet, zwischen Phantombild Nr. 8 und dem früheren V-Mann Torsten O. bestehe „keine Ähnlichkeit“. Ein Passbild von Torsten O. aus dem Jahr 1994, das sich in den Unterlagen des NSU-Untersuchungsausschusses findet und seiner Haftakte entstammt, stützt ein solches Urteil aber nicht.
Der Sachverhalt gehört aufgeklärt: Wo hielt sich Torsten O. am Tag des Polizistenmordes auf? Hat er ein Alibi? Jener Zeuge, nach dessen Angaben Phantombild Nr. 8 erstellt wurde, ein älterer Heilbronner Bürger, erinnert sich gegenüber dem Journalisten sieben Jahre später genau an die Situation an jenem 25. April 2007. Er fuhr mit dem Fahrrad quer über den Festplatz Theresienwiese, als ihm die vier Männer auffielen. Zwei kauerten im Gras, zwei standen. Zu ihnen gehörte ein uraltes einachsiges Wohnwagenmodell. „Die Vier sahen aus, als ob sie auf irgendetwas warteten“, erklärt der Rentner. Sie redeten nicht miteinander und gehörten nicht zu den Schaustellern, die damals mit dem Aufbau des Frühlingsfestes beschäftigt waren. Den Mann, von dem das Phantombild gefertigt wurde, beschreibt er als sehr groß: „Etwa zwei Meter, ein Kerl wie ein Schrank.“ Er lehnte an der geöffneten Tür des Wohnwagens. Vor ihm stand ein wesentlich kleinerer Mann. In dem Passbild von Torsten O. von 1994, also 13 Jahre vor dem Tatjahr, vermag der Zeuge den Mann nicht unbedingt zu erkennen. Das Gesicht sei zu schmal. Doch er ergänzt: Jenen Mann von der Theresienwiese würde er jederzeit wiedererkennen. Was zusammenpasst, ist die ungewöhnliche Körpergröße. Verfassungsschützer S. schätzt Torsten O. etwa 1.90 Meter groß und wählt ein ähnliches Bild, wie der Zeuge: „Der hatte eine stattliche Figur.“
Und dann schildert der Heilbronner Zeuge noch diese Merkwürdigkeit: Bei seiner Befragung 2007 habe ihm ein Kriminalbeamter Luftaufnahmen von der Theresienwiese gezeigt, die vom Polizeihubschrauber aus kurz nach dem Anschlag gemacht wurden. Der alte Wohnwagen ist darauf nicht mehr zu sehen. Die wartenden Männer hatten den Anschlagsort offensichtlich verlassen.
Quelle: Ermittlungsbericht Staatsanwaltschaft
Waren am 25. April 2007 V-Leute zeitlich und räumlich in der Nähe des Mordes? Neben der „VP 1749“ machten laut Ermittlungsunterlagen zwei weitere V-Personen der Heilbronner Polizei unabhängig voneinander ähnliche Angaben zu möglichen Tätern, die im Bereich der „organisierten Kriminalität“ (OK) zu suchen seien. Wo sich die V-Personen am Tag des Anschlages genau aufhielten, ist unklar. Ihre Hinweise führten die Ermittler letztlich nicht zum Ziel. Insgesamt machten damit mindestens drei Informanten der Polizei Angaben im Zusammenhang mit der Mordtat.
Doch nicht genug. Offiziell bestätigt ist, dass sich ein Quellenführer des LfV am Anschlagstag gegen 15 Uhr in Stuttgart auf den Weg nach Heilbronn gemacht hat, um dort einen Informanten (aus dem Bereich Islamismus) zu kontaktieren. Summa summarum könnten sich mindestens fünf Informanten von Polizei und Verfassungsschutz sowie ein Hauptamtlicher um den bis heute ungeklärten Mordfall herum bewegt haben.
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Hinweis: Am kommenden Montag, 26.5.2014, erscheint das Buch „Geheimsache NSU. Zehn Morde, von Aufklärung keine Spur“ (Verlag Klöpfer und Meyer), herausgegeben von zehn Autoren mit Recherchen über die NSU-Mordserie wie über die Vertuschungspraktiken seitens der Behörden. In dem Buch finden sich auch Informationen zum Heilbronn-Mord aus diesem Beitrag.
@ fatalist:
Du fragst Dich drüben bei politikforen:
Das war Kapke. Dessen Funktelefon war ja auch in Eisenach eingeloggt. Schade, daß die beiden Uwes dem Kapke nicht den Trick mit den abgeklebten Akkus beigebracht hatten….
@ fatalist:
Die Kapke-Geschichte war natürlich ironisch gemeint, was ich mit dem verwendeten Smiley hoffte, ausreichend deutlich gemacht zu haben.
Kapke hat ja, wie in Eurem unübersichtlichen Mammut-Strang gemeldet wurde, selbst gegenüber Götzel im Münchner Prozeß selbstironisch auf seine unsportliche Figur Bezug genommen.
Aber weshalb ich hier nochmals schreibe:
Bei Euch herrscht große Aufregung um die Aussage der Augenzeugin in Austs neuem Buch, daß sie schon vor dem Eintreffen der Polizei den Geruch von verbranntem Kunststoff wahrgenommen habe.
Ich bin mir aber hundertprozentig sicher, daß das ein “alter Hut” ist. Ich hatte das mit Sicherheit schon vor längerer Zeit irgendwo gelesen oder gesehen.
Wenn es nicht bei Euch im Strang war (das Vergnüngen, den nach dieser bewußten Aussage zu durchforsten, werde ich mir nicht antun 😉 ), so könnte es auch noch evtl. in dieser n24-Reportage mit dem Büchsenmacher aus dem Erzgebirge hinsichtlich zweiter Pumpgun-Patrone gewesen sein.
Irgendwo war das schon vor längerer Zeit erwähnt worden, da bin ich mir, wie gesagt, vollkommen sicher.
[ZITAT]
Im Sommer 2013 veröffentlichten drei Zeitungen die 14 Phantombilder.
[ZITAT ENDE]
Es darf bezweifelt werden, ob die veröffentlichten Fotos die echten Phantombilder sind angesichts des signierten “Putins” mit dem befremdlichen Logo und ohne die üblichen Angaben wie Datum etc.