Die Journalistin Saskia Gerhard veröffentlichte den Artikel “Darum kann eine DNA-Analyse nicht immer den Täter liefern”. Als Beispiel nannte Gerhard die “unbekannte weibliche Person”, das sogenannte heilbronner Phantom. Eine “Herkunftsanalyse” der DNA hätte ergeben, dass “biogeografische Merkmale” mit der von Sinti- und Roma übereinstimmen würden. Sie stützte sich auf eine Veröffentlichtung des Zentralrates der Sinti und Roma.
“Eine erste Herkunftsanalyse hatte aber ergeben, dass der Täter den Sinti und Roma angehörte. Ein Fehler, wie sich später herausstellte. Die Minderheit geriet trotzdem stark in den Fokus der Polizei und der Medien.” (quarks)
Es gibt in den 54 Hauptordnern der Sonderkommission keine Bestätigung für diese Darstellung: Laut eines Berichtes der “Stimme” hätte eine DNA-Analyse lediglich festgestellt, dass die DNA “gehäuft in Osteuropa und im Gebiet der angrenzenden Russischen Föderation” auftritt.
Es ist ebenfalls falsch, dass die Sonderkommission in den ersten zwei Jahren die am Tatort campierenden Sinti- und Roma “im Fokus” hatte, auch hier ist das genaue Gegenteil wahr:
Schickte heilbronner Polizei Zeugen weg?
Laut offizieller Darstellung wären die Schausteller und Landahrer auf der heilbronner Theresienwiese (TW) mit Kontrollen förmlich überzogen worden. Es gibt Zweifel, ob auch die Landfahrer kontrolliert wurden. Stattdessen könnten sie sich „aus dem Staub“ gemacht haben, ohne vorherige Einvernahme.
Stephan R. von der Bereitschaftspolizei Göppingen befragte am 26.04.2007 die Schausteller auf der TW. Sie sagten ihm, dass am 25.04. noch Landfahrer mit Wohnmobilen und -wägen bei ihnen gewesen wären, sie wären jedoch inzwischen abgereist!1 Sogar nach Darstellung von Soko-Chef Frank Huber hätten Landfahrer „teilweise“ erst später vernommen werden können, weil sie sich „nach der Tat entfernt“2 hätten. Wie kann es sein, dass wichtige Zeugen ohne Vernehmung einfach verschwinden konnten, obwohl doch die TW mit Kontrollen „überzogen“ wurden?
Das vertuschte Wohnmobil
Am 24.04.2007 bemerkte der Schausteller Josef L. beim Wasserlassen, „dass dort auf der anderen Seite des späteren Tatorts ein Wohnmobil stand.“3 Eventuell stand es noch am 25.04. an der Stelle, da war er sich nicht mehr sicher. Die Frage ist, warum keiner der befragten Bereitschafspolizisten das Wohnmobil in den Befragungen erwähnte. Am 24.04. machten beispielsweise die Bereitschaftspolizisten Elke S. und Patrick He. am späteren Tatort eine „Pause“. Auf die Frage, ob ihm „keine Fahrzeuge aufgefallen“ waren, antwortete Patrick He.: „Nein, daran kann ich mich in keiner Weise erinnern. Ich weiß nur noch, dass wir an diesem Tag dort Pause gemacht hatten.“4
Daher verwarf die Soko-neu die Aussage des Schaustellers. Der Pressesprecher des bw LKA Ulrich Heffner informierte am 18.11.2011, dass es „keine Hinweise auf ein Wohnmobil“ gegeben hätte!5 Aber so klar ist es nicht: Auch ein Polizist sah ein „Gefährt“ in der Nähe des Tatortes:
Als Uwe G. (BFE 522) vom Überfall hörte, fuhr er mit seiner Gruppe von Stuttgart nach Heilbronn. Er sah bei der Anfahrt zum Tatort ein “Geschäft” eines “osteuropäischen Schaustellers”! “Gerade der” stellte sich vor ihr Zivilauto und blockierte die Weiterfahrt, obwohl sie sich deutlich als Polizisten zu erkennen gaben. Der Schausteller hätte doch wissen müssen, was passierte, “sein Geschäft [war] ja direkt neben dem Trafo-Häuschen”6!
