NSU-Komplex: Mehr Fragen als Antworten, Teil 2

Heilbronn: Der Mord an Michèle Kiesewetter im April 2007 ist der rätselhafteste der Mordserie. Keine Migranten wurden Opfer, wie in den neun Fällen davor, sondern deutsche Polizeibeamte; es gab kein Übertöten, wie in allen anderen Fällen, nur jeweils ein Schuß wurde abgegeben; es wurden andere Waffen verwendet – und doch muß das Trio verwickelt sein. Nur wie? Selbst der Innenminister von Baden-Württemberg und der Generalbundesanwalt können das nicht beantworten. Mord Nummer zehn in Heilbronn ist ein Schlüsselfall des Komplexes.

Es gibt zahlreiche, langjährige und dauerhafte Spuren ostdeutscher Rechtsextremisten nach Baden-Württemberg. Auch vom NSU-Trio. Das kam vor allem durch die Arbeit des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages heraus, der von Januar 2012 bis Juli 2013 eingesetzt war. Bemerkenswerter Weise will ausgerechnet der Dienst, der das eigentlich vor allem wissen sollte, nichts davon mitbekommen haben. Zwei frühere Präsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutz gaben vor dem Ausschuß an, mangels Quellen nur wenig Kenntnisse über Rechtsextremisten im Land gehabt zu haben. Doch das stimmt nicht.

Spuren in Baden-Württemberg: Auf der inzwischen berühmten Namens- und Städteliste von Uwe Mundlos, die in einer Garage in Jena gefunden wurde und deshalb Garagenliste heißt, finden sich vier Adressen in Ludwigsburg. Fotos, die im Besitz des Trios gefunden wurden, zeigen sie in Ludwigsburg und Stuttgart. Es wurden ein Personalausweis und eine Krankenversicherungskarte von Männern aus Neudenau und Laupheim in der ausgebrannten Wohnung in Zwickau gefunden. Eine Zeugin beteuert öffentlich, Zschäpe in Ilshofen bei Schwäbisch Hall und Böhnhardt in Erlenbach bei Heilbronn getroffen zu haben. Die Zeugin war eine frühere V-Frau des Landesamtes für Verfassungsschutz, die sich selbst enttarnte. In Schwäbisch Hall wurde der deutsche Zweig des rassistischen Geheimbundes Ku-Klux-Klan (KKK) gegründet. Ein Mitglied des KKK stand auf der Garagenliste von Mundlos – und war zugleich V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Auch der Gründer des KKK war V-Mann des Verfassungsschutzes, von Baden-Württemberg. Er wurde aber auch vom Verfassungsschutz Sachsen bei der Fahndung nach dem Trio eingesetzt, was wiederum bedeutet, daß die Dienste das Trio auch in Baden-Württemberg gesucht haben müssen. Mehrere Mitglieder des Ku-Klux-Klans waren Polizeibeamte aus Baden-Württemberg. Zwei gehörten zu einer Sondereinheit in Böblingen, wo auch Michèle Kiesewetter und ihr Kollege, der das Attentat in Heilbronn überlebte, ihren Dienst taten. Ein Beamter des Landesamtes für Verfassungsschutz erfuhr 2003 von einem Informanten, daß es in Ostdeutschland eine rechtsterroristische Organisation namens „NSU“ gibt und nannte fünf Namen. Auf Namen soll bei diesen Beispielen ausnahmsweise verzichtet sein, um Strukturen und mögliche Zusammenhänge besser sichtbar zu machen.

Doch, weil die Wahrheit konkret ist, Namen und Gesichter hat, nun weiter mit Namen. In Hardthausen nördlich von Heilbronn besaß der erwähnte thüringer Neonazi und V-Mann Tino Brandt, der das Trio sehr gut kannte, vier Jahre lang ein Haus. In den Zeitraum fiel der Polizistenmord von Heilbronn. Bis heute ist nicht ermittelt, ob Brandt oder wer das Haus nutzte und wie. In Besigheim sitzt Jan Werner, ein früherer führender Aktivist der Neonazi-Organisation Blood&Honour in Sachsen, der Kontakt zum Trio hatte und Glied in der Waffenbeschaffungskette war. In Aspach: Andreas Graupner, ebenfalls Rechtsextremist aus Sachsen und Vertrauter des Trios. Webadministrator der Homepage des rechten Aktionsbüros Rhein-Neckar war Ralf Wohlleben aus Jena. Aus Öhringen stammt die Rechtsanwältin Nicole Schneiders, geborene Schäfer, die in München Ralf Wohlleben verteidigt. Sie studierte in Jena und war dort, wie Wohlleben, Mitglied im Vorstand der NPD. Sie wird seit langem vom Verfassungsschutz beobachtet. Der hat sie auch auf eine Mitarbeit angesprochen. Sie soll abgelehnt haben. Im Untersuchungsausschuß in Berlin waren davon nicht alle überzeugt.

Wohin wir schauen, wie tief wir graben, wie wir es wenden – immer wieder stoßen wir auf eine Verquickung von Rechtsextremisten und Verfassungsschutz.

Nehmen wir Ralf Wohlleben selber: Sein Name soll auf einer Liste des Bundesamtes für Verfassungsschutz über V-Leute in NPD-Vorständen gestanden haben. Zeuge dieser Aussage war niemand anderes als ein leibhaftiger Bundesanwalt aus Karlsruhe: Hans-Jürgen Förster, seit Sommer 2013 in Pension, aber als Strafverteidiger weiterhin aktiv. Förster machte seine Aussage im November 2012 vor dem Untersuchungsausschuß des Bundestages. Der Mann trat spätabends auf, er war der letzte Zeuge des Sitzungstages, kaum ein Medium hat darüber berichtet. Doch der Bundesanwalt ist durch seine Aussage wider Willen zum Dissidenten geworden, für andere: zum Nestbeschmutzer. Denn ein Angeklagter, ein NSU-Komplize, der V-Mann war – das darf nicht sein. Das könnte das Verfahren sprengen. Die damalige Freundin von Wohlleben, die nach dem Untertauchen des Trios Zugang zur Wohnung von Mundlos hatte – auch sie war V-Frau.

 Im Januar 1998 floh das Trio aus Jena nach Chemnitz, wie man heute weiß. Den ersten Unterschlupf fand es bei Thomas Starke, ebenfalls ein Aktivist der inzwischen verbotenen Blood&Honour. Auch Starke gilt als Beschuldigter, und es wird gegen ihn ermittelt. Im September 2012 erfährt der Untersuchungsausschuß in Berlin, daß Thomas Starke V-Mann war, für das Landeskriminalamt in Berlin, von 2000 bis 2011. Das war Wissensstand bis zum Oktober 2013. Jetzt gab es im Untersuchungsausschuß in Sachsen einen Hinweis darauf, daß Starke schon vor 2000 als V-Mann geführt wurde. Unklar ist unter anderem, von welchem Dienst. Doch damit rückt die Frage näher: Ist das Trio zu einem V-Mann geflohen?

Ende Teil 2, Teil 3 folgt

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