Die überfallenen Heilbronner Polizisten Martin Arnold und Michele Kiesewetter benutzen während ihres Einsatzes ihre persönlichen Handys. Zeitweise wählten sich die Handys in kilometerweit entfernte Funkzellen ein. Zwischen den beiden Funkzellen lagen zwischenzeitlich vier Funkmasten, die offenbar “übersprungen” worden wären. Nichtsdestoweniger sollen die beiden Polizisten (angeblich) gemeinsam auf Streife und von 12:30-13:30 in einer Schulung gewesen sein. Der Untersuchungsausschuss von Baden-Württemberg lud Experten ein und informierte sich über die Thematik. Hierbei kam das Grundproblem der Abgeordneten zum Vorschein: Sie stellen nicht die richtigen Fragen, wahrscheinlich weil sie nicht genug informiert sind.
In dem Artikel “Unterschiedliche Handystandorte – war Martin Arnold wirklich in einer Schulung?“ und in den Kommentaren stehen die wichtigsten Fakten, hier kurz zusammengefasst:
Kiesewetter fährt mittags zum Polizeipräsidium in der John F. Kennedystraße. Am gleichnamigen Handymasten wählte sich um 12:15 ihr Handy ein. Eine Minute davor um 12:14 buchte sich Arnolds Handy im 2,7 Kilometer entfernten Masten in der Moltkestraße ins Netz ein. Zwischen den Funkmasten in der Moltkestraße und dem Funkmasten in der Kennedystraße lagen vier übersprungene Funkmasten: Schmollerstraßé und Charlottenstraße (auf halben Weg zwischen Moltkestraße und John-F. Kennedystraße), dann direkt vor dem Polizeipräsidium in der Kauffmannsstraße und in der Lise Meitner Straße.
Desweiteren erscheint seltsam, dass sich das Handy von Kiesewetter stets mit einem Funkmasten am Europapark einwählte, während sie auf der Theresienwiese war. Dort gab es auch einen Handymasten.
Die Handymasten in Heilbronn sind in folgender Internetseite “Handymasten” aufgeführt. Die Reichweite der Sendemasten ist innerhalb von Städten mit maximal 500 Meter angeben, siehe “Sendekataster“:
“UMTS-Anlagen haben in der Regel eine Reichweite von nur ein paar hundert Metern, während GSM-Anlagen eine Reichweite von einigen Kilometern haben können. In ländlichen Regionen mit kleiner Mobilfunkdichte sind die Zellen dementsprechend groß (bis zu 4 Kilometer Durchmesser), in Großstädten hingegen klein (200 bis 500 Meter Durchmesser). Damit ein Handy sicher funktioniert, müssen sich die Empfangsgebiete der umliegenden Basisstationen überlappen – ähnlich wie bei Straßenlaternen, die in kurzen Abständen stehen, um eine Straße vollständig auszuleuchten.”
Telekom in “Fakten, Mobilfunktechnik” schreibt:
“Funkzellen sind je nach erwarteter Nutzerzahl unterschiedlich groß. Ihr Durchmesser liegt bei etwa 200 Metern in Städten und einigen Kilometern auf dem Land. Da die meisten Menschen innerhalb von Städten und Gemeinden telefonieren, sind gerade dort viele Stationen errichtet worden.”
Der Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg befragte dazu Wolfgang F. vom Landeskriminalamt (LKA).
Gleich zu Anfang sprach Ausschuss-Vorsitzende Wolfgang Drexler den LKA-Mann auf das Problem mit den unterschiedlichen Funkzellen an: “Was können Sie denn dazu sagen?”
“Z. W. F.: Also, das Handy bucht sich immer in die für es beste, sage ich jetzt mal, Funkzelle ein. Wenn ich jetzt in meiner linken Tasche und in meiner rechten Tasche ein Handy habe, das im gleichen Netz ist, kann es durchaus sein, abhängig auch von der Bauart vom Handy, dass sich das eine Handy in die Funkzelle des Betreibers A einbucht und die andere in die Funkzelle B. Also, die Funkzellen liegen nicht praktisch sofort nebeneinander, und da gibt es eine Schnittkante, sondern die überlappen sich auch ein bisschen. Uns so kann es dann also sein, dass der eine sagt: „Okay, jetzt bin ich gerade dort besser aufgehoben“, und dann das andere.” (die-anstifter)
Diese Antwort ist nicht befriedigend. Der vom Zeugen beschriebene Fall fand nicht statt. Es handelte sich nicht um nebeneinander-liegende, sich überlappene Funkzellen.
Der CDU-Abgeordnete Matthias Pröfrock las dem Zeugen aus Polizeiakten vor, dass sich das Kiesewetter-Handy um 15:26 Uhr in der Funkzelle Europaplatz einbuchte. Er zitiert einen Polizeibericht, dass die “Überlastung näher gelegener Funkmasten” in und an der Theresienwiese dafür ursächlich wäre.
