Die Auswertung ihres SMS-Verkehrs hätten keine Ermittlungsansätze erbracht. Die Ergebnisse werden mit „unauffällig”1 und „ohne Verfahrensrelevanz” beschrieben. Die baden-württemberger (bw) Abgeordneten befragten die NSU-Ermittlerin Nicole K. über ihre Auswertung. Ihre Antwort macht deutlich, dass sie einfach die Richtigkeit der von der Soko-alt ermittelten „SMS-Daten“ vorraussetzte.2 Dabei beweist ein Fehler die leichte Manipulierbarkeit der SMS, die in der Excel-Tabelle stehen:
In der Excel-Tabelle stehen drei SMS, für die als Absender ein „Hör.“ eingetragen ist. Die Handynummer stimmt jedoch nicht mit der Nummer überein, die für „Hör.“ im Telefonbuch abgespeichert ist. Stattdessen handelt es sich um die Handynummer von Dominik W., der diese SMS am 24. April 2007 an seine Freundin geschrieben hat. Da beide Nummern (von „Hör.“ und Dominik W.) auf 485 enden, ist die Ungereimtheit auf einen bei der manuellen Eingabe passierten menschlichen Fehler zurückzuführen. Die Daten aus der Excel-Tabelle sind also nicht automatisch erstellt worden, sondern wurden von Hand eingegeben. Damit war Manipulation Tür und Tor geöffnet. Folgende Punkte unterliegen dem Manipulationsverdacht:
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SMS von Manual B. wurden von O2-Servicenummer abgeschickt
In der Excel-Tabelle steht die Handynummer von Manuel B. als Absender von acht SMS: 09:51, 11:24, 11:36, 11:45, 11:57, 12:04, 12:21, 15:26. Laut des Einzelverbindungsnachweis (EVN) erhielt MK allerdings die SMS nicht von Manuel B. sondern von einer O2-Servicenummer. Es gibt laut EVN SMS-Nachrichten von MK an ihn, an folgenden Zeiten: 09:44, 10:31, 11:33, 11:40, 11:47, 12:01, 12:16.
Manuel B. sagte in seiner ersten Vernehmung 2007, dass er am Vormittag keine SMS an MK geschickt hätte. Er hätte erst in der Mittagspause Zeit gehabt, ihr zu schreiben.3
Das Handy von Manuel B. wurde am 30. April ausgelesen. Dort war keine einzige seiner gesendeten SMS vom Tattag vorhanden. MK schrieb ihm acht SMS. Von diesen SMS waren nur zwei (belanglose) SMS in seinem Handy vorhanden – ihre erste und letzte SMS.
Die offene Frage ist, wieviele SMS der O2-Servicenummer von ihm geschrieben wurden, und welchen Inhalt sie hatten. Ein Teil der SMS könnten von anderen Absendern stammen.
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SMS über eine nicht stattgefundene Beerdigung
In der Excel-Tabelle steht eine SMS, die MK am Dienstag, 24. April 2007 um 20:10 Uhr an den Kollegen Patrick Hä. geschrieben hätte: „Naja, ging so. War Samstag auf der Beerdigung von nem Schulkollegen. War ganz schön heftig.“4 Laut der Mutter fand die Beerdigung des Schulfreundes jedoch im Jahr 2005 statt!5 Auch Dominik W. bestätigte, dass ein Unfall in dieser Zeit passiert sei.6
Wie kann es sein, dass die “üblichen Verdächtigen” auftauchen, die (auftragsgemäß?) die Beerdigungsgeschichte nacherzählen?
