Sprechen Politiker heute über Nachhaltigkeit, fallen irgendwann Wörter wie Massenarbeitslosigkeit, atomare Unfallrisiken, BSE-Skandal, CO2-Emissionen, Grenzwertfestsetzungen, Müllentsorgung, Flughafen- und Straßenbau, Ernährungsmafia, Holzschutzmittel, Dünnsäureverkappung, Dioxine, Pharmalobby, Sozialneid, Formaldehyd in Möbeln oder Klimaerwärmung. Die Diskussionen spielen sich in erster Linie auf intellektuell-informationsbasierter Grundlage ab und werden deshalb der Realität nicht gerecht. So prägen in erster Linie kluge Wissenschaftler bzw. Gegen-Wissenschaftler jeder Art die Nachhaltigkeitsdiskussion, die Politik macht jedoch letztlich die Bild-Zeitung. Klugheit ist nicht Weisheit, denn zwischen Kopf und Hand liegt das Herz.
Es gibt keinerlei Diskussion über die Wichtigkeit dieser Fragen. Politiker müssen sich jedoch die Frage gefallen lassen, ob nicht alles Ringen letztlich nutzlos ist, wenn die nachhaltigen Handlungsalternativen nicht vermittelt und von den Menschen nicht angenommen werden können. Das Schüren von Katastrophenbewusstsein schafft keine öffentliche Bereitschaft, für soziale oder ökologische Innovationen einzutreten. Falls das gesellschaftliche Klima und die Nachfrage nach nachhaltigen Angeboten nicht existieren, sind dementsprechende politische Reformen nicht durchsetzbar.
Ein Beispiel sind die EU-Subventionen für die Landwirtschaft. Landwirte wurden zwar zu erfolgreichen nebenberuflichen Antragstellern, aber das Bauernsterben ging bis heute unvermindert weiter. Statt Konsumenten für eine nachhaltige regionale Landwirtschaft, die Arbeitsplätze schafft, zu begeistern, nehmen Discounter unseren Bauern, die sich an deutsche und europäische Umwelt- und Sozialstandards halten, die letzte Luft zum Überleben. Auch hier stimmen die Menschen mit den Füßen ab. Sie kaufen statt regionaler Produkte lieber zu Weltmarktpreisen und -standards. Weltmarktpreise haben keinerlei Bezug zu Produktionskosten, zu sozialen und Umweltkosten; sie untergraben die Preis- und Kostenwahrheit, denn sie stammen zumeist von subventionierten Preisen der Agrar-Überschüsse im Westen, gegen den kein lokaler Anbieter (ohne Subventionen) eine Überlebenschance hätte.
Das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung ist mit Gesetzen, Steuererhöhungen und Subventionen allein nicht zu erreichen.
Wir brauchen als ersten Schritt hin zu einer nachhaltigen Entwicklung eine Stärkung nachhaltiger Lebenswerte und Religionen. Ein zukunftsfähiger Staat würde sich verpflichten, etwa durch eine Änderung des Grundgesetzes, dass nachhaltige Lebenswerte der Bevölkerung in allen staatlichen Bereichen vermittelt werden. Bei der Wertevermittlung spielt keine Rolle, wie Menschen zu nachhaltiger Lebensfreude finden; entscheidend ist, dass sie es tun.
Der Krise der evangelischen wie der katholischen Kirche ist politisch zu begegnen. Die Politik kann den Wandel der Kirchen unterstützen. So fördert der Staat schon heute die beiden großen Kirchen unter anderen durch die Erhebung von Kirchensteuer sowie Angebote von Religionsunterricht an staatlichen Schulen oder theologischer Studiengänge an Universitäten. Diese Zusammenarbeit muss ausgebaut werden, vor allen Dingen im Gesundheits- und Bildungsbereich. Jedoch führt die staatliche Förderung derzeit dazu, dass viele Kirchenfürsten überkommene Strukturen und Kritik von der Basis aussitzen. Die daraus entstandene Entfremdung zwischen oben und unten ist erschreckend; außerdem scheint die Diskrepanz zwischen der christlichen Rechten und den Liberalen innerhalb der Kirchen unüberbrückbarer den je. Gutes Beispiel für diese ständigen Machtkämpfe war etwa das Ansinnen des Bayerischen Rundfunks (BR) und seines CSU-nahen Fernsehdirektors Gerhard Fuchs, die Talkshow des beliebten, aber liberalen Fernseh-Pfarrers Jürgen Fliege einzustellen. Prälat Valentin Doering, katholischer Kirchenvertreter im Rundfunkrat des BR, hatte gewettert, Fliege wäre unter dem Aspekt des menschlichen Anstands nicht mehr tragbar. Er konnte sich aber damit in der ARD nicht durchsetzen. Andere Kirchen-Kritiker, die aufbegehren, werden – wie Hans Küng oder Eugen Drewermann – entweder Buchautoren oder stehen vor dem finanziellen Abgrund. Immer wieder werden hochangesehene und beliebte Pfarrer, wegen mangelnder Konformität, „von oben“ und zum Leidwesen der Gemeinde vor Ort abberufen.
