“Das renommierte Fachjournal „Food and Chemical Toxicology“ hat einen Gentechnik-Kritiker aufgefordert, einen Artikel zurückzuziehen. Andernfalls werde man den Beitrag selbst nachträglich entfernen, schrieb der Chefredakteur in einem Brief an den Wissenschaftler. Dieser, der französische Biologe Gilles-Eric Séralini, hatte vor über einem Jahr eine Studie zu den Gesundheitsrisiken eines Gentechnik-Mais von Monsanto in dem Journal veröffentlicht. Séralini wies die Forderung der Zeitschrift umgehend zurück. Übte die Industrie Druck aus?
„Wenn Sie sich nicht bereit erklären, den Artikel zurückzuziehen, wird er zurückgenommen werden“, schrieb A. Wallace Hayes, der Chefredakteur von Food and Chemical Toxicology am 19. November an Séralini, einen Biologieprofessor der Universität Caen in Frankreich. Eine solche Aufforderung kommt bei Wissenschaftsmagazinen nicht häufig vor – und ist eigentlich nur in Fällen von absichtlicher Täuschung oder Plagiaten vorgesehen. Das wirft Hayes dem Forscher aber gar nicht vor. Er betonte, es gebe „keine Hinweise auf Betrug oder absichtliche Fehldarstellung der Daten.“
Vielmehr geht es um die Qualität der wissenschaftlichen Untersuchung. Séralini und sein Team hatten vor über einem Jahr Ergebnisse einer langen Untersuchung publiziert, wonach die Fütterung mit dem Gentechnik-Mais NK603, der gegen das Totalherbizid Roundup (Glyphosat) resistent ist, bei Ratten zu schweren Gesundheitsschäden führt. Die Studie fand viel Beachtung in der Öffentlichkeit – laut Verleger Elsevier ist sie die am häufigsten heruntergeladene des Journals – und stieß bei Monsanto, dem Hersteller von NK603, Biotechnologie-Verbänden und auch einigen Wissenschaftsbehörden auf Kritik. Unter anderem bewertete die EU-Lebensmittelbehörde EFSA Séralinis Untersuchung als mangelhaft. Die Hauptvorwürfe wiederholt nun auch Hayes, der Chefredakteur von Food and Chemical Toxicology, in seinem Brief an Séralini.
Demnach könnten keine „definitiven Schlussfolgerungen“ aus den Daten des Franzosen gezogen werden, weil erstens zu wenige Ratten mit dem Monsanto-Mais gefüttert worden seien. Und zweitens hätten die Forscher eine Rattenart verwendet, die ohnehin zu Krebserkrankungen neige. Hayes bedankte sich derweil aber für Séralinis Kooperationsbereitschaft, der ihm alle angeforderten Rohdaten zur Verfügung gestellt habe.
In einem Antwortschreiben, das dem Informationsdienst vorliegt, wies Séralini die Vorwürfe zurück. Er und seine Kollegen stünden zu ihren Schlussfolgerungen. Man habe ausreichend Tiere herangezogen, um die internationalen Standards einzuhalten, die für die Messung biochemischer Parameter gelten. Es habe sich nicht um eine Krebsstudie, sondern eine toxikologische Untersuchung gehandelt. Hierfür seien die nötigen Bedingungen erfüllt worden. Was die Rattenart Sprague Dawley anbelange, so werde diese in vielen Studien verwendet, unter anderem vom toxikologischen Forschungsprogramm der USA. Mehrere Beiträge im Journal Food and Chemical Toxicology basierten auf dieser Linie. Und auch Monsanto selbst habe genau diese Rattenart herangezogen, um Fütterungsstudien durchzuführen – und damit die Zulassung des Gentechnik-Mais NK603 in der EU zu beantragen.
Überhaupt seien die von Monsanto durchgeführten Studien ähnlich aufgebaut gewesen wie die der französischen Wissenschaftler – abgesehen von der kürzeren Versuchsdauer. Wenn also seine Experimente als ungenügend beurteilt würden, so Séralini, müsse das logischerweise auch für die des Gentechnik-Konzerns gelten. Der Fall zeige erneut, dass es eine problematische Einstellung zur Risikoforschung bei Gentechnik-Pflanzen gebe: „nur diejenigen Studien, die negative Effekte zeigen, werden einer rigorosen Bewertung ihrer experimentellen und statistischen Methoden unterzogen, während diejenigen, die angeblich den Nachweis der Sicherheit erbringen, für bare Münze genommen werden.”
Das sieht die britische Organisation GM Watch ähnlich. Die Entscheidung der Redaktion von Food and Chemical Toxicology, Séralinis Studie zurückzuziehen, hält sie für „rechtswidrig, unwissenschaftlich und unethisch“. Und sie hat eine Vermutung, woher der Sinneswandel bei Chefredakteur Hayes kommt – nämlich vom „Goodman-Faktor“. Damit ist Richard E. Goodman gemeint, der seit einem halben Jahr für das Fachjournal arbeitet. Der Verlag Elsevier schuf damals eigens die Stelle eines „Associate Editor for Biotechnology“. Der Haken: Goodman ist zwar Professor an der Universität Nebraska. Doch er war auch mehrere Jahre bei Monsanto beschäftigt, nämlich von 1997 bis 2004. Noch im letzten Jahr hielt er einen Vortrag bei einer Veranstaltung des International Life Sciences Institute (ILSI), einer Lobbygruppe der Gentechnik-Industrie. ILSI wirbt auf EU-Ebene für die Zulassung von transgenen Pflanzen – und unterhält beste Kontakte zu den EFSA-Wissenschaftlern, die für die Risikobewertung eben jener Pflanzen zuständig sind.” (keine-gentechnik)