Folgender Artikel stellt kritisch zwei sächsische NSU-Berichte vor: Der “vorläufige Abschlussbericht” stammt von Sachsens Innenminister Markus Ulbig, der andere von der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) des Sächsischen Landtages. Es muss leider angemerkt werden, dass sich beide Berichte nur unwesentlich inhaltlich unterscheiden. Beide stützen sich auf Darstellungen von Innenministerium und Verfassungsschutz. Das macht wenig Hoffnung auf die laufende Arbeit der Untersuchungs-Ausschüsse in Bund und Länder.
Sabine Frieden, innen- und rechtspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, kritisiert zwar den Bericht des Innenministeriums …
“Wir stellen mit Erschrecken fest, dass genau das eingetreten ist, wovor wir lange gewarnt haben: Eine Behörde kann sich nicht selbst untersuchen. Dazu fehlt die kritische Distanz. Das öffentliche Versprechen des Innenministers, dass man für Aufklärung sorgen wolle, war ein leeres Versprechen.”
… und auch der Blog “Neonazistische Terrornetzwerke in Sachsen” kommt zu einer klaren Bewertung: “NSU: Aufklärungsversagen der Staatsregierung”.
Doch der Bericht der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) unterscheidet sich nur unwesentlich inhaltlich. In der PKK dürfte wohl auch ein SPD-Abgeordneter vertreten gewesen sein. Es ist einfach unmöglich, dass die politische Opposition Sachsens sich auf so eine “Weiß-Waschung” (englisch “white wash”) des Verfassungsschutzes einließ. Das ähnliche Vorgehen zeigt sich auch in der geringen Seitenanzahl beider Berichte: Der PKK-Bericht weist 12 Seiten auf, der Innenminister-Bericht 23 Seiten. Nur über wenige Sachverhalte wird aufgeklärt, die meisten Seiten sind politisch motivierte Bewertungen: Unschulds-Versicherungen, Beschwichtigungen oder einfach nur Palaver.
Die PKK bestand aus “fünf vom Landtag gewählten Abgeordneten, von denen zwei der Opposition angehören müssen.” Sie hätte in den letzten Monaten die Rolle des Sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV Sachsen) untersucht. Insgesamt gab es neun Sitzungen, in denen Staatsminister, Staatssekretäre, leitende Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz Sachsen berichteten.
Auszug aus den vorgestellten Sachverhalten
Vollständige Information?
“Die PKK hat ihre Arbeit ausschließlich auf das vorstehende Material gestützt. Die kontrollierten Stellen haben nach dem Eindruck der Mehrheit der Mitglieder der PKK die vorhandenen Unterlagen vollständig vorgelegt. Soweit die PKK die Einsichtnahme in Unterlagen ausdrücklich gewünscht hat, sind diese Unterlagen zeitnah und vereinbarungsgemäß vorgelegt worden. Teilweise wurde die PKK erst nach Medienberichten über bestimmte Vorgänge informiert.” Quelle: PKK-Bericht
Die “kontrollierten Stellen” informierten also teilweise erst dann, nachdem der PKK über Vorgänge in den Medien informiert wurde. Die nachgereichten Unterlagen wären jedoch dann “vollständig” vorgelegen – nach mehrheitlicher Meinung der Abgeordneten.
Trotz dieser Uneinigkeit in diesem zentralen Thema, kommt die PKK zum Schluss, dass …
“Das LfV Sachsen hat dem Trio zu keinem Zeitpunkt irgendeine Unterstützung geleistet. Weder hat der Sächsische Verfassungsschutz mit dem Thüringer Trio unmittelbar noch mittelbar zusammengearbeitet hat. Auch hat das LfV Sachsen das Trio und dessen Umfeld weder direkt noch indirekt unterstützt, weder z.B. durch Ausweispapiere noch in anderer Form. Kenntnisse über den Aufenthalt bzw. Verbleib des Trios hatte das LfV durchweg nicht.”
Dies ist eine bemerkenswerte Feststellung, da es begründeten Verdacht gegen einen engen Freund des Trios (Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe) gibt: André E.
Wie die Berliner Zeitung Mitte Februar 2012 erfuhr, hätte das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz versucht, wichtige Informationen über E. zurückzuhalten. Deren Präsident Reinhard Boos teilte erst mit, dass …
“… E. im Informationssystem seines Amtes lediglich als Teilnehmer eines rechtsextremen Konzertes im Mai 2011 in Mecklenburg auftauche. Mehr Angaben zu ihm habe man nicht.”
