Das seltsame Verhalten der Verteidiger von Beate Zschäpe im NSU-Prozeß. Interview mit Wolfgang Heer und Anja Sturm. Erweitertes Manuskript eines Radiobeitrages auf WDR 5 Neugier genügt vom 24. September 2014.
Quelle: wdr
„Wenn Sie mit einem Mandanten, zumal mit einem seit mehreren Jahren inhaftierten Mandanten zusammen arbeiten, gibt es ganz selbstverständlich, wie in jeder Art von Beziehung, auch einer professionellen Beziehung, Schwankungen nach oben und nach unten.“
Wolfgang Heer, einer der drei Verteidiger der Angeklagten Beate Zschäpe.
Mittwoch, 16. Juli 2014. Vor dem Oberlandesgericht in München läuft der 128. Sitzungstag im NSU-Prozeß gegen Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben und die drei anderen Angeklagten. Schon den zweiten Tag wird ein politisch brisanter Zeuge vernommen: Tino Brandt. Einst führender Neonazi-Aktivist in Thüringen, Kumpel von Zschäpe, Böhnhardt, Mundlos, Wohlleben – und jahrelang V-Mann des thüringer Verfassungsschutzes. Brandt hat zur Gewalt gegen Ausländer und Linke aufgerufen und oft selber zugeschlagen. Körperverletzungen, Nötigungen, Landfriedensbruch – über 30 Ermittlungsverfahren wurden gegen ihn geführt, kein einziges Mal wurde er verurteilt. Nicht zuletzt, weil seine Führungsbeamte die Hand über ihn hielten. Der Spitzel Brandt hat dem Amt viele konkrete Informationen über seine Neonazi-Kameraden geliefert und sie schwer belastet. Jetzt vor Gericht erklärt er fast bei jedem Punkt, sich nicht zu erinnern.
An diesem Tag bricht etwas auf. Nach der Mittagspause tritt das Gericht mit einer Stunde Verspätung ein und der Vorsitzende verkündet eine kleine Sensation: Frau Zschäpe habe mitteilen lassen, daß sie kein Vertrauen mehr in ihre Verteidiger habe. Ein Raunen geht durch den Saal. Die Vernehmung des Zeugen Tino Brandt wird abgebrochen, der folgende Verhandlungstag abgesetzt.
Die Anwälte von Beate Zschäpe wollen keine Stellungnahme abgeben – der Vorfall scheint aber auch sie unvorbereitet zu treffen. Würde das gesamte Verteidigerteam ausgetauscht werden, müßte die Hauptverhandlung von vorne beginnen – der GAU, der vermieden werden soll. Die Frist für Zschäpe, ihre Ablehnung zu begründen, wird bis Freitag 24 Uhr verlängert. Ein anderer Anwalt soll ihr geholfen haben, heißt es später. Das Gericht lehnt die Abberufung der drei Verteidiger ab. Begründet vor allem damit, daß sie Pflichtverteidiger sind. Strenggenommen sind sie jedoch nicht Pflichtverteidiger, sondern Wahlverteidiger. Zschäpe hat sie nach ihrer Inhaftierung im November 2011 selber ausgewählt. Doch weil sie nicht in der Lage ist, sie zu bezahlen, wurde deren Status umgewandelt in Pflichtverteidiger. Der Vorzug wurde nun zur Fessel für die Angeklagte. Ihr Mißtrauen wiegt allerdings umso schwerer, denn es wurde in Wahrheit gegenüber den Wahlverteidigern erklärt.
Ein paar Wochen nach dem Vorfall in München stellen sich zwei der drei Verteidiger, Wolfgang Heer und Anja Sturm, unseren Fragen. Ihre Kanzlei liegt zentral in der kölner Innenstadt. Ein Interview auf schmalem Grat. Es berührt das geschützte Vertrauensverhältnis zwischen Mandantin und Anwälten, es berührt prozeßtaktische Fragen und unbekannte Hintergründe des NSU-Komplexes. Auffällig ist im Gerichtssaal des Oberlandesgerichtes München, daß die Verteidigung eher passiv agiert, kaum Fragen stellt, kaum Anträge. Welche Strategie die Verteidigung von Beate Zschäpe eigentlich hat, ist nicht ersichtlich.
