Ich fand im Wortprotokoll der 43. Sitzung des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages eine unglaublich klingende Behauptung der linken Bundestagsabgeordneten Petra Pau. Laut ihr hätte Franz Fuchs einen Sprengstoff-Lieferanten gehabt, der ihr bekannt wäre. Franz Fuchs hätte laut offizieller österreichischer Darstellung als Einzeltäter von 1993 bis 1997 die österreichische Briefbombenserie verübt. Zum Zweiten hätte laut Pau dieser Lieferant Anfang der 2000er Jahre zeitweise in einer Wohngemeinschaft mit dem Lebensgefährten von Corinna G. gelebt. Corinna G. besuchte zwischen 2005 und Anfang 2006 bis zu drei Mal das kasseler Internetcafe, indem im April 2006 ein Ceska-Morde stattfand. Außerdem war sie in den 90er Jahren beim sogenannten “Thüringer Heimatschutz” dabei, als dort 1996/1997 Briefbomben-Attrappen auftauchten. Diese thüringer Attrappen sind laut Bundeskriminalamt aus ein und derselben Werkstatt mit den Briefbomben-Attrappen, die 1999 in Österreich verschickt wurden.
Über Corinna G. schrieb ich bereits zwei Artikel, da sie das Internetcafe von Halit Yozgat besuchte und beim sogenannten “Thüringer Heimatschutz” mitmachte. Sie war außerdem Andreas Temme bekannt, dem Geheimdienstagenten, der im Internetcafe zur Tatzeit am Tatort nichts gesehen und gehört hätte. Des Weiteren wies ich auf Indizien hin, dass sie eine Informantin des sogenannten “Verfassungsschutzes” war.
Die “Hessenschau” informierte aus einer Sitzung des hessischen NSU-Untersuchungsausschusses, der Corinna G. befragte. In dem Artikel steht, dass sie Anfang der 2000er Jahre nach Österreich zog, um einer drohenden Haftstrafe in Deutschland zu entgehen, was misslang. “Ende März 2006” wurde sie aus der Haft in Kassel entlassen.
Laut Petra Pau soll ihr damaliger Lebensgefährte W. eine Wohngemeinschaft mit einem “H. B.” gehabt haben. Dieser H. B. wäre einer der “Sprengstofflieferanten für die österreichischen Briefbombenserien” gewesen!
Petra Pau (DIE LINKE): Ja, ich will auch erklären, welchen NSU-Bezug das Kennverhältnis bzw. auch die Beziehungen zu diesen zwei Personen haben. Sie haben es eben selbst gesagt:
W[geschwärzt] zog dann nach Österreich und war zeitweiliger Mitbewohner von H[geschwärzt] B[geschwärzt] einem der Sprengstofflieferanten für die österreichischen Briefbombenserien. Die damalige Lebensgefährtin von W[geschwärzt] Frau Corinna G[geschwärzt] finden wir direkt über Beate Zschäpe als einzige Frau in Mitgliederzusammenstellungen des „Thüringer Heimatschutzes”, die das LKA Thüringen 1998 angefertigt hat. Also, sie war Mitglied im „Thüringer Heimatschutz” und damit natürlich auch der Ursprungsorganisation, aus der das spätere NSU-Kerntrio hervorgegangen ist. Wir finden das in MAT A TH 9/2f, Erfurt II, Seite 59. Das ist es, was mich umtreibt: warum diese Dinge damals in keiner Weise eine Rolle gespielt haben.” (Bundestag, Anlage 27, S. 52ff)
Die Absätze haben ich aus dem Wortprotokoll ausgeschnitten und können hier (Seite 51) und hier (S. 52) gesehen werden.
Diese Aussage steht konträr zur offiziellen österreichischen Darstellung: Angeblich hätte der Einzeltäter Franz Fuchs von 1993 bis 1997 die Briefbombenanschläge alleine begangen und hätte den Sprengstoff zuhause selbst hergestellt. Bei seiner Festnahme am 01.10.1997 zündete er eine Rohrbombe und verlor beide Hände. Nach seiner Verurteilung soll er sich 2000 selbst erhängt haben können. Das österreichische Fernsehen berichtete über seinen Tod wiefolgt:
“Die Gelegenheit zum Selbstmord kam ein Jahr nach dem Schuldspruch. Franz Fuchs bewies einmal mehr seine mörderische Geschicklichkeit. Ohne Hände, ohne Prothesen gelang es ihm, aus dem Kabel eines Rasierers und einer Schraube an der Wand seinen Galgen zu machen.” (youtube)
Im März 1999 gab es einen Anschlag auf die Wehrmachts-Ausstellung. “Möglicherweise im Zusammenhang” wurden “Drohbriefe mit Bombenattrappen” bis ins Jahr 2000 verschickt. Laut des Buches “Heimatschutz” wären “mutmaßlich” alle neun Briefe aus Österreich abgeschickt worden. Der deutsche Geheimdienst “Verfassungsschutz” informierte in dem Bericht “Rechtsextremismus Nr. 21”, dass einer der Attrappen in Salzburg abgeschickt wurde.
Briefbomben-Attrappen aus Österreich
Der leitende Ermittler im Bundeskriminalamt Herr Brümmendorf hatte gleichwohl mit den Briefbombenattrappen zu tun, die im Zeitraum Ende 1996 bis Anfang 1997 in Thüringen verschickt wurden. Sie werden heute Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Uwe Zschäpe zugeschrieben.
1999 schrieb Brümmendorf in einem Aktenvermerk: Es bestünde eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass die jetzt aufgetauchten Bombenattrappen und die thüringer Briefbombenattrappen aus einer Werkstatt kommen, “vermutlich” aus der „österreichischen Werkstatt”.
“Nach einer ersten Sichtung der seit dem 08.04.99 vorliegenden Asservate besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit dahin gehend, daß beide Bombenattrappen „einer Werkstatt“ entstammen.
Aufgrund eines Abgleichs der Bombenattrappen mit der Tatmittelsammlung wurde ein Zusammenhang mit einem Ermittlungsverfahren der SOKO REX, LKA Thüringen, festgestellt; für eine Serie mehrerer Bombenattrappen in ähnlicher Machart (Styropor-Einlage/Kreppband/Batterien) sind drei Personen aus Jena als Tatverdächtige namhaft gemacht (MUNDLOS/ ZSCHÄPE/BÖHNHARDT). Außerdem war von diesen drei Tatverdächtigen am 02.09.97 ein funktionsfähiger Sprengsatz im Bereich des Theaters der Stadt Jena abgestellt worden.”
“Beide Bombenattrappen entstammen mit hoher Wahrscheinlichkeit der gleichen, vermutlich österreichischen „Werkstatt“; sollte sich jedoch eine unmittelbare Verbindung zur Spur „BÖHNHARDT/ZSCHÄPE/ MUNDLOS“ ergeben, ist davon auszugehen, daß eine funktionsfähige Bombe durch die Tatverdächtigen konstruiert werden kann; inwiefern die notwendigen Sprengmittel zur Verfügung stehen, kann nicht beurteilt werden…
Durch den Bezug nach Österreich besteht die Notwendigkeit einer verstärkten Zusammenarbeit mit den österreichischen Sicherheitsbehörden, insbesondere ist die Zielfahndung i. S. „BÖHNHARDT/ ZSCHÄPE/MUNDLOS“ möglicherweise auf Österreich auszudehnen.” (Bundestag, 10.04.13, Protokoll Nr 57, S. 45)
Da Franz Fuchs erst im Oktober 1997 verhaftet wurde, hätte er diese thüringer Attrappen herstellen können. Dagegen spricht jedoch, dass 1999 wieder Briefbomben-Attrappen auftauchten, die laut BKA aus derselben Werkstatt stammten. Diese Attrappen konnten nicht von Fuchs kommen, weil er zu dem Zeitpunkt bereits in Haft war.
An den ab 1999 aufgetauchten Attrappen wurden DNA und Fingerabdrücke festgestellt, die nicht mit dem Trio übereinstimmen.
„Die Beamten machten sogar „Vergleichsuntersuchungen“ mit DNA-Spuren und Fingerabdrücken der drei Thüringer. Das Ergebnis war negativ (…).” (tagesspiegel)
Auch an den thüringer Briefbomben-Attrappen wurde DNA festgestellt, die nicht mit der von Zschäpe, Mundlos oder Böhnhardt klar übereinstimmte. Bei Mundlos wurde eine Übereinstimmung ausgeschlossen, bei Böhnhardt und Zschäpe hätte es nur eine „geringe Wahrscheinlichkeit“ gegeben.
Eine wichtige Frage ist, ob es zwischen den Briefbomben von Franz Fuchs und den thüringer/österreichischen Briefbomben-Attrappen eine Übereinstimmung gibt. Wenn sie alle aus derselben Werkstatt kämen, würde das Franz Fuchs entlasten. Bis heute existieren Zweifel, ob er wirklich als Einzeltäter handelte.
Andrea Röpke gibt Aussagen Paus nicht wieder
Die Rechtsextremismus-Expertin Andrea Röpke wurde vom Ausschuss beauftragt, ein Gutachten u. a. über rechtsextreme Netzwerke in Kassel zu schreiben. Dieses Gutachten findet sich in Anlage 88. Röpke gibt dort detailliert Auskunft über verschiedene rechtsextreme Gruppen und Personen. Doch fehlen ausgerechnet die Informationen, die Petra Pau während der Ausschusssitzung gegeben hat! Röpke schreibt etwa über Corinna G.:
“Zwischen 2003 und Ende 2005 wurde [geschwärzt] dann als Insassin der Justizvollzugsanstalt Kaufungen von der größten Knastbetreuungsorganisation der Szene, der HNG, aufgeführt. Danach verliert sich ihre Spur. W[geschwärzt] soll seit 2003 in Österreich leben.” (Bundestag, Anlage 88, Gutachten S. 56)
Paus Information, dass Dirk W. eine Wohngemeinschaft mit dem Sprengstoff-Lieferanten von Fuchs gehabt hätte, fehlt. Seltsam ist auch, dass das Gutachten nicht die Information enthält, dass Corinna G. im Internetcafe von Yozgat auftauchte und es Indizien gibt, dass sie eine Informantin gewesen ist.