Karl Walker war ein Sozialwissenschaftler und Politiker der Partei des “Neuen Bundes”, verstorben 1975, siehe wikipedia. Er veröffentlichte Artikel und Bücher u. a. über freiwirtschaftliche Geldreformen und die Geschichte des Geldes.
Sein aus dem Jahr 1954 kommender Artikel “Überwindung des Kapitalismus unter Beibehaltung des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs” erschien als Reaktion auf ein Streitgespräch mit einem britischen Sozialisten. Daher fehlt es nicht an Grundsatzkritik an den Thesen von Karl Marx. Entnommen sind die Textbausteine hier.
“Unser Thema scheint auf den ersten Blick für jeden Sozialisten einen Widerspruch in sich darzustellen. Kaum irgend etwas ist nämlich für einen Sozialisten so selbstverständlich und unanfechtbar wie dies, daß der „Kapitalismus” die „anarchische Produktionsweise” aus ungehemmtem Profitstreben auf der Basis des privaten Eigentums sei – also doch wohl mit dem Konkurrenzkampf stehen und fallen müsse. Wie also eine Überwindung des Kapitalismus unter Beibehaltung des Konkurrenzkampfes möglich sein soll, das muß einem an Karl Marx orientierten Leser von vornherein schon in der Problemstellung so undenkbar erscheinen, wie etwa die Quadratur des Kreises.”
Karl Walker definiert Kapitalismus folgendermaßen:
“Kapitalismus ist ein Wirtschaftssystem, das primär auf die Erzielung von Kapital-Ertrag ausgerichtet ist. (…)
Ohne hier schon in eine kritische Betrachtung des Marxismus eintreten zu wollen; würde bei dieser Definition bereits zu beachten sein, daß der bei Karl Marx am häufigsten vorkommende Begriff „Profit” nicht mit dem Begriff Kapital-Ertrag identisch ist, sondern in Bausch und Bogen, ohne Unterscheidungen Unternehmerlohn, Risiko-Ausgleich, Gewinn und Kapitalzins zusammenfaßt. Dieser ressentimentgeladene Begriff „Profit” stellt also ein Konglomerat von verschiedenen Begriffen dar und ist für eine exakte Klärung der Dinge, wie wir noch sehen werden, einfach unbrauchbar.
Wenn wir uns über das Wesen des Kapitalismus zuverlässig informieren wollen, tun wir im Grunde genommen besser daran, unsere Kenntnis gleich aus der richtigen Küche, nämlich aus der kapitalistischen Betriebswirtschaftslehre zu holen – und das „Kapital” von Karl Marx in der Bücherkiste zu lassen. Sofern nämlich die Theorien von Karl Marx richtig wären, müßten sie ja in der kapitalistischen betriebswirtschaftlichen Erfolgsrechnung ihre Bestätigung finden; sofern sie aber hier keine Bestätigung finden, dürfte es klar sein, daß die Theorie an der Wirklichkeit vorbeigegangen ist.”
Kapitalistisches Ausbeutungssystem
“Rein äußerlich zeigt die kapitalistische Wirtschaftsordnung das Bild einer arbeitsteiligen Marktwirtschaft. Selbständige Unternehmer unterschiedlicher Größe produzieren die Ware für den Verkauf auf dem Markt. Die Produktionsmittel stehen im Eigentum der Unternehmer oder der Kapitalisten, was nicht immer dasselbe ist. Die Arbeiterschaft leistet Lohnarbeit und erhält mit ihrem Lohn in der Geldrechnung ausgedrückt einen Anteil vom Sozialprodukt, d. h. vom realen Ergebnis der Gesamtproduktion. Das ganze System wird von der privaten Initiative der Unternehmer gesteuert, hat aber im System der freien Marktwirtschaft ihr Korrekt, ihre ergänzende Entsprechung, in der ebenfalls aus privater Initiative hervorgehenden freien Entscheidung der Konsumenten.”
“Dennoch ist an diesem kapitalistischen System – vom. Standpunkt der Notwendigkeit der Bedarfsdeckung aus gesehen – etwas nicht in Ordnung. So ist unbestritten klar, daß auf vielen Gebieten noch ein riesiger Bedarf vorliegt, ohne daß die Privat-Initiative in dem volkswirtschaftlich richtigen Sinne reagiert. Dabei dürfen wir aber dessen gewiß sein, daß die Unternehmer den vor liegenden Bedarf mit höchster Wachsamkeit im Auge behalten und daß ihr privatwirtschaftliches Interesse und ihr Erfolgsstreben durchaus darauf ausgerichtet ist, sich dieser Produktion anzunehmen. Die Bauunternehmer werden sich nie weigern, Wohnungen zu bauen! – Daß dennoch nicht genügend geschieht, um der Bedarfsdeckung gerecht zu werden, ist dadurch bedingt, daß die Auftragserteilung fehlt. Dem Unternehmer- und dem Auftraggeber-Interesse ist die Elementarbedingung des kapitalistischen Systems, die wir eingangs mit dem Anspruch auf Kapital-Ertrag definiert haben, gewissermaßen „vorgeschaltet”. Damit ist der volkswirtschaftlich richtige Ablauf – z.B. verstärkte Bautätigkeit -blockiert.