Rechtsanwalt Wolfgang Heer: „Ich gehe davon aus, daß unsere Strategie ganz klar erkennbar ist!“
Das ist trotzig, aber nicht überzeugend. Beispiel Mord Nummer zehn an der Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter in Heilbronn: An der Täterschaft bzw. Alleintäterschaft von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gibt es begründete Zweifel, unter anderem weil keines der insgesamt 14 Phantombilder auch nur annähernd einem von ihnen ähnelt. Doch, wenn die beiden nicht die Täter waren, kann Zschäpe keine Mittäterin gewesen sein. Warum also nicht offensiver gegen den Anklagevorwurf vorgehen? Warum benennt die Verteidigung keine Entlastungszeugen im Fall Heilbronn?
Heer: „Bitte um Verständnis, daß wir uns selbstverständlich nicht zu einer Verteidigungsstrategie en details äußern können. Es ist jedoch so: Es gibt bestimmte Grundsätze, Prozeßmaximen des deutschen Strafprozesses. Und einer Angeklagten muß eine Tat nachgewiesen werden. Es ist mithin nicht so, daß man einen Entlastungsbeweis führen muß. Wenn kein Beweis gelingt, ist die Angeklagte insoweit freizusprechen.“
Andererseits gab sich die Zschäpe-Verteidigung durchaus schon engagiert – allerdings in einem völlig anderen Zusammenhang. Beispiel Mord Nummer neun an dem deutsch-türkischen Internetcafébetreiber Halit Yozgat in Kassel. Während der Tat hielt sich der Verfassungsschutzbeamte Andreas Temme in dem Laden auf. Danach verließ er den Tatort und meldete sich nicht als Zeuge. Die Verdachtsmomente gegen ihn, der Täter zu sein, sind sogar höher als die gegen Böhnhardt und Mundlos. Als leitende Verfassungsschützer vor Gericht von Anwälten der Nebenklage kritisch befragt wurden, versuchte ausgerechnet die Zschäpe-Verteidigung das zu unterbinden, nebenbei: gemeinsam mit der Bundesanwaltschaft. Wie das? Die Beobachter fragten sich: „Wen verteidigen die eigentlich?“
Heer: „Wir als Verteidiger legen natürlich, wie im übrigen auch andere Verfahrensbeteiligte, so auch das Gericht selbst und die Vertreter des Generalbundesanwaltes, das Augenmerk darauf, daß die Anklagevorwürfe behandelt werden. Also es zentral um den Gegenstand der gerichtlichen Untersuchung geht, und keine, ich würde es mal sagen, Nebenkriegsschauplätze eröffnet werden. Die sicher hier interessant wären aufzuarbeiten, aber die nicht unmittelbar für die gerichtliche Klärung der Anklagevorwürfe von Relevanz sind.“
Heers Kollege, Verteidiger Wolfgang Stahl, intervenierte gegen die Fragen der Opferanwälte sogar mit dem Argument, sie würden den früheren Leiter des Verfassungsschutzes in Hessen zum Geheimnisverrat anstiften. Nützt der Schutz von Geheimdienst-Geheimnissen etwa der Angeklagten, einer mutmaßlichen Rechtsterroristin?
Heer: „Fragen Sie bitte Herrn Kollegen Stahl!“
Rechtsanwältin Anja Sturm: „Wenn Sie sozusagen fragen: nützt denn nicht das und das auch Ihrer Mandantin?, dann können wir diese Frage auch nur in einem bestimmten Bereich generell beantworten, weil andernfalls wir natürlich wiederum in den Bereich unserer Verschwiegenheitsverpflichtung kommen. Insofern möchten wir auch nicht weiter dazu uns äußern. Womit ich jetzt nicht wiederum irgendwie Anlaß zu Spekulationen geben möchte.“
Mitte Juli hat Beate Zschäpe ihren drei Anwälten das Vertrauen entzogen. Im Gerichtssaal sitzen sie weiterhin neben ihr. Sind sie durch das Mißtrauensvotum nicht in ihrer beruflichen Reputation beschädigt?
Anja Sturm: „Durch die Erklärung unserer Mandantin mitnichten. Ein Vorgang, der sicherlich nicht alle Tage passiert, aber der jetzt auch nicht völlig unüblich ist. Da muß man einfach berücksichtigen, sie ist jetzt seit mehreren Jahren inhaftiert. Das ist mit erheblichen Belastungen psychischer Art vor allen Dingen auch verbunden. Ist dann nur die Frage, wann unter Umständen etwas eintritt. Bei jemandem, der in Haft sitzt und der im Prozeß schweigt, welche Möglichkeiten hat der eigentlich, um irgendwie an seiner Situation etwas zu verändern?“
Aber kann man jemanden noch verteidigen, der einem das Mißtrauen erklärt hat?
Heer: „Sie können einen Menschen nur dann verteidigen, wenn ein wechselseitiges Vertrauensverhältnis besteht.“
Ist das Vertrauen wieder hergestellt? Diese Frage beantworten Anja Sturm und Wolfgang Heer nicht.
Beate Zschäpe schweigt. Nach ihrer Festnahme im November 2011 hatte sie noch gegenüber der Polizei gesagt:
„Ich habe mich nicht gestellt, um nicht zu reden.“
Frage an ihre Verteidiger: Will sie denn schweigen?
Sturm: „Dazu kann ich Ihnen das sagen, was wir schon immer gesagt haben: daß wir zu dem, was unsere Mandantin uns intern sagt, natürlich keine Angaben machen können. Insgesamt können Sie davon ausgehen, daß eine Verteidigungsstrategie gemeinsam mit dem Mandanten erarbeitet wird und letztendlich von dem Mandanten auch festgelegt wird. Wir beraten ihn soweit.“
Aber ist schweigen nicht die beste Strategie, wenn man die höchste Schuld auf sich geladen hat?
Sturm: „Das ist ein Zirkelschluß.“
Heer: „Schweigen für einen Angeklagten ist dann angezeigt, wenn Tatvorwürfe bestritten werden. Und wenn das Ziel ein jedenfalls partieller Freispruch ist, ist es die Regel, den Mandanten dahin gehend zu beraten und das mit ihm abzustimmen, daß er schweigt.“
Hat Beate Zschäpe die schriftliche Begründung ihrer Mißtrauenserklärung zusammen mit einem anderen Anwalt verfasst? Auch zu dieser Frage äußern sich die aktuellen Zschäpe-Verteidiger nicht.
Die Antworten von Wolfgang Heer und Anja Sturm sind eher kryptischer Natur. Doch sie lassen durchblicken, daß es ernste Differenzen im Hintergrund geben muß. Überhaupt: Daß sich die Zschäpe-Anwälte den Fragen stellen, ist schon eine Nachricht. Sie sind durch die Initiative ihrer Mandantin in die Defensive geraten, und es scheint, als suchten sie nach einem Mittel dagegen. Der Verdacht, daß das Verhältnis unrettbar zerrüttet ist, wird jedenfalls eher größer als kleiner. Beate Zschäpe steht bereits mit einem anderen Strafverteidiger in Kontakt. Sie scheint die Rolle, die für sie im Prozeß ausgewählt wurde, nicht mehr spielen zu wollen. Doch welche Rolle spielt sie im NSU-Mordkomplex?
Wer glaubt, daß Anwälte nur ihren Mandanten verpflichtet sind, irrt. (Auskunft von unserem Anwalt).
Anwälte, die ja auch nicht zu knapp beschränkt-fachidiotische Insider sind, haben oft -arrogant, raffiniert oder selbstlos- ihre eigene Agenda (habe es selbst schon mal verwundert erlebt, ging aber gut aus!), die sie für den besten Weg halten, um vor Gericht erfolgreich zu sein. (Es ist auch ein Anwalts-Ethos, sich nicht mit dem Mandanten zu identifizieren, sondern die fachlich gebotene Distanz -auch schon erlebt- zu wahren!)
So ein RA-Verhalten mag in subjektiv bester Absicht (aus Kenntnis des Justizmilieus) geschehen, aber ob es der Intention und Sache des Mandanten auch so nützt, ist die Frage.
(Krasses Beispiel: RA Siegfried Bennecken mit dem Solingen-“Täter” Markus Gartmann; er drängte ihn zum geständigen Entschuldigungsbrief, um so die Strafe zu mildern; daß die Anklage-Sache höchst anrüchig war, ließ er aus Unwissen oder gezielt aus!!)