Tatsächlich aber war E. eine solch wichtige Figur in der Neonazi-Szene, dass das …
“… LfV ihn in den letzten Jahren dreimal ansprach, um ihn als V-Mann anzuwerben. In der geheim tagenden Kontrollkommission des Landtages gab LfV-Präsident Boos vor wenigen Wochen [Erscheinungsdatum des Artikels: 13.02.2012] allerdings an, dass keins dieser Werbegespräche erfolgreich gewesen sei (Quelle: BZ).
Die Berliner Zeitung weist darauf hin, dass ein solches behördliches Vorgehen, “dem Schutz von Informanten” dienen könnte.
Weder der “vorläufige Abschlussbericht” des Innenministeriums noch die PKK sprachen André E. an. Warum?
Wissen über Waffenbeschaffung, Überfälle
Der sächsische Verfassungsschutz war sehr gut informiert …
“… lm September 1998 erhielt u.a. das LfV Sachsen von der Verfassungsschutzbehörde eines anderen Bundeslandes den Hinweis, ein Rechtsextremist aus dem Umfeld der sächsischen
Blood & Honour-Szene wolle die drei Flüchtigen mit Waffen versorgen. Mit Hilfe dieser Waffe wolle das Trio ,,weitere Überfalle” begehen, um sich Geld für die Flucht ins Ausland zu beschaffen. Um die Flucht zu unterstützen, wolle eine Rechtsextremistin aus Sachsen dem Trio ihren Pass zu Verfügung stellen.”
Diese wichtige Information hätte der Polizei aus “Quellenschutzgründen” nicht schriftlich, “sondern nur in allgemeiner Form” hätte übermitteln werden müssen und zwar seitens des Thüringer Verfassungsschutz:
“Nachdem die Verfassungsschutzbehörde des anderen Bundeslandes als herausgebende Behörde bestimmt hatte, dass sie aus Quellenschutzgründen nicht schriftlich, sondern nur in allgemeiner Form an die Polizei übermittelt werden darf, hat das LfV Sachsen in Absprache mit dem LfV Thüringen seine Beobachtung des sächsischen Blood & Honour-Umfelds intensiviert, ohne jedoch dem Trio auf die Spur zu kommen.”
Sachsens Innenminister pflichtet bei, es wäre die Aufgabe des Thüringer Verfassungsschutzes gewesen, über diese mögliche Waffenbeschaffung und die Überfälle “informell” zu informieren:
Nach Aktenlage des LfV Sachsen sollte die Information daher informell unter Wahrung des Quellenschutzes vom LfV Thüringen an das LKA Thüringen übermittelt werden. Für die Frage der Zulässigkeit der Übermittlung und ihre konkrete Form waren die herausgebende Stelle und das LfV Thüringen zuständig (Quelle: Sachsens Innenministerium).
Waffenbeschaffung durch V-Mann Piato?
Laut Schäfer-Gutachten hätte ein V-Mann des brandenburger Verfassungsschutzes einem Kontaktmann des flüchtigen Trios (Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe) eine “Bums” organisierten sollen. Sein Handy befand sich in Chemnitz, Sachsen. Im Schäfer-Gutachten steht, dass …
“… Anrufe von und zu einem Handy festgestellt (Nr. 0172/XXXXX) [wurden], das für das Ministerium des Inneren eines anderen Bundeslandes registriert war und sich in Chemnitz befand.”
Während der PKK-Bericht nichts dazu schreibt, dementiert der Innenminister; es wäre kein sächsischen Geheimdienst-Handy gewesen:
Hierüber wurden Spekulationen angestellt, dass es sich um Telefonate des W. zu sächsischen Behörden handele und dass es in der Kommunikation um Waffen gehe. Dazu ist festzustellen, dass die Aufzeichnung nicht Anrufe von oder zu einem Handy betrifft, das auf eine sächsische Behörde registriert war. Die Spekulationen sind haltlos. (Quelle: Sachsens Innenministerium)
Wurde Frau Zschäpe gefilmt?