- Manuel B. (Bepo Bruchsal) bestätigte die kürzlich stattgefundene Beerdigung und bereicherte die Geschichte sogar noch. MK hätte drei Tage vor ihrem Tod gesagt: „Das Einzige was ich (oder man) muss, ist Sterben.“7 Als er am 14. Dezember 2010 wieder danach befragt wurde, konnte er sich nicht erinnern: „Ich kann mich heute nicht mehr daran erinnern. Wenn ich es damals so angegeben habe, dann wird das so stimmen.“8
- Florian St. (Bepo Bruchsal) hätte ein SMS von ihr bekommen, dass sie am Samstag, 21. April 2007 nicht zum gemeinsamen Telekolleg-Unterricht kommen würde: „Als Begründung schrieb sie, dass sie nach Thüringen gefahren ist. Dort war eine Trauerfeier oder Beerdigung.“9
- Marcello P. (Bepo Lahr) konnte sich „ganz dunkel daran erinnern, dass sie irgendetwas von einem Unfall erzählt hat.“10
- Uwe B. (BFE 523) wusste von einer Beerdigung. „Konkretisieren kann ich es nicht.“11
Möglicher Hintergrund der “Beerdigungs-SMS“
Eine Erklärung der Ungereimtheit könnte ein menschlicher Irrtum sein. Die “Beerdigungs-SMS“ wurde zeitlich falsch abgespeichert: Im Jahr 2005 fand tatsächlich die Beerdigung ihres Jugendfreundes statt. Darüber dürfte MK den Kollegen Patrick Hä. 2005 per SMS informiert haben. Ihre SMS wurde jedoch mit dem falschen Datum in die Excel-Tabelle übertragen und so ins Jahr 2007 verlegt. Das weist darauf hin, dass bestimmten Zeugen vorab mitgeteilt wurde, was sie bei der Vernehmung sagen sollten.
- Ersetzten erfundene „Liebes-SMS“ Einsatzkommunikation?
Die Soko-alt behauptete, dass MK „mehrere Beziehungen hatte, die teils wenige Tage“ andauerten. Neben Dominik W. und Manuel B. hätte sie „parallel dazu (…) weiteren intimen Kontakt, überwiegend im Kollegenkreis“12 gehabt. Diese Darstellung wiederholte auch die Soko-neu zuletzt in ihrem Ermittlungsbericht vom 29. April 2010.13 Zur Bestätigung zitierte die Soko zum Teil derbe SMS, die Kiesewetter mit ihren Liebhabern ausgetauscht hätte. Deckte diese Legendenbildung Einsätze gegen den Täterkreis ab?
Seit 17. April entflammte Liebe zu Manuel B.?
Beispielsweise wären sich Manuel B. und MK während der BFE-Fortbildung nähergekommen. Kiesewetters Freund Dominik W. nahm gleichfalls als Unterstützungskraft bei der BFE-Forbildung teil.14 Ihm blieb allerdings verborgen, dass sich etwas zwischen seiner Freundin und dem Kursteilnehmer Manuel B. (in dem Zeitraum noch Bepo Göppingen) anbahnte. Laut Manuel B. wären sie sich bei der Abschlussfeier der BFE-Fortbildung Dienstagnacht, 17. April, näher gekommen und hätten sich in Kiesewetters Umkleideraum zurückgezogen.15 Die Gerätespeicher ihrer Handys zeichneten danach, vom 18. April bis 25. April, nur zwei Gespräche auf. Obwohl Volker G. auch auf der Feier war, obwohl Romy S. laut eigener Angabe im Umkleideraum war, im Bett neben dem Liebespaar lag, blieb die Liebesnacht unbekannt. Hervorzuheben sind hier vor allem die anderen Teilnehmer der BFE-Fortbildung, die auch während der Feier nichts von einer Affäre mitbekamen.16
Kollegen wiesen darauf hin, dass sie von der “Liebesbeziehung” erst nachträglich seitens der „Bild“ informiert wurden. Woher hatte die Bild-Zeitung überhaupt diese Information erhalten? Die „Bild“ verbreitete die Geschichte schon am 27. April: „Michelles neuer Freund, Polizist bei einer anderen Dienststelle, brach zusammen, als ihm die Nachricht überbracht wurde.“17 Vernommen wurde Manuel B. aber erst am 30. April. Bevor Soko-Ermittler ihn vernahmen, stand seine Geschichte schon in der „Bild“.
Völlig unglaubwürdig ist seine Reaktion: Manuel B. wurde erst fünf Tage nach dem Überfall vernommen, am 30. April, da er sich nicht selbst bei der Soko meldete. Er wurde von Ermittlern gefragt: „Warum hast Du Dich nicht bei uns gemeldet? Antwort: Ich wusste nicht, dass ich irgend welche Angaben machen können.”18 Dabei informierte Kiesewetter ihn am Tattag in einer SMS von einem Platzverweis, den sie bei einer Person durchgesetzt hätte.
