Gibt es eine demokratische Kontrolle der Geheimdienste?

Angesichts der Zerstörung von Beweismaterial, angesichts geheimdienstlicher Behinderung des NSU-Untersuchungsausschusses, ist die drängende Frage: Sind die Sicherheitsbehörden überhaupt noch unter politischer Kontrolle? Gib es dort ein “Eigenleben”, oder handeln die Geheimdienste mit geheimer politischer Rückendeckung? Offensichtlich funktionieren die demokratisch legitimierten Kontrollgremien nicht, unsere Demokratie wird unterminiert. Die Probleme auf Bundesebene, in Thüringen, Hessen, Bayern, Berlin und Sachsen werden kurz umrissen sowie ein geschichtlicher Rückblick über den Kampf der Parlamente um Kontrolle der Geheimdienste gegeben.

Wolfgang Bosbach, CDU-Bundestagsabgeordneter:

“Mich bedrückt eher etwas anderes, nämlich bei der Frage der parlamentarischen Kontrolle unserer Geheimdienste, ob wir als Parlamentarier nicht ohnehin nur das erfahren, was wir erfahren sollen. Und wenn wir dann von anderen Sachverhalten Kenntnis erlangen, in der Regel durch Journalistinnen und Journalisten, dann schaut man uns blauäugig an und fragt, ja wenn ihr danach gefragt hättet, ja dann hätten wir euch selbstverständlich auch die Auskunft erteilt.” (dr)

Bundesebene

Wie konnte die Akten-Schredderei des “Verfassungsschutzes” überhaupt passieren – unbemerkt vom Kontrollgremium des Deutschen Bundestages, der die Geheimdienste kontrollieren soll? Dieses Gremium hätte noch viel früher von den Vorgängen erfahren müssen als der NSU-Ausschuss, wenn das System funktioniert hätte.

Siehe: “Die Vernichtung der NSU-Akten, ein Überblick” (Friedensblick)

Ehe. Hessischer Verfassungsschützer Eisvogel müsste gehen

Laut focus wäre der Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Alexander Eisvogel zuständig für Akten-Bereitstellung für den NSU-Untersuchungsausschusses (focus). Der Verfassungsschutz dementierte, dass Eisvogel zwar im Rahmen der Behördenleitung auch dafür Mitverantwortung trage, jedoch nicht in besonderem Maße (stern). Nichtsdestoweniger würde er von Innenminister Friedrich abgesetzt werden.

Pikant – Eisvogel wurde Präsident des hessischen Verfassungsschutzes im Jahr 2006 (stern) – genau in diesem Jahr wurde nach Darstellung des damaligen leitenden Kriminaldirektor des Polizeipräsidiums Nordhessen, Gerald Hoffmann, ein mord-verdächtiger Verfassungsschützer und seine Quellen protegiert. Es hieße “selbst wenn man eine Leiche neben einem Verfassungsschützer findet, bekommt man keine Auskunft (FR-online).

Hessen

Im Jahr 2006 wurde das Parlamentarische Kontrollgremium des hessischen Landtages anscheinend auch fehlerhaft informiert – seitens des CDU geführten Landes-Innenministeriums. Der damalige CDU-Innenminister und heutige Ministerpräsident Bouffier hätte im Fall des mord-verdächtigten Verfassungsschützers Andreas T. das hessische Gremium nicht umfassend über den Hintergrund des Tatverdachts informiert:

Der Grüne Frömmrich sprach von einem „netten Versuch“ des Ministerpräsidenten, „jetzt so zu tun, als sei das seinerzeit schon aufgeklärt worden“. Die Abgeordneten hätten 2006 vieles nicht erfahren, was für die Einordnung der Tat erforderlich gewesen wäre – etwa, dass die Ermittler bei Verfassungsschützer T. Waffen, illegale Munition und rechtsextremes Schriftgut fanden oder dass Schmauchspuren an seiner Kleidung festgestellt wurden. All dies sei erst jetzt bekannt geworden, obwohl es die Behörden schon damals gewusst hätten. Es bestehe aber eine „Bringschuld“ der Sicherheitsbehörden gegenüber dem Parlament und keine „Holschuld“ der Abgeordneten, fügte Frömmrich hinzu. (Quelle: FR).

