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Selber Täterkreis: Ceska-Mordserie und heilbronner Polizistenüberfall
Kiesewetters Onkel Mike W. schloss 2007 unter anderem aus dem „skrupellosen Vorgehen“ der Täter, dass der Hintergrund des Polizistenmordes organisierte Kriminalität gewesen sein könnte, „im Bereich russisch oder georgisch“. Es könnte ein „Zusammenhang mit den den bundesweiten Türkenmorden“ bestehen. „Ein Kollege von der KI 1 hat mich nur angesprochen, dass ein Zusammenhang bestehen könnte.“1 Ende 2011 wurde bekannt, dass der „Kollege von der KI 1“ Uwe M. gewesen sein soll. Der thüringer Untersuchungsausschuss (UA) vernahm Uwe M. und Mike W. am 06. März 2014. Dabei traten unlösbare Widersprüche auf: Beispielsweise hätte laut Uwe M. ihr Gespräch nicht „so nah nach dieser Tötung stattgefunden (…), glaube ich persönlich gar nicht, sondern ich denke, da war eine ganze Zeit vergangen.“2 Es ist ungeklärt, vom wem W. die Informationen erhielt. Laut des Journalisten Thomas Moser wäre für Mike W. der Polizistenüberfall bis heute nicht aufklärt. Er würde sich die Frage stellen: „Warum kann der Staat einen Polizistenmord nicht aufklären?” Und die Antwort, die sich der Onkel des Opfers zurechtgelegt habe, ist gleichfalls eine Frage: “Wird der Mord vielleicht nicht aufgeklärt, weil der Staat beteiligt war?”3
Eine zweite Person sah eine Verbindung: Sie wird bis heute ignoriert. Ein David F. wandte sich am 10. März 2010 in einer email an das BKA. Er fragte, ob es sein könne, “dass die “Döner-Mordserie von dem selben Täter wie beim Mordfall in Heilbronn begangen wurde, wenn ja könnte ich sicher weiterhelfen”. Weiter heißt es in dem Dokument des PUA, dass die email an die Sonderkommissionen “Bosporus” und “Parkplatz” weitergeleitet wurde und: “Erst 2012 wurde David Friedel vernommen.” Der Name ist ausgeschrieben. Der Bundestagsausschuss kennzeichnete die Anlage als “GEHEIM”, “amtlich geheimgehalten”. In einem Sondervotum kritisierte die FDP-Fraktion die späte Vernehmung des Hinweisgebers. Als er 2012 vom BKA befragt wurde, war seine Erklärung: Er wäre beim Schreiben der email „verwirrt“4 gewesen.
Es gab noch eine dritte Person, die über eine Verbindung aussagen hätte können: Der 19-jährige Florian Heilig verbrannte am 16. September 2013, kurz vor seiner polizeilichen Vernehmung. Heilig sagte bereits im Sommer 2011 zwei Ausbildungs-Kolleginnen, dass er wisse, wer die Polizistin Kiesewetter ermordet hätte. Es wären Rechtsextremisten gewesen. Auch von “Dönermorden” war die Rede. Erst im Sommer 2015 wurden die Zeuginnen polizeilich befragt.5 Vor seiner Ermordung sagte Heilig, dass es ein kriminelles Netzwerk gäbe, welches in den Staat hineinreiche und protegiert würde.