Glaubte die Soko-alt selbst nicht an das Phantom?
Die in Tatortnähe campierenden Landfahrer wären in Übereinstimmung mit dem “Heilbronner Phantom” zu bringen gewesen. Soko-alt Chef Frank Huber beschrieb das „Phantom“ als eine Person, die “umherzieht” und Straftaten begeht: ” … oder es kann jemand sein, der mit verschiedenen Tätergruppierungen umherzieht als Mitläufer sozusagen und mehr oder weniger ausführendes Element ist.”7 Es erscheint allerdings, dass erst die Soko-neu, nachdem das Phantom sich Anfang 2009 auflöste, sich der Landfahrer-Spur überhaupt intensiver zuwendete!
Welche Ermittlungen gegen Sinti- und Roma können bis 2009 anhand der Hauptakten nachvollzogen werden?
Nachdem sich die Landfahrer am Tattag vom Tatort entfernten, musste ihr Aufenthaltsort im Laufe der Zeit mühsam festgestellt werden. Ihre DNA wurde dann negativ mit der DNA des „Heilbronner Phantoms“ verglichen. Außerdem kam die Soko-alt zum Schluss, dass keine “direkte Kontakte”8 zwischen den sechs Landfahrern, die um 14:18 kontrolliert wurden, und dem Tatverdächtigen „chico“ bestanden. Die Personen wurden daher „aus den Systemen gelöscht“.9
1Vgl. O. 11, S. 281, A. a. 07.12.10
2Landtag Baden-Württemberg, UA, 19. Sitzung, 22.05.15, S. 27 ff.: „Teilweise haben sich diese Personen schon nach der Tat entfernt gehabt, deshalb mussten wir noch mehrere Monate ermitteln, um diese Personen vernehmen zu können.“
3O. 3, S. 464, Vermerk vom 15.04.09: „Nachdem die Wahrnehmung von keinem anderen Zeugen bestätigt wurde, muss der angegebene Zeitpunkt des J. Lagerin angezweifelt werden. (…) Spur wird mit diesem Stand abgeschlossen.“
4O. 10, S. 191, A. a. 07.10.10
5Neckar-Chronik, „Landeskriminalamt: Hinweise auf Täter und Fahrzeug lagen nicht vor“, 18.11.11, „Doch die Polizei wusste zu jenem Zeitpunkt überhaupt nicht, nach wem sie eigentlich suchen sollte. „Wir hatten keine Hinweise auf ein Wohnmobil“, erklärte der LKA-Sprecher, „wir hatten auch überhaupt keine Hinweise auf die Täter.“ online: https://www.neckar-chronik.de/Nachrichten/Landeskriminalamt-Hinweise-auf-Taeter-und-Fahrzeug-lagen-nicht-vor-170907.html
6O. 10, S. 126, A. a. 06.10.10: „Wir haben dann die Theresienwiese über den Festplatz angefahren. Daran kann ich mich genau erinnern, da sich ein osteuropäischer Schausteller von unser Fahrzeug stellte und uns auch auf Aufforderung nicht durchlassen wollte. Wir waren mit zivilen Autos unterwegs, haben uns aber mit der Kelle als Polizeibeamte zu erkennen gegeben. Diese Reaktion ist für mich bis heute nicht erklärbar. Die Schausteller müssen doch mitbekommen haben, was passiert war. Gerade der hatte sein Geschäft ja direkt neben dem Trafo-Häuschen, also neben dem Tatort.”