Der LKA-Zeuge sagte aus, dass laut eines Technikers diese Erklärung nicht möglich wäre. Statt Funkmasten zu überspringen und einen kilometer-weit entfernten Masten zu benützen, hätte das Handy einfach keine Verbindung zu einem Netz herstellen können. Die Abgeordneten sollten diese Frage dem Sachverständigen fragen, der ja geladen ist (diese Frage stellten die Abgeordneten nicht dem anschließend erschienene Zeugen).
“Z. W. F.: Also, ich habe versucht, mich da auch schlauzumachen über die Funkzellen. Meiner Meinung nach wäre es theoretisch möglich, dass das Handy sagt: „Na ja, also, ich buche mich in der nächsten Funkzelle ein.“ Wenn die jetzt überlastet ist – egal, aus
welchen Gründen –, dann nimmt sie meiner Meinung nach die nächste, naheliegende bzw. die, die sich überschneiden.
Nach der Auskunft, die ich aber bekommen habe jetzt von unserem Techniker, ist das nicht möglich. Dann sagt das Handy: „Keine Verbindung möglich momentan.“ Das würde dem widersprechen, was da steht.
Aber wenn da ein Techniker geladen ist von dem Netzbetreiber, dann konfrontieren Sie bitte einfach den damit. Ich kann mir das so – – Für mich war das so, dass – – Ich habe mein Handy. Ich schalte es ein, und dann sucht es die Funkzelle, wo ich halt Verbindung habe. Und jetzt ist halt die Frage: Wenn die überlastet ist, nimmt es die nächste? Oder meiner Meinung nach müsste das so sein. Er sagt, das ist nicht so.”
Der U-Ausschuss befragte kurz darauf einen Sachverständigen von “Telefonica”, der von Ausbildung Kaufmann ist, kein Techniker, einen Ulrich J. – Telefónica Germany GmbH & Co.OHG (Sachverständiger).
Er erzählte ernsthaft dem Ausschuss, dass die Reichweite von Funkzellen zwischen 20 km und 5 km Durchmesser betragen würden!
“Die Frequenzen unterscheiden sich durch die Megahertz-Anzahl. Bei 900 Megahertz sind die Funkzellen etwas größer, deutlich größer als bei 1 800 Megahertz. Im ländlichen Bereich geht das bis zu 20 km vom Mobilfunkstandort aus. Die 1 800-Megahertz Frequenzen und die Netze, darauf basierend, sind etwas kleiner gebaut. Die zählen vielleicht so 5 km im Durchmesser.”
Der grüne Abgeordnete Jürgen Filius fragte sogar nochmal nach:
“Herr J., Sie sagten vorher, die Funkzelle – – also der Durchmesser, wenn ich das richtig im Kopf habe, 5 km.”
Sv. Z. U. J.: Also, er hängt von der Frequenz ab. Die Zellen, die eine höhere Frequenz haben, also die 1 800er, die haben einen etwas kleineren Durchmesser. Das muss man sich fast so bienenwabenförmig vorstellen. Wenn Sie mal geschaut haben: Das sind so drei Flächenantennen, die schlussendlich die Versorgung übernehmen. Die haben Durchmesser von einigen wenigen Kilometern. Die anderen, die auf 900 Megahertz arbeiten, die haben einen deutlich größeren Durchmesser. Die Reichweite ist einfach viel, viel größer. Das kann im ländlichen Bereich bis zu 20 km sein.”
Die Handymasten Kennedystraße und Moltkestraße liegen “nur” 2,7 Kilometer auseinander. Jede Funkzelle hätte 5 Kilometer Durchmesser, also sind sie überlappend. Die Abgeordneten könnten so zufrieden festgestellt haben, dass sie die Ungereimtheit aufgeklärt hätten.
Aber, das Problem ist: “Telekom” und “Sendekataster” schreiben, dass Funkzellen innerstädtisch 200-500 Meter Durchmesser haben. Die Abgeordneten sprechen den Sachverständigen nicht auf diesen Widerspruch an, der betont:
“Aber selbst wenn beide im gleichen Netz eingebucht sind, kann es durchaus sein – – Vielleicht hat die Frau K. das Telefon in der Brusttasche und der Kollege in der Hosentasche und ist dadurch vom Auto etwas abgeschirmt worden, sodass sie in unterschiedlichen Funkzellen eingebucht werden können.”
Interessanterweise benützte der LKA-Mann in seiner Vernehmung kurz zuvor eine ähnliche Formulierung: “Wenn ich jetzt in meiner linken Tasche und in meiner rechten Tasche ein Handy habe, (…).”
Könnte es sein, dass die Zeugen sich vor ihrer Ausschuss-Vernehmung vielleicht unterhalten/abgestimmt haben?