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Morde hatten Vorgeschichte
Bei den neun Ceska-Opfern könnte es sich deswegen nicht um Zufallsopfer gehandelt haben, weil „nahezu alle Geschädigten Tage bis Monate vor der Tat von unbekannten Personen bedroht bzw. zumindest angegangen wurden. Bei einzelnen Opfern wurde durch nahestehende Personen nach solchen Besuchen eine gewisse Wesensveränderung beobachtet.“6 Daher gingen Fallanalyiker davon aus, dass die Opfer im Vorfeld gegen einen „Ehrenkodex“ verstießen: Sie könnten „Kontakt zu einer Gruppierung [gehabt haben], die ihren Lebensunterhalt mit kriminellen Aktivitäten bestreitet und innerhalb derer zudem ein rigider Ehrenkodex bzw. ein rigides inneres Gesetz besteht.“ Auch beim heilbronner Tatort kamen Fallanalytiker zum Ergebnis, dass sich die Täter „in Kreisen bewegen, in denen ein sehr strenger Ehrenkodex eine Zusammenarbeit mit staatlichen Behörden verbietet/verhindert.“7
In der operativen Fallanalyse der Soko-alt vom Mai 2007 steht, dass der Polizistenüberfall eine „Vorgeschichte“ gehabt haben dürfte, die „mit hoher Wahrscheinlichkeit im zurückliegenden polizeilichen Einsatzgeschehen (…) im engen zeitlichen und geografischen Zusammenhang zu suchen“ ist. „Die Täter dürften insoweit der örtlichen kriminellen Szene zuzuordnen sein.“ Die angesprochene Vorgeschichte könnte im zurückliegenden polizeilichen Einsatzgeschehen (…) und engen geografischen Zusammenhang (nicht zwangsläufig nur Theresienwiese) verankert sein.“
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Täter beobachteten die Tatorte
Bundeswältin Annette Greger war an führender Stelle bei den NSU-Ermittlungen beteiligt. Sie leitete aus dem Tatort Heilbronn Hypothesen ab: Aufgrund des stetigen Besucherverkehrs am Trafohaus war der Angriff für Mundlos und Böhnhardt ein Himmelfahrtskommando. „Es ist ein Tatort, den sich eigentlich niemand auswählt.“8 Für zwei Personen war das Entdeckungsrisiko unkalkulierbar. Die Tat war also für die zwei Männer unplanbar gewesen. Sie betonte, dass der Ceska-Tatort in Kassel vergleichbar wäre: „- auch der Tatort übrigens in Kassel. Es ist nicht nachvollziehbar, dass zwei Leute in ein von Besuchern belegtes und von ihnen auch nicht einsehbares Internetcafe reingehen, Kopfschusse setzen und wieder rausgehen. Man wurde sagen, wenn man das in einem Roman liest: Das gibt es nicht. – Aber es ist tatsachlich so vorgekommen.“ Weil der Tatort unplanbar war, handelte es sich bei Kiesewetter und Arnold um Zufallsopfer: „Wenn ich jetzt eine oder beide Personen konkret treffen möchte, würde ich einen anderen Tatort wählen, würde ich die abpassen.“ Mundlos/Böhnhardt wollten laut Greger einfach nur irgendwelche „Repräsentanten des Staates“9 angreifen. Dem schloss sich der bw UA an, die Täter hätten ja gezielt „nach Dienstschluss oder in seiner Freizeit angreifen können.“10
Amtliche Einschätzung ist unhaltbar
Wenn Mithelfer in Betracht gezogen werden, wäre die Tat planbar gewesen. Das Entdeckungsrisiko könnte mit einer weiträumigen Tatortabsperrung minimiert worden sein. Auf diese Weise hatten die Angreifer sogar noch die Nerven, am Tatort zu verbleiben und die Opfer umzulagern.
Sorgfältig geplante Tat auch in Kassel
Diese Handschrift des Täterkreises findet sich auch in Kassel: Im Internetcafe telefonierte ein Iraker wenige Meter neben dem Opfer Halit Yozgat. Der Iraker hätte den Angreifern telefonisch mitteilen können, dass sich im Vorraum gerade niemand außer dem Opfer aufhält. Im Nebenraum saß ein Beamter des hessischen Verfassungsschutzes, zusammen mit vier weiteren Personen. Mithelfer hätten also den Tätern grünes Licht geben können, dass sie ohne Zeugen das Internetcafe betreten und das Verbrechen begehen können.
Dementsprechend ging die heilbronner Polizeiführung am Tattag noch von einem „gezielten Hinterhalt“11 aus. Sogar für die treuesten Vertreter der Regierungsdarstellung, die bw Parlamentarier, hatten die Täter den Tatort „in den Tagen oder Wochen vor dem 25. April 2007 (…) ausgekundschaftet“. Genauso kamen Ermittler bei den Tatorten der Ceska-Mordserie zum Schluss, dass „sich die Täter bereits mehrere Tage vor der Tat an den jeweiligen Tatorten aufgehalten haben.“12 Die Darstellung der Bundesanwaltschaft, Böhnhardt und Mundlos wären an den Tatorten vorbeigeradelt und hätten sich spontan zum Angriff entschieden, ist unhaltbar. Sie ist politisch motiviert.