Die PKK verneint und stützt sich dabei auf Innenminister und BKA:
“lm September/Oktober 2000 fand eine Observation statt, bei der nach Medienberichten der Eindruck entstand, die Gesuchten Böhnhardt und Zschäpe seien durch das LfV Sachsen observiert worden, ohne dass eine Festnahme erfolgte. Diesen Sachverhalt hat der Staatsminister detailliert in seinem Bericht an den lnnenausschuss des Sächsischen Landtages vom 11.01.2012 erläutert.
Das Bundeskriminalamt hat zwischenzeitlich feststellt, dass es sich bei den am 29.09.2000 vor dem Wohnobjekt Bernhardtstr. in Chemnitz beobachteten Personen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht um Böhnhardt und Zschäpe handelt.“
Der Innenminister stimmt in seinem Bericht zu und schreibt von einer “vermeintlichen Observation”. Es hätte sich “wahrscheinlich” nicht um Zschäpe gehandelt.
Dazu im Gegensatz sagt die polizeiliche Zielfahndung aus, die auch den Hauseingang in der gleichen Zeit filmte, dass …
“Bei nachfolgenden Ermittlungen im Zeitraum vom 29.09. – 01.10.2000 […] eine weibliche Person an der Anschrift Bernhardstraße 11 festgestellt [wurde], bei der es sich nach ersten Auswertungen von Videoaufzeichnungen um die Gesuchte Beate Zschäpe gehandelt hat“. (Quelle: Schäfer-Bericht).
Auch der ZDF-Bericht “Brauner Terror, blinder Staat” vom 27.06.2012 bestätigt diese polizeiliche Darstellung. Verfassungsschützer hätten nach 7 Tagen die Filme überprüft und wären sich sicher gewesen: “Die Frau an der Tür war Beate Zschäpe (…).” Zeitindex: 23:00
Frontal 21 Brauner Terror, blinder Staat [ZDF, 27.06.2012]
Ende aller Erkenntnisse
Obwohl das Trio (Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe) ab 2001 in der Polenzstraße 2 in Zwickau, Sachsen, lebte (Quelle: taz) und obwohl nach ihnen bis 2003 gefahndet wurde, verschwanden sie förmlich von der Bildfläche des sächsischen Verfassungsschutzes:
“Ab Oktober 2000 versiegte der Informationsfluss. Relevante lnformationen von anderen Behörden sind in der Folge beim LfV Sachsen praktisch nicht mehr eingegangen. Eigene Maßnahmen erbrachten keinen Erkenntniszuwachs über die Gesuchten, ihren möglichen Aufenthaltsort und zu den Unterstützern.”
Der Innenminister stimmt zu:
“In diesem Zeitraum erhielt das LfV Sachsen keinerlei Informationen mehr von anderen Behörden zu den Gesuchten, ihrem möglichen Aufenthaltsort und zu den Unterstützern.” (Quelle: Sachsens Innenministerium)
Anrufe bei Frau Zschäpe
Etwa 1 Stunde nach dem Brand in der Wohnung des Trios, gegen 16:32, meldete sich das erste Mal das sächsische Innenministerium: “Der gleiche Anrufer probiert es Stunden später, nämlich um 21.06 Uhr noch einmal. Vergeblich. Zschäpe nimmt nicht ab.”(Quelle: stern)
Zwischen 16:32 und 21:06 wurden weitere Anrufe vom Innenministerium registriert, jedoch ausgehend von einem anderem Handy. Laut Ministeriums-Sprecher Hofner hätte “dieser Anschluss trotz der Kennung für das Innenministerium zur Polizeidirektion Südwestsachsen gehört.” Es würde sich um ein “ganz normales Diensthandy” handeln. Dies wird von der sächsischen Abgeordneten Köditz bezweifelt, da niemand an das Handy ging, als sie “vier Tage lang zu unterschiedlichen Zeiten” dort anrief. “Wäre es ein normales Diensthandy, müsste es auch erreichbar sein.” Die Linken-Politikerin:
“Inzwischen bin ich an einen Punkt gelangt, an dem ich mich nicht mehr auf Behauptungen verlasse. Man möge mir endlich Beweise vorlegen.”