Der Grund für die späte Vernehmung könnte alternativ gewesen sein, dass die Legendenbildung bis dahin noch nicht fertig “gestrickt“ war. Erst nach den inoffiziellen Absprachen könnten die Handys von MK, MA und Manuel B. manipuliert und anschließend ab dem 29. April “offiziell” ausgelesen worden sein. So würde sich die Verzögerung erklären lassen. Ihr SMS-Austausch am Tattag könnte in Wahrheit einen dienstlichen Hintergrund gehabt haben.
Beziehung mit Patrick Hä. (BFE 522) „kurz vor der Tat begonnen“?
Markus G. war am 25. April in Neckarsulm mit der BFE 522 eingesetzt gewesen. Als er am gleichen Tag zur böblinger Kaserne zurückkehrte, erfuhr er, dass MK mit Patrick Hä. eine Beziehung „kurz vor der Tat begonnen“19 haben könnte. Von genau diesem Patrick Hä. erhielt sie am 15. April gleich fünf Anrufe, morgens zwischen 01:44 und 01:55, mitten in der Nacht. Das Gesprächsthema ist unbekannt. Es folgte kein Rückruf von ihr. In der Zeit befand sich Kiesewetter im US-Objektschutz. Ab dem 16. April standen Streifenwagen am Trafohaus.
1O. 1, S. 85, Ermittlungsbericht vom 17.02.12, unterzeichnet Herbert T.
2Landtag Baden-Württemberg, NSU-UA, 37. Sitzung, 07.12.15, S. 55: Grundlage ihrer Auswertung waren “… die bereits durch die Soko Parkplatz in Heilbronn erhobenen Daten [gewesen]. Darunter fielen die ausgelesenen Daten der Mobiltelefone von M. K. und M. A., und außerdem lagen uns die bei den Providern erhobenen Verbindungsdaten vor. (…)”
3Vgl. O. 9, S. 341, A. a. 30.04.07: „In der Mittagspause tauschten Michèle und ich mehrere SMS aus.“
4O. 6, S. 100
5O. 6, S. 188, Vermerk vom 21.10.10: „Dieser ganze Sachverhalt war weder Frau Kiesewetter noch den Großeltern W. bekannt. Mit Sicherheit sei kein ehemaliger Schulfreund aus der Gemeinde Oberweißbach bei einem Motorradunfall zur damaliger Zeit ums Leben gekommen; denn dies hätten sie erfahren. Vor zwei Jahren sei ein ehemaliger Schulfreund bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen.“
6O. 12, S. 74, A. a. 28.06.11: „Außerdem hat sie mir mal von einem Unfall erzählt, der schon länger zurücklag, ich meine sogar noch vor der Ausbildung bei der Polizei. Hiervon hatte sie eine Narbe an der Augenbraue davongetragen. Ich glaube es war nach einem Diskobesuch auf dem Heimweg, wobei sich das Auto aufs Dach gelegt hat.“
7O. 9, S. 337, A. a. 30.04.07
8O. 9, S. 377, A. a. 14.12.10
9O. 11, S. 58, A. a. 02.05.07
10O. 11, S. 192, A. a. 02.12.10
11O. 10, S. 401, A. a. 25.05.11
12O. 6, S. 118, Vermerk vom 06.05.07
13Vgl. O. 2, S. 26
14Vgl. O. 11, S. 280, A. a. 07.12.10
15O. 9, S. 337, A. a. 30.04.07: „Es hat vorher schon „geknistert”, also wir freuten uns wenn wir uns sahen, aber unsere Liebe für einander haben wir uns erst am Abend der Abschlussfeier am 17.04.07 erklärt.“
16O. 11, S. 260: Jochen R.: „Zu Michèle: Ihr neuer Freund war mit mir zusammen auf dem BFE Lehrgang. Er hat schwarze Haare und ist oder war damals bei der Bepo Bruchsal. Frage: Wie kommst du darauf, dass er ihr neuer Freund war? Antwort: Dies habe ich erst nach der Tat mitbekommen (…).“
17Bild-Zeitung, „Die hingerichtete Polizistin“, 27.04.07, 0:01 Uhr, https://www.bild.de/news/2007/portrait-beruf-spur-1748620.bild.html
18O. 9, S. 339, A. a. 30.04.07
19O. 10, S. 87, A. v. 06.10.10