Die neun Ceska-Mordopfer wurden in ihren Geschäften, während der Arbeitszeit, bei einer günstigen Gelegenheit abgepasst und erschossen. Fallanalytiker der Ceska-Mordserie wiesen darauf hin, dass die Täter „sich an einigen Tatorten ausgekannt (Ortskenntnis) und gleichzeitig haben sie mehr oder weniger konkretes Wissen zur Verfügbarkeit der jeweiligen Opfer gehabt. Dies spricht gegen den Täter, der willkürlich nach Zufallsopfern Ausschau hält.“13 Auch diese Aussage kann eins zu eins auf den heilbronner Tatort übertragen werden: Der Täterkreis kannte den Tatort und wusste über die Anwesenheit Polizisten am Trafohaus Bescheid.
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Opfer gezielt ausgewählt
Ceska-Fallanalysten schrieben: „Im Laufe der ,Zusammenarbeit‘ begingen die Opfer vermutlich einen Fehler, der für die Opfer hinsichtlich seiner Bedeutung nicht erkennbar war.“ „Dreh- und Angelpunkt der Kontaktaufnahme ist das Geschäft (Geschäft spielt eine Rolle für die Täter).“ Deswegen schlugen die Täter dort zu, wo der “Fehler” passierte. Es wurden also alle Erschossene gezielt und an einem bestimmten Ort ermordet. Damit sollte auch ihre Umwelt eingeschüchtert werden. Es waren sogenannte “laute Morde”. Deshalb benutzten die Mörder auch immer die gleiche Ceska-Waffe, die laut Fallanalytiker als „Zeichen der Bedrohung für einen bestimmten Personenkreis“ diente.
Dementsprechend war es auch beim heilbronner Tatort: Auch hier handelte es sich um einen “lauten Mord”, der nach meiner Einschätzung andere Polizisten einschüchtern sollte: „Das ist unser Revier, verfolgt uns nicht weiter.“ Daher ist die entscheidende Frage, gegen wen MK und MA im April ermittelten, und welche Bedeutung die TW für den Täterkreis hatte.
Matthias G. vom taktischen Einsatzzug (TEZ) 514 wies darauf hin, dass „speziell die Bepo getroffen werden sollte. Wenn es gezielt gegen die Landespolizei hätte gehen sollen, hätte man ja auch einen Streifenwagen nachts in einen Hinterhalt locken können. Von uns, also von der Bepo, war ja in Heilbronn bekannt, dass wir ausschließlich tagsüber eingesetzt waren.“14 Alexander H. (BFE 522) pflichtete dabei, außerdem fand der Mordanschlag nicht zufällig am BMW-Streifenwagen statt. Für ihn könnte bei den Tätern „als mögliches Tatmotiv der grünweiße BMW in Frage kommen.“15
Dazu im Gegensatz kamen NSU-Ermittler zum Ergebnis, dass der Polizistenüberfall kein „lauter Mord“ war. Was war dann das Motiv von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, gerade auf der TW eine Polizeistreife zu überfallen und sie zu berauben? Der BKA-Ermittler Axel Kühn kam „zu der Überzeugung, dass es am Ende eine zufällige Auswahl war, wo es auf die Tatmittel, auf die Waffen ankam.“ „Vorsitzender Clemens Binninger: Dann wäre es nicht nur Zufallsopfer, sondern auch Zufallstat. (…) Axel Kühn: Ja, genau. – Es gab dann die Tatgelegenheit, die, wie sie sich an der Theresienwiese an dem Tag so dargestellt hat, aus deren Sicht möglicherweise ideal war, um sehr schnell unerkannt hin und wieder weg zu kommen.“16 Laut seiner Auffassung nutzen Böhnhardt/Mundlos einfach eine sich zufällig ergebende Gelegenheit, irgendwo, irgendwelche Polizisten anzugreifen, nur um ihren Polizistenhass auszuleben, und um deren Ausrüstung „vielleicht als Trophäe, Andenken“17 zu rauben.