Wenn wir uns diesen Sachverhalt richtig klar machen, zeigt sich ganz deutlich, daß wir mit den Begriffen von Karl Marx nicht mehr auskommen. Marx spricht einfach abschätzig von „Profitstreben” der Kapitalisten. Kapitalist und Unternehmer sind bei ihm ohne weiteres miteinander identisch, was in Wirklichkeit in zunehmendem Maße seltener wird und in den Grundsätzen moderner kapitalistischer Betriebsführung überhaupt nicht der Fall ist. –
“Kapitalist und Unternehmer
Das betriebswirtschaftliche Rechnungswesen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung setzt den Unternehmer nicht mit dem Kapitalisten gleich. Es kann zwar möglich sein, daß in einem Betrieb Kapitalist und Unternehmer in einer Person vereinigt sind; aber in zahllosen Fällen ist es nicht so oder doch nur anteilmäßig. Dessen ungeachtet wird aber in jedem kapitalistischen Betrieb so gerechnet, als ob der Kapitalist und der Unternehmer zwei verschiedene Personen seien, von denen der eine den Kapital-Ertrag und der andere den Unternehmerlohn und -gewinn zu beanspruchen habe.
Die Ansprüche des Kapitalisten haben jedoch in diesem System ausnahmslos den Vorrang. Es ist erster Zweck, den Kapital-Ertrag zu erbringen — Von daher gebührt dem System, wie schon angedeutet, die Bezeichnung „Kapitalismus”. Der Bedarfsdeckung zu dienen, Arbeitern und Unternehmern Einkünfte zu bringen, das ist in jedem Fall von nachgeordneter Bedeutung – auch der Unternehmer ist dem Kapitalisten nachgeordnet!
Es ist nicht nur so, daß es „vorkommen kann”, sondern es ist ein häufig genug auftretender Fall, daß der Unternehmer mit Verlust abschneidet, während der Kapitalist die volle Befriedigung seiner Ansprüche erhält. Bei Unternehmungen, in denen Kapitalist und Unternehmer in eine Person zusammenfallen, spielt sich dieser Vorgang natürlich nur in der innerbetrieblichen Gewinn- und Verlust-Rechnung ab – und der Unternehmer hält sich am Kapitalisten schadlos. Dann sagt sich der Unternehmer: „Hätte ich doch nur mein Geld einfach auf Zinsen angelegt, dann hätte ich ein ruhiges Leben gehabt, kein Risiko mit den Kunden, keine Sorgen mit den Arbeitern und keinen Ärger mit dem Finanzamt – und dabei hätte ich noch besser verdient als mit diesem Betrieb!” Noch schlimmer sieht es aus, wenn der Kapitalist ein anderer ist und seinen Anteil für sich fordert, ohne Rücksicht auf den Unternehmer und dessen Erwartungen am Produktionsertrag.”
“Aus diesen hier nur kurz skizzierten Gründen und aus der wohl kaum strittigen Vorrangstellung des Kapitals heraus werden nun in der kapitalistischen Betriebsführung die Produktionskosten des Zinsendienstes und der Amortisation unter die sogenannten „fixen Kosten” gerechnet. Die „fixen Kosten” sind bei jedem kapitalistischen Betrieb diejenigen Kosten, die unter allen Umständen feststehen, die also aufgebracht werden müssen, gleichgültig, ob und wie das Unternehmen floriert. Schon wieder stehen wir also an dem Punkt, an dem der Kapital-Ertrag vor den Löhnen und vor dem Unternehmergewinn kommt.”