Weitere Rätsel geben zwei weitere Kontaktversuche ausgehend von nicht identifizierbaren “Null-Nummern”:
Laut BKA-Papier bemüht sich ein Anrufer um 18.07 Uhr, und noch einmal um 18.24 Uhr per Handy um eine Verbindung. Das Bundeskriminalamt schreibt in seinem Bericht, die Anschlussinhaberfeststellung habe eine “Nullauskunft” ergeben. Dieser Anrufer sei deshalb nicht zu ermitteln.
Ein Sprecher der Bundesanwaltschaft, die in dem Verfahren die Ermittlungen führt, erklärt hingegen gegenüber stern.de: “Es gibt keine Nullauskunft. Wir haben alle Anrufe an diesem Tag zuordnen können.” (Quelle: ebd)
Zeitlich dazwischen rief sie auch noch die Polizei an :
“Um 17.50 Uhr versuchte die Polizeidirektion Südwestsachsen aus Zwickau das von Zschäpe benutzte Handy zu erreichen. (…) 18.13 Uhr wählte wieder jemand aus dem Lagezentrum der Polizeidirektion Südwestsachsen die Zschäpe-Nummer.” (Quelle: Neues Deutschland).
Laut Innenministerium rührten die vielen Anrufe aus der Sorge um Frau Zschäpe. Nachdem eine Nachbarin Frau Zschäpes Nummer Polizei-Beamten vor Ort gab, versuchte man festzustellen, “ob die Frau noch lebt, und um ihr gegebenenfalls von der Explosion berichten zu können.” (Quelle: stern)
Warum wird Frau Zschäpe von unbekannten Anrufer(n), deren Handy auf das Innenministerium zugelassen ist, angerufen, während die zuständige Polizeidirektion Südwestsachsen sich längst um den Fall kümmert?
Leider adressiert die PKK diese Frage nicht. Das sächsische Innenministerium beantwortet die kritischen Fragen nicht:
Im Zuge der Erstermittlungen der vor Ort eingesetzten Polizeibeamten wurde bei einer Befragung einer Nachbarin bekannt, dass die Wohnungsinhaberin unmittelbar vor dem Brand das Haus verlassen hatte. Weiter teilte diese den Beamten eine Handynummer der Wohnungsinhaberin mit. Um den Verbleib der Wohnungsinhaberin zu ermitteln, wurde von Beamten der Polizeidirektion Südwestsachsen mehrmals versucht, telefonisch Kontakt zu ihr aufzunehmen.”
Weitere Falschdarstellung führt zu Rücktritt
Am 11.07 trat schließlich der sächsische Präsident des Verfassungsschutzes Reinhard Boos zurück. Seiner Behörde wurde ein weiteres Mal (nach dem Fall André. E) konkret nachgewiesen, etwas falsches behauptet zu haben. Laut Boos wären ja immer alle Dokumente vorgelegt worden (Quelle: Abendblatt).
Der sächsische Innenminister Ulbig erklärte, das plötzliche Auftauchen neuer NSU-Akten sei nur eine “Schlamperei, die nicht hingenommen werden kann”. Es wäre ein “Versagen Einzelner” (Quelle: mdr).
Dagegen schredderte der sächsische Verfassungsschutz ordentlich seit November 2011 bis Juli 2012 “über 800 Aktenstücke mit Personenbezügen zu sächsischen Neonazis” – trotz der laufenden Untersuchungen. “Zudem sei die Aktion mit rechtswidrig falsch angewandten datenschutzrechtlichen Bestimmungen begründet worden.” Es wurde daher Strafanzeige gegen leitende Verfassungsschützer erstattet aufgrund des Verdachts auf einen sogenannten Verwahrungsbruchs wegen der Zerstörung dienstlicher Schriftstücke (Quelle: mdr).
Fehlender Aufklärungswille
Passend zu diesen Zuständen sagte Prof. Klaus Schroeder dem sächsischen NSU-Untersuchungsausschuss 15.6.12 ab. Er wurde zu einer “Expertenanhörung” eingeladen. Er begründete seine Absage sinngemäß damit, dass …
… der Aufklärungswillen der CDU-geführten Staatsregierung im Bereich Rechtsextremismus bisher an Konsequenz vermissen lassen habe.” (Quelle)
Passend auch folgender Bericht (02.02.12) u. a. über die “Aufklärungsbemühungen” der sächsischen CDU-Landesregierung:
http://www.youtube.com/watch?v=YTk9WANe0II
Ein Gedanke zu „Sachsen legt windige NSU-Berichte vor“
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