Darüberhinaus informierte Bouffier den Landtag falsch, als er im Kontrollgremium behauptete,  “Andreas T. stehe nicht mehr unter Tatverdacht.” Bouffier wusste es zwar besser, bestreitet jedoch, absichtlich gelogen zu haben. Er habe „wahrscheinlich versehentlich“ so formuliert, sagte Bouffier. (FR)

Thüringen

Mitte Juni 2012 kam es in Thüringen zum Eklat zwischen dem Thüringer Verfassungsschutz und der Parlamentarischen Kontrollkommission des Thüringer Landtages. Scharf und öffentlich widersprach die Kommission der Verfassungsschutz-Darstellung, sie sei über die Geheimdienstoperation “Rennsteig” informiert worden. Stattdessen wurde über die Operation nicht “mit der notwendigen Klarheit und Umfänglichkeit informiert” (Quelle: mdr). Hier geht es zu einem Interview mit dem Thüringer Linken Bodo Ramelow (Quelle: freies Radio).

Rücktritts-Forderungen an Thüringens Innenminister Jörg Geibert

Ende August 2012 forderte die Vorsitzenden des Thüringer Landtagsuntersuchungs-Ausschusses Dorothea Marx (SPD) Geibert zum Rücktritt auf: Geibert verspreche Aufklärung, “passieren würde aber nichts.” Man könne es sich nicht leisten, Informationen immer nur nachgeliefert zu bekommen.

Ein Hintergrund, der das Fass zum Überlaufen brachte, war, dass der Thüringer Ausschuss erst Ende August informiert wurde, dass ein Polizeibeamter im “Thüringer Heimatschutz” aktiv gewesen sein soll. Laut  Aussagen mehrerer V-Männer hätte er Dienstgeheimnisse in die Szene weitergegeben. (Quelle: mdr). Obwohl dies dem Verfassungsschutz bekannt war, machte die Person Karriere:

“Sven T. machte im Gegenteil sogar Karriere. Er stieg von der Polizeidirektion Saalfeld/Rudolstadt auf ins Landeskriminalamt. Im Jahr 2010 wurde er schließlich zum Thüringer Verfassungsschutz abgeordnet, wo er eine Festanstellung bekam. Dort hatte er ausgerechnet die Aufgabe, V-Leute zu führen.

Erst im Dezember 2011, kurz nach dem Tod der mutmaßlichen NSU-Terroristen Böhnhardt und Mundlos, wurde der Beamte aus dem Verfassungsschutz abgezogen und zur Polizeidirektion Erfurt versetzt.” (Quelle: DW)

Dorothea Marx wirft Geibert vor zugelassen zu haben, dass Gerhard Schäfer “einen Zielfahnder des Thüringer Landeskriminalamtes “öffentlich demontiert” habe. Der Zielfahnder äußerte zuvor vor der Schäfer-Kommission den Verdacht, dass es bei der Suche nach dem TRIO, “Lecks bei Polizei oder Verfassungsschutz gegeben haben könnte.” Diese Aussagen hatte Schäfer bei der Vorstellung seines Berichtes als “erbärmlich” bezeichnet. Dorethea Marx:

“Ich frage mich, ob die Schäfer-Kommission von dem jetzt bekannt gewordenen Verdacht gegen die Polizisten durch das Innenministerium informiert wurde.”

Das Thüringer Innenministerium verteidigte sich, es hätte die Parlamentarische Kontrollkommission des Landtags (PKK) im Dezember über die Angelegenheit umfassend unterrichtet. Dies erstaunt den Grünen Innenexperten Dirk Adam, der PKK-Mitglied ist, aber diese Darstellung so nicht bestätigen kann:

“Es sei möglich, dass es in der PKK eine Information über den Verdacht, ein Polizeibeamter sei 1999 im “Thüringer Heimatschutz” aktiv gewesen (…). Doch wenn, “dann nur ganz kurz und am Rande”, sagte Adams (…).” (Quelle: mdr)

Sachsen

Siehe: “NSU: In Sachsen verschwanden Akten!” (Friedensblick)

Ende August kritisiert die sächsische Linke die vorläufige Sperrung der Akten zur verbotenen Neonazi-Organisation “Blood & Honour”. Die Linke sieht ihre Arbeit behindert, die Abgeordnete Kerstin Köditz kommentiert:

“Wer geglaubt hat, die Verzögerungs- und Vertuschungstaktik der CDU in Sachsen bei der Aufklärung der Verbrechen des Terrornetzwerkes NSU sei nicht mehr zu überbieten, sieht sich leider getäuscht.” (Bild)

Bayern

Susanna Tausendfreund, innenpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bayerischen Landtag, Grünen-Vertreterin im Untersuchungsausschuß zur Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) teilte im Gespräch mit der “Jungen Welt” ihre Eindrücke mit:

Akten werden nur “sehr schleppend” geliefert und  Geheimhaltungsvorschriften  behindern die Arbeit der Abgeordneten. So werden viele Akten als “VS-Geheim” eingestuft. “Wir können sie nur in einem speziellen Raum einsehen, wo wir uns keine Notizen machen dürfen. Und selbst dort finden wir noch geschwärzte Akten vor.”

“Viele der Zeugen im Untersuchungsausschuß können auch nur in geheimer Sitzung vernommen werden. Wenn wir Fragen über weitere ­V-Leute haben, die in diesem Bereich tätig waren und welche Erkenntnisse sie lieferten, berufen sich die Zeugen darauf, daß sie dafür vom Innenministerium keine Aussagegenehmigung haben. Mir ist zur Zeit noch schleierhaft, wie wir unsere Erkenntnisse in einen vernünftigen, öffentlichen Abschlußbericht gießen sollen.

Nicht einmal im Parlamentarischen Kontrollgremium, in dem ich ebenfalls Mitglied bin und das eigentlich die Arbeit des bayerischen Verfassungsschutzes überprüfen und durchleuchten sollte, erhalte ich ausreichende Informationen. Das Innenministerium macht »schwere Bedenken aus Quellenschutzgründen« geltend – und die Mehrheit sagt: Na, dann wollen wir gar keine Informationen. Ich weiß nur ungefähr, wieviele ­V-Leute insgesamt unterwegs sind und was sie vielleicht in etwa an Honoraren bekommen – aber nicht, in welchen Bereichen sie genau eingesetzt sind. Für eine Evaluierung wäre es aber nötig zu wissen, ob sie überhaupt vernünftige Informationen geliefert haben und ob sie mehr schaden als nutzen.” (jw)

Geschichtlicher Überblick über den Kampf um Geheimdienst-Kontrolle 

Am 04.08.1969 verhinderten CDU/CSU-Abgeordnete eine stärkere Kontrolle der Geheimdienste. Der Spiegel schrieb vor über 40 Jahren:

“Sie nickten mit dem Kopf und sagten nein. ….““

Damals ging es um eine in der deutschen Verfassung verankerten parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste, die damals verhindert wurde:

“Einmütig wollten alle Bundestagsfraktionen die drei deutschen Geheimdienste unter ständige Kontrolle eines in der Verfassung verankerten Bundestagsausschusses aus fünf Parlamentariern stellen. Einmütig unterzeichneten sie einen entsprechenden interfraktionellen Antrag zur Änderung des Grundgesetzes. SPD-Jurist Martin Hirsch:

“Es war allgemeines Kopfnicken und allgemeine Zustimmung.”

Als aber in der letzten Parlamentswoche dieser Legislaturperiode über Geheimdienst-Kontrolle abgestimmt wurde, verhinderte die CDU/CSU die erforderliche Zweidrittelmehrheit. “ (SPON)

Parlamentarisches Kontrollgremium (PKG) des Deutschen Bundestags

Seit 1978 soll das parlamentarische Kontrollgremium die Arbeit der deutschen Nachrichtendienste kontrollieren. Darunter fallen der “Bundesnachrichtendienst”, “Bundesamt für Verfassungsschutz” sowie der “Militärischen Abschirmdienst”. Die Gremium-Mitglieder setzen sich aus Bundestags-Abgeordneten zusammen. Sie haben das Recht die jeweilige Dienststelle zu betreten und Akteneinsicht zu fordern. “Ferner sind sie dazu berechtigt, Nachrichtendienstmitarbeiter zu bestimmten Themen einer Befragung zu unterziehen.” (Quelle: wiki)

Das “Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes” regelt die Befugnisse der Mitglieder genau:

“Das PKG wird von der Bundesregierung „umfassend“ über die „allgemeine Tätigkeit“ informiert (§ 2). Auf Verlangen der Mitglieder muss auch über „sonstige Vorgänge“ berichtet werden. Die Unterrichtungspflicht der Regierung ist jedoch u. a. aus „zwingenden Gründen des Nachrichtenzugangs“ oder bei Eingriff in den „Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung“ aufgehoben (§ 2b Abs. 2 Satz 1).