Kiesewetter gezielt hingerichtet?
Für Staatsanwalt Meyer-Manoras war ein gezielter Angriff auf MK unwahrscheinlich: Es war „nur wenigen Personen bekannt“, dass sie am 25. April in Heilbronn unterwegs war. Außerdem wusste Kiesewetter noch am 23. April nichts davon, „dass sie am Tattag auf der Theresienwiese in Heilbronn Rast machen würde.“18 Nach meiner Einschätzung kann diese Frage, aufgrund der Vertuschungen und Falschaussagen, nicht beantwortet werden. Ein gezielter Angriff wäre ohne Mithilfe aus dem Kollegenkreis unmöglich gewesen. Welche Punkte würden für diese Hypothese sprechen?
Warum verschwand der Einsatzbefehl?
Hier muss hinterfragt werden, warum der handschriftlich erstellte Einsatzbefehl nachträglich verschwand? Hätte er bewiesen, dass MK sich viel früher für den heilbronner Einsatz anmeldete, so wie es auch ihr Freundeskreis sagte? War es also einem größeren Kollegenkreis bereits in der Vorwoche bekannt, dass sie in Heilbronn und eventuell am späteren Tatort zu einer bestimmten Uhrzeit sein würde? War es kein Überfall sondern eine gezielte Hinrichtung?
1O. 6, S. 204, A. a. 04.05.07
2Landtag Thüringen, NSU-UA, 57. Sitzung, 06.03.14, S. 199
3Telepolis, NSU: “Warum kann der Staat einen Polizistenmord nicht aufklären?”, 09.04.19, https://www.heise.de/tp/features/NSU-Warum-kann-der-Staat-einen-Polizistenmord-nicht-aufklaeren-4365425.html?seite=all
4Bundestag, erster NSU-PUA, Abschlussbericht, Einzelvotum der FDP-Bundestagsfraktion, S. 150: „Obwohl der Zeuge in seiner Vernehmung später aussagte, er habe damals Medikamente genommen und sei verwirrt gewesen, ist es unverständlich, dass er erst im Jahr 2012 vernommen wurde.“
5Stuttgarter Nachrichten, „Der Fall Florian Heilig“, 17.02.2016, https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.abschlussbericht-zum-nsu-untersuchungsausschuss-der-fall-florian-heilig.3677f68a-ba9f-4088-b09a-70fd09309861.html
6Kriminalfachdezernat 1 Nürnberg, MK „Bosporus“, 33. Sachstandsbericht, 26.08.08, S. 73
7O. 2, S. 58
8Bundestag, NSU-UA, 33. Sitzung, Anlage 17, 29.09.16, S. 8
9Landtag Baden-Württemberg, NSU-UA, Abschlussbericht, 28.04.16, S. 1033
10Landtag Baden-Württemberg, NSU-UA, Abschlussbericht, 28.04.16, S. 880
11O. 2, S. 508, „(…) Protokollierung von Einsatzmaßnahmen“, 25.04.07
12Kriminalfachdezernat 1 Nürnberg, MK „Bosporus“, 33. Sachstandsbericht, 26.08.08, S. 121
13Bundestag, NSU-UA, Abschlussbericht, 22.08.13, S. 620
14O. 10, S. 81, A. a. 24.11.10
15O. 10, S. 255, A. a. 14.10.10
16Bundestag, NSU-UA, 39. Sitzung, Anlage 24, 24.11.16, S. 49
17Landtag Baden-Württemberg, NSU-UA, 29. Sitzung, 16.10.15, S. 76: „Warum nimmt man denen dann noch die Waffen weg? Warum nimmt man die Ausrüstungsgegenstände weg? Warum macht man davon noch Fotos? Warum braucht man das wie so eine – ich komme immer zu dem Wort – Trophäe?“
18Landtag Baden-Württemberg, NSU-UA, 25. Sitzung, 24.07.15, S. 42