“Die sogenannte „Rentabilität” des Unternehmens, d.h. seine Fähigkeit, Kapital-Ertrag abzuwerfen, muß im kapitalistischen System unter allen Umständen gewahrt werden. Reichen die Erträgnisse nicht mehr aus, den Anforderungen des Kapital-Dienstes gerecht zu werden, dann wachsen die fälligen Zahlungen der Schuld zu, oder das Kapital zieht sich aus dem Unternehmen zurück; die Aktien, die keine ausreichende Dividende mehr bringen, fallen im Kurs; der Kapitalist, der 5% Kapitalrente verlangt, gibt für die Aktien eines Unternehmens, das in der Depression nur 2,5 % Rendite bringt, nur den halben Preis, um auf diese Weise für sein angelegtes Kapital die ihm als angemessen erscheinende Rente zu erzielen. Wenn die Konjunktur späterhin wieder 5% Dividende auf den Nominalbetrag des Aktienkapitals auszuwerfen erlaubt, steigen freilich die Papiere wieder im Kurs und der Erwerber der Papiere hat 100% seines im Aktienkauf angelegten Kapitals dazügewonnen!
Im kapitalistischen System orientiert sich eben auch die Bewertung des Sachkapitals nicht etwa schlicht und natürlich an den Erstellungskosten, sondern sie orientiert sich – wie es die Logik des Rentabilitätsprinzips verlangt – automatisch am Kapital-Ertrag, dem Zins.
Der Kapital-Ertrag ist sozusagen in chemisch reinster Form der Kern des Kapitalismus. Besser als die kapitalistische, Produktionskosten-Aufgliederung die einzelnen Kosten und Einkommens-Kategorien exakt und säuberlich voneinander trennt, kann keine Spektral-Analyse die Elemente eines Stoffes voneinander trennen. Darin ist also die kapitalistische Betriebswirtschaftslehre wesentlich genauer als die Theorie von Marx.
Da jetzt ferner die aufgegliederten Kosten leicht untersucht werden können, wieweit sie zu Arbeitseinkommen und wieweit sie zu arbeitslosem Einkommen werden, überlassen wir diese Untersuchung hier dem gesunden Menschenverstand des Lesers und nehmen das Ergebnis, das ja kaum strittig sein dürfte, vorweg, indem wir den Kapitalertrag als zweifelsfrei arbeitsloses Einkommen betrachten. Der Kapitalzins ist eine ständige gegenleistungslose Abführung von Anteilen aus dem Sozialprodukt an die Kapitalgeber. Daß die Kapitalgeber der Wirtschaft Produktionsmittel zur Verfügung gestellt haben, wird mit der Amortisation, mit der Erhaltung und Wiedererstattung des Kapitals ausgeglichen. Der Zins geht darüber hinaus und kann nur aus der Schmälerung des Arbeitseinkommens gewonnen werden. Mithin befinden wir uns hier wieder mit allen sozialkritischen Denkern darin in Übereinstimmung, daß der Kapitalismus am Arbeitsertrag der schaffenden Menschen zehrt.
Befreiung vom Rentabilitäts-Prinzip
Die Frage der Überwindung des Kapitalismus stellt sich uns dar als die Frage der Herauslösung des Rentabilitätsprinzips aus der freien Marktwirtschaft. Rentabilität ist nämlich nicht identisch mit Wirtschaftlichkeit und bedeutet auch nicht schlechthin „gewinnbringend”; Rentabilität kommt von „Rente” und gemeint ist die Kapitalrente, deren Aufbringung also das Charakteristikum der Rentabilität eines Unternehmens ausmacht. „Wirtschaftlich” und „gewinnbringend” kann ein Unternehmen auch dann noch sein, wenn es keine Kapitalrente mehr abwirft, sondern nur den Kapital-Verschleiß (die Amortisationen) und die sonstigen Gestehungskosten einschließlich eines im Wettbewerb behaupteten Unternehmergewinns für die Gesamtleistung des Unternehmers im Produktionserlös einbringt.
In den dicken Bänden seiner revolutionären Theorie, die Karl Marx mit dem Titel “Das Kapital” versehen hat, richtet sich aller soziale Groll gegen den Unternehmergewinn. Die “Mehrwert”-Theorie läßt gar keinen Raum für den Gedanken, daß die unternehmerische Leistung auch noch so etwas wie Arbeit sein könnte und folglich einen Anspruch auf einen Teil des Erlöses geltend machen kann. So bedauerlich es nun aber auch sein mag, daß die soziale Revolution durch den Irrtum und durch unabgeklärte Begriffsbestimmungen eine falsche Stoßrichtung bekam, so ist das Ganze doch aus den Zeiterscheinungen verständlich, an denen sich Karl Marx die vermeintliche Bestätigung seiner Auffassungen geholt hat. Kapital-Ertrag und Unternehmergewinn mögen in den Anfangszeiten der industriellen Entwicklung des vorigen Jahrhunderts häufig so weitgehend zusammengefallen sein, daß sie wie ein Ding zusammengeschmolzen schienen.
Und dennoch ist bereits Marx auf die Widersprüche aufmerksam gemacht worden, die in seinen Vorstellungen unlösbar bleiben. Abgesehen davon, daß schon Adam Smith den freien Wettbewerb als nivellierendes Element gegenüber dem privatwirtschaftlichen Gewinnstreben erkannt hat, dreht sich die Auseinandersetzung zwischen Marx und Proudhon sehr wesentlich um die Bedeutung des Kapitalzinses, freilich, ohne daß Marx über die vehemente Beschimpfung, die er dem Andersdenkenden angedeihen ließ, hinausgekommen wäre und an der Diskussion etwas an Klarheit gewonnen hätte.
Adam Smith
“Volkswirtschaftliches Denken hat sich von jeher darum gedreht, inwieweit eine ökonomische Ordnung, ein System dem Wohle der Gesamtheit gerecht wird. Diese grundsätzliche Ausrichtung des Denkens und Forschens ist nicht erst eine Besonderheit der Sozialisten. In diesem Sinne ist die freie Wettbewerbswirtschaft schon bei Adam Smith ein System, in welchem das vom privatwirtschaftlichen Erfolgsstreben gelenkte Handeln der Individuen zum bestmöglichen Einsatz der Produktivkräfte und zugleich zur wohlfeilsten Versorgung des Marktes führt. Obwohl also jeder auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist, stellt sich auf höherer Ebene eine natürliche Harmonie zwischen Individuum und Gesellschaft ein — weil nämlich jeder im allgemeinen Wettbewerb mit bester Leistung und wohlfeilstem Angebot dem Markt und der Gesellschaft gegenübertreten muß. Individuelles Gewinnstreben und freier Wettbewerb gewährleisten in ihrem Zusammenwirken die beste und billigste Versorgung der Menschen mit wirtschaftlichen Gütern.
Diesen Thesen von A. Smith glaubte man später mit dem Hinweis auf die Absatzkrisen des kapitalistischen Systems den Wahrheitsgehalt absprechen zu können. Hierbei wurde indessen übersehen, daß Adam Smith vom unverfälschten, monopolfreien Wettbewerb ausging. Monopole sind Ausklammerungen vom Wettbewerb. Neben den Ur-Monopolen Boden und Geld gibt es mancherlei künstliche, durch die Rechtsordnung geschaffene Monopole. In jedem Falle ist am Monopol stets der die Gewinnspannen ausgleichende Angriff des freien Wettbewerbs zu Ende. Dies bedeutet eine Grundregelveränderung und das heißt, daß in der bisherigen Wirtschaftsentwicklung eine echte freie Wettbewerbs-Ordnung im Sinne von Adam Smith überhaupt noch nicht da war. Da Adam Smith im übrigen vielfach als der Theoretiker und geistige Vater des liberalkapitalistischen Systems gilt, wollen wir hier auch noch beachten, daß Smith von den Nutznießern des Produktionsfaktors Kapital erklärte, daß ihre Interessen niemals mit dem Interesse der Gesellschaft zusammenfallen, denn der Gewinnsatz (Kapitalertrag) steige und falle nicht etwa mit dem Gedeihen und dem Verfall der Gesellschaft, sondern, er bewege sich umgekehrt, er sei von Natur niedrig in reichen Ländern und er sei hoch in armen Ländern. Dieser Sachverhalt ist außerordentlich beachtenswert, denn hier liegt der Schlüssel zum wirklichen Verständnis der Dinge.
Kapitalismus abtötbar
“Bei einer gegebenen Wirtschaftslage, die den Kapitalbesitzern einen hohen Kapital-Ertrag einbringt, führt indessen der Wunsch nach Mehr zur erneuten Anlage dieser Einkünfte (während Lohnerhöhungen zuerst zu einer Ausweitung des Konsums führen würden!) Dadurch wird nun das Kapital vermehrt. Nach dem Gesetz des Marktes verschlechtern sich aber mit der Kapitalvermehrung die Bedingungen zur Erzielung hoher Kapital-Erträge; der Zins fällt, wenn das Kapital-Angebot steigt. Ein rückläufiger Zins bewirkt außerdem zugleich eine Umschichtung in den Produktionskosten, respektiv in der Einkommensverteilung.
Der Unternehmer, der mit billigem Kapital arbeiten kann, hat niedrigere fixe Kosten und wird entweder seine Unternehmerspanne verbessern (was die Konkurrenz auf den Plan ruft) oder höhere Löhne zahlen (was auch andere Betriebe revolutioniert), oder er wird die Preise senken, um die Konkurrenz zu überflügeln – und so wird sein durch billigeres Kapital ermöglichter Preisabbau auch einen Druck auf das Rentabilitäts-Niveau der konkurrierenden Unternehmungen ausüben. Dann werden auch die dort bislang geltenden höheren Zinsbedingungen der Kapitalgeber ermäßigt, denn dies ist die Sprache, die das Kapital versteht.
Der ungehinderte Wettbewerb baut also, wie schon gesagt, auch den Kapital-Ertrag ab. Die freie Wettbewerbswirtschaft trägt die Tendenz in sich, die parasitäre Wucherung „Kapitalismus” auf die natürlichste Art, nämlich durch den Entzug der Existenzbedingungen abzutöten.”
Proudhon und Karl Marx
Die vorausgeschickte Auffassung von der Sache ist keineswegs neueren Datums. Sie bildete bekanntlich schon die Grundvorstellung der Konzeptionen von J. P. Proudhon, den freilich Karl Marx – aus dem totalen Unvermögen heraus, den Bannkreis seiner eigenen Theorien noch zu verlassen – mit verletzender Agressivität, mit Beleidigungen und ätzendem Hohn überschüttete. Man muß diese gegen Proudhon gerichteten Auslassungen von Karl Marx, hauptsächlich in der Schrift „Das Elend der Philosophie”, wirklich lesen, um ein wenig von der Tragik zu begreifen, die darin liegt, daß unzweifelhaft wesentliche Wegweiser zu einer befriedigenden Ordnung von dem Ungestüm niedergewalzt wurden, mit dem sich der Irrtum des Marxismus seine Bahn brach. Da wird Proudhon mehr als 200 Seiten lang Seite für Seite abgekanzelt, er „bildet sich ein”, „ist naiv”, bringt „abgeschmackte Theorien”, ist ein , „reaktionärer Kleinbürger” usw. Seine Vorstellung, daß das zinstragende Kapital die Hauptform des Kapitals sei, ist nach Marx „eine spießbürgerliche Phantasie”.
In seiner Abhandlung „Lohnarbeit und Kapital” setzt sich Marx folgendermaßen mit der Sache auseinander:
„Um die ganze Dummheit, Niederträchtigkeit und Heuchelei dieser Doktrin zu enthüllen, genügt folgendes:
. . Der Arbeitslohn wächst, wenn die Nachfrage nach der Arbeit wächst. Diese Nachfrage wächst, wenn das Kapital, das die Arbeit in Bewegung setzt, wächst, d. h. wenn das produktive Kapital zunimmt.
Hierbei sind nun zwei Hauptbemerkungen zu machen : Erstens: Eine Hauptbedingung für das Steigen des Arbeitslohnes ist das Wachstum des produktiven Kapitals und ein möglichst rasches Wachstum desselben. Die Hauptbedingung für den Arbeiter, in eine passable Lage zu kommen, ist also die, seine Lage gegenüber der Bourgeoisklasse immer mehr herabzudrücken, die Macht seines Gegners – das Kapital – möglichst zu vermehren. Das heißt: nur unter der Bedingung kann er in einer passablen Lage sein, daß er die ihm feindliche Macht, seinen eigenen Gegensatz, erzeugt und stärkt. Unter diesen Bedingungen, indem er diese ihm feindselige Macht erschafft, strömen ihm von derselben Beschäftigungsmittel zu, die von neuem ihn zu einem Teil des produktiven Kapitals machen und zum Hebel, der dassdbe vermehrt und in eine beschleunigte Bewegung des Anwachsens schleudert.
Nebenbei bemerkt, wenn man dieses Verhältnis von Kapital und Arbeit begriffen hat, so erscheinen alle fourieristischen und sonstigen Vermittlungsversuche in ihrer ganzen Lächerlichkeit.
In diesen höhnischen Auslassungen zeigt sich vielleicht am deutlichsten, daß Karl Marx von seiner eigenen Vorstellung vom Kapital als der „feindlichen Macht” gar nicht herunterkam, während die Idee Proudhons doch eben besagt, daß man die Macht des Kapitals durch Vermehrung brechen kann. Wenn man in diesem Zusammenhang von „feindlichen Mächten” sprechen wollte, so wäre es nur logisch, in jedem in Neubildung begriffenen Kapital die „feindliche Macht” zu sehen, die dem schon vorhandenen Kapital zu Leibe rückt und ihm den Ertrag im Konkurrenzkampf der Wirtschaft abnimmt: Der Dritte, der sich freuen darf, „wenn