Als mögliche Erklärung für die Ungereimtheit könnte angeführt werden, dass die Handys der Polizisten (Kiesewetter benützte Telekom-Netz; Arnold ein eplus-Netz, welches zusammen mit O2 betrieben wurde) unterschiedliche Netze benutzten und sich ihre Handys deshalb in unterschiedliche Sendemasten und Funkzellen einbuchten. Dafür spräche, dass sich ein Sendemast mit eplus-Antenne in der Südstraße und in der Moltkestraße befand. Es stand aber kein eplus-Sendemasten in der John F. Kennedystraße. Kiesewetters Handy könnte dagegen den Sendemast mit Telekom-Antenne in der Kennedystraße benutzt haben, siehe: http://geoinfo.eplus.de/evinternet/
Der LKA-Zeuge wies jedoch darauf hin, dass es 2007 in Heilbronn ein gemeinsam genutztes Netz von E-Plus und T-Mobile gab, also gemeinsam genutzte Masten.
“Da gab es die Möglichkeit – und in Heilbronn war das bis zum 13. Mai 2008 möglich –, dass O2-Kunden auch das Netz von T-Mobile nutzen konnten, sodass es insgesamt möglich ist – je nachdem, zu welchem Unternehmen die Kunden gehört haben –, mindestens in zwei verschiedenen Netzen oder zwei verschiedenen Frequenzen eingebucht werden zu können.”
Leider ist diese Ungereimtheit vom U-Ausschuss nicht geklärt worden.
Das D1 Netz hat zu der Zeit Sprachanrufe auf 900Hertz gesendet und Eplus auf 1800. Viag Intercom(a.k.a. O²) hatte auf das E-Netz gesetzt, welches Stellenweise Lücken vorwies. Diese Lücken wurden mit D1 gestopft – das erforderte ein “Dualband” -Handy.
Attraktiv waren bei den E-Netzanbietern günstige Gesprächsgebühren und Ideen wie “Genion” oder die “Homezone”- die Mobiltelefonie zu Festnetzpreisen ermöglichen sollte.
Nachteilig war zu Beginn(in den 00er Jahren) die schlechte Netzabdeckung des Zugpferdes(E-Netz). Deshalb haben manche Kunden die “automatische Frequenzwahl” auf manuell umgestellt und das stabilere “D-Netz” ausgewählt.
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Jetzt gab es zu der Zeit um 2007(eher davor) noch die “Homezone” – Gespräche innerhalb von ca. 500m der festgelegten Zone wurden zum Festnetztarif, somit kostensparend, geführt.
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Bonusinfo für Aktenkundige und fleißige Blogleser:
Anm.: Die “74210” ist sowohl in der Nähe von Systemmitteilungen, als auch in der Nähe von der Postleitzahl HN angesiedelt.
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Ich werfe das nicht ein um den UA zu entschuldigen- Die Anklage unterstreiche ich;-)
Werde nochmal schauen wie es damals war, “Homezone” zu verändern/manipulieren.
Vielleicht war da was, dass noch spannend werden könnte(-wer wusste noch davon- im M.K. Umfeld).
Zur dem Artikel passt folgende Aussage des Zwickauer Polizisten Alexander Beitz vor dem zweiten NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestag. Darin macht er klar, dass ein Funkmasten maximal 500 Meter Reichweite besitzt.
Zeuge Alexander Beitz: Man muss dazu sagen:
Das Handy befindet sich nicht in der Trillerstraße 10. Wahrscheinlich befindet sich der Funkmast in der Nähe der Trillerstraße 10 mit einem Suchradius von 500 Metern.
Vorsitzender Clemens Binninger: Ja. Das Handy
hatte sich dort aufgehalten.
Zeuge Alexander Beitz: Zum Zeitpunkt der Ortung
hat sich diese Person – –
Vorsitzender Clemens Binninger: In diesem Radius.
Zeuge Alexander Beitz: Nein, anders herum: Da hat sich nicht diese Person, sondern da hat sich das Handy wahrscheinlich in diesem Radius aufgehalten. Wer sich schon mal mit Funkzellen beschäftigt hat, weiß, dass so eine Funkzelle kein runder Kreis ist in diesem 500-Meter-Radius, sondern dort gibt es aufgrund von Abstrahlwinkeln Schatten, Funkschatten, die tollsten Funkzellen, die dort entstehen können, sodass wir für uns eigentlich nur wussten: Die Frau Dienelt muss sich irgendwo im Ostteil der Stadt Zwickau aufhalten.
Vorsitzender Clemens Binninger: Aber schon in dem Moment. Also die Ortung funktioniert ja nur, wenn in dem Moment das Handy in diesem 500-Meter-Radius ist, nicht irgendwann mal gewesen.” Anlage 3 – 11. Sitzung_endg. stenogr. Protokoll_25.02.2016, S. 15
So ein städtischer Radius mit den tollsten Funkzellen konnte 2007 auch stabil 2,5 bis 3 km betragen, je nach Ausbaustufe und alle anderen die Abstrahlung und den Empfang von Funkwellen beeinflussenden Faktoren. Nur so mal aus der Praxis in die Debatte eingeworfen. An diesem Radius hat sich bis dato nichts geändert.