7ARD, „Heilbronner Polizistenmord – Die Jagd nach einem Phantom“, Januar 2009, Online: https://www.youtube.com/watch?v=byZlyRWK2jU&feature=youtu.be&t=623
8O. 3, S. 512, Vermerk vom 14.09.07
9O. 3, S. 513 ff., Ermittlungsbericht vom 5.10.07
Hier ist auch noch ein interessanter Artikel zu finden, wie es wahrscheinlich von DNA „gehäuft in Osteuropa und im Gebiet der angrenzenden Russischen Föderation“ zur Sinti- und Roma Spur kam.
https://www.strafverteidigervereinigungen.org/freispruch/texte/lipphardt_h11_phantom.html
In einer der NSU-Dokus, ich glaube es war “Tod einer Polizistin – Das kurze Leben der Michèle Kiesewetter” https://www.youtube.com/watch?v=ytPBq70Rywo sagte ein Polizist, dass bei DNA-Tests immer ein unbenutztes Wattestäbchen mitgetestet wird, um Kontamination auszuschließen.
Weiß jemand, ob diese Praxis schon anwendung fand, bevor das Rätsel des Heilbronner Phantoms “gelöst” wurde?
Ja, das ist bekannt, und es gibt eine öffentliche Aussage dazu von einem führenden Vertreter der Heilbronner Polizei, Kripo-Chef Volker Rittenauer:
„Ich möchte deutlich machen, dass wir wegen der angesprochenen Zweifel lange Zeit zu den Wattestäbchen, die zur Spurensicherung verwendet wurden, Stäbchen aus derselben Packung als Leerproben mitgeschickt hatten. Und das heute Unfassbare war, dass die uwP-Spur kein einziges Mal an den Leerproben gefunden wurde, sondern immer nur an den zur Spurensicherung verwendeten“
Wenn jedes Mal Leerproben mitgeschickt wurden, wäre dieses Ergebnis natürlich ein Riesenzufall. Und ein solcher unwahrscheinlicher Zufall ließe sich auch dadurch erklären, dass die Spur nur wenige Male (in den frühen Fällen zB von Freiburg und Idar-Oberstein) an den echten Probeentnahmestäbchen war und später einfach immer wieder dazuerfunden und an die Ermittler gemeldet wurde.
Das würde die Häufung nach dem Heilbronner Polizistenmord erklären.
Auf diese Weise wäre es einem einzigen beteiligten DNA-Labor möglich gewesen, Ermittler in verschiedenen Kriminalfällen in großem Stil an der Nase herumzuführen und so aus den Ermittlungen zu den Polizistenmörder von Heilbronn eine fantastische und ablenkende Phantomsuche zu machen.
Diese Möglichkeit zeigt, dass es NICHT nötig ist, allen Heilbronner Ermittlern ein abgekartetes Spiel zu unterstellen, um hinter dem “Phantom von Heilbronn” Ermittlungssabotage zu sehen. Es reicht im Grunde ein Saboteur an einer neuralgischen Schaltstelle der Kriminaltechnik.
” Es reicht im Grunde ein Saboteur an einer neuralgischen Schaltstelle der Kriminaltechnik.” Zitat Ende
Hier würde ich einwenden, dass die Kriminaltechnik nur Auftragsarbeiten erledigt. Um die Aufklärung des Sachverhaltes wirkungsvoll zu sabotieren, braucht es aber genaue Kenntnisse des strategischen Ermittlungsansatzes. Denn dieser ist ja letztendlich das Ziel der unterstellten Sabotagehandlung. Einblick in die strategischen Stoßrichtungen der Ermittlungen hat aber nur die Führungsgruppe der Soko. Demzufolge müsste ein solcher (mutmaßlicher) Sabotageakt, aus der Führungsgruppe heraus konspirativ beauftragt worden sein.
Oder aus der Baden-Württembergischen Politik, gegenüber der die Ermittler weisungsgebunden waren, und die dann mit diesen DNA-Funden argumentieren und Ermittlungen in der Phantom-Richtung lenken konnte? Auffällig war die Auskunftsfreude des MP:
<a href="https://www.spiegel.de/panorama/justiz/polizistenmord-oettinger-interview-sorgt-fuer-wirbel-a-479649.html"Oettinger-Interview sorgt für Wirbel
Öttinger sagte auch sofort, der Anschlag sei aus ‘Hass gegen die Polizei’ begangen worden, ebenso geschwätzig wie nichtssagend.
Hier ist der korrekte Link:
Oettinger-Interview sorgt für Wirbel.