(…)

Die Mitglieder des Gremiums sind zur umfassenden Geheimhaltung verpflichtet (§ 5). Sie sind grds. nicht befugt, die in dem Gremium erlangten Kenntnis an andere Abgeordnete – nicht einmal an die Fraktionsvorsitzenden – weiterzugeben. Nur bei einer Zwei-Drittel-Mehrheit der anwesenden Mitglieder kann eine vorherige Zustimmung erteilt werden; dies jedoch auch nur für die „Bewertung aktueller Vorgänge“ (§ 5 Abs. 1  4).”

Seit 2009 ist das Parlamentarisches Kontrollgremium auch in der Verfassung im Art 45d
verankert:

  1. Der Bundestag bestellt ein Gremium zur Kontrolle der nachrichtendienstlichen Tätigkeit des Bundes.
  2. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

Abschaffung des PKG?

Dies traf nicht auf Gegenliebe des damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU). Er schlug stattdessen 2009 vor, die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste abzuschaffen. Seine Begründung:

“Parlamentskontrolle zielt auf Öffentlichkeit, Nachrichtendienste aber brauchen den Verzicht auf Öffentlichkeit.”

Ein Grund wäre, dass

“… es vor allem von ausländischen Geheimdiensten inzwischen Zweifel daran gebe, ob Zusammenarbeit und Informationsaustausch mit deutschen Diensten wie dem Bundesnachrichtendienst (BND), Militärischem Abschirmdienst (MAD) oder dem Verfassungsschutz tatsächlich vertraulich blieben.”

Der Hintergrund seines Vorschlages war, dass verschiedene Geheimdienst-Skandale das Licht der Öffentlichkeit erblickten. Dazu gehörten die Überwachung von Journalisten durch den BND und die Rolle deutscher Dienste im Irak-Krieg (Quelle: Handelsblatt)

Neuer Verfassungsschutz-Präsident Maaßen – ein Mann des Apparats

Aufgrund seiner Karriere im Innenministerium und seiner Nähe zu den Geheimdiensten wird Maaßen bereits vor seiner Amts-Übernahme kritisiert. Für die Linke stehe der Beamte “innerhalb der deutschen Sicherheitsbehörden für eine „technokratische Unkultur“.

“Die Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion, Renate Künast, kritisierte Maaßens Verhalten gegenüber dem damaligen Guantánamo-Häftling Murat Kurnaz. „Wir fordern einen Neuanfang in der Führung des Verfassungsschutzes – mit Leuten von außen, die strukturell aufräumen können“, sagte sie der „Mitteldeutschen Zeitung“. „Herr Maaßen erfüllt diese Bedingungen leider nicht.“ Er habe „seine Versäumnisse im Fall Kurnaz noch nicht aufgearbeitet“ und müsse „vor seiner eigenen Haustür kehren, bevor er woanders saubermachen kann“.

Der in Bremen geborene türkische Staatsbürger Kurnaz war im November 2001 in Pakistan unter Terrorismusverdacht festgenommen und nach Guantánamo überstellt worden. Obwohl er als unschuldig galt, blockierte die rot-grüne Bundesregierung seine Heimkehr. Maaßen war damals Referatsleiter für Ausländerrecht im Bundesinnenministerium und für den Fall Kurnaz zuständig. Er kam in einer Stellungnahme vom 30. Oktober 2002 zu dem Schluss, dass Kurnaz seine Aufenthaltsgenehmigung eingebüßt habe, weil er „sich länger als sechs Monate im Ausland aufgehalten hat“. Dass er sich aufgrund seiner Haft gar nicht in Deutschland aufhalten konnte, spielte für Maaßen ausländerrechtlich keine Rolle.” (FAZ)

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