Die staatlich unterstützte Vermittlung von nachhaltigen Lebenswerten muss daher demokratisiert werden. Die Bevölkerung entscheidet selbst, mit welcher religiösen Gemeinschaft der Staat zusammenarbeitet. Die Bürger sollten wählen können, mit welcher Religion und mit welcher innerreligiösen Strömung, Persönlichkeit der Staat bei der Vermittlung nachhaltiger Lebenswerte zusammenarbeitet. Es geht dabei nicht darum, wer der nächste Papst, Bischof oder Pfarrer werden soll, sondern wer in Krankenhäuser, Sozialämter, Universitäten oder Fernseh-Talksendungen (z. B. Jürgen Fliege (liberal) oder Peter Hahne (konservativ)) etc. Wertevermittlung betreibt.
Nach Durchsetzung einer solchen Reform, einer „Religions-Wahl“, nimmt der Staat bei der Vermittlung nachhaltiger Lebenswerte vermehrt auf die religiösen Vorstellungen seiner Bevölkerung Rücksicht, arbeitet mit verschiedensten religiösen Gemeinschaften zusammen und verhält sich neutraler. Neutraler deshalb, weil die derzeitige Kooperation zwischen Staat und Kirche undemokratische Machtstrukturen in den Kirchen zementiert, die in der Bevölkerung zum Teil keinen Rückhalt mehr finden.
Bei der Religions-Wahl sind alle Bürger wahlberechtigt, es stellen sich alle spirituellen und religiösen Gemeinschaften und Strömungen (z. B. liberal oder konservativ) innerhalb der Kirchen zur Wahl. Bei der Umsetzung des Wahlergebnisses nimmt der Staat auf regionale Besonderheiten Rücksicht. Beispielsweise gibt es in größeren Städten viele Menschen, die sich nicht vom Christentum angesprochen fühlen, stattdessen etwa vom Buddhismus. Im Gegenzug zur verstärkten staatlichen Unterstützung schließen Staat und religiöse Gemeinschaften freiwillige Selbstverpflichtungen ab. Ziel ist, die Verhaltenweisen der Menschen zukunftsfähiger zu machen. Der Staat nimmt die verschiedenen religiösen Gruppen in ihre gesellschaftliche Verantwortung. So verfasste Papst Johannes Paul II. Sozialenzykliken, die sich gegen Materialismus und blindes Renditestreben richten und durchaus als „revolutionär“ bezeichnet werden dürfen. Jedoch entfaltete das „Gewissen der Katholiken“ in diesem Bereich keine allzu revolutionäre Wirkung auf die Verhaltenweisen der meisten Gläubigen und Gemeinden vor Ort – mit Ausnahme einiger weniger Gepa-Läden (Produkte aus fairem Handel mit der Dritten Welt).
Die Franz von Assisi Akademie zum Schutz der Erde e. V. hat im Jahr 2004 den Abschlussbericht „Auf dem Weg zur Altmühltal-Agenda 21 +“ veröffentlicht. Darin heißt es unter anderem (S. 56 ff.):
„(…) Das fundamentale Ergebnis des Projektes liegt eigentlich auf einer anderen Ebene. Es konnte gezeigt und bewiesen werden, dass kirchliche Institutionen mit ihrem ganzen institutionellen Gewicht regional über eines der stärksten Nachhaltigkeitspotenziale verfügen, die brach liegen. Wenn sich alle 2.500 Bistümer, die über 200.000 Pfarrgemeinden, die gut 1.000 katholischen Hochschulen und Universitäten, die zahlreichen katholischen Organisationen und die über 1 Milliarde Katholiken für die Praxis nachhaltige Entwicklung einsetzen würden, wäre dies eines der größten globalen Potenziale für nachhaltige Entwicklung. (…) Gleiches gilt auch für die anderen Konfessionen und Weltreligionen. Es gibt viele Anzeichen dafür, dass ohne die zukünftige Mitwirkung der Weltreligionen an der Praxis nachhaltiger Entwicklung das Nachhaltigkeits-Konzept und die Umsetzung der Agenda 21 scheitern werden. Für die Projektregion und für Europa konnten durch das Projekt hierzu die Rahmenbedingungen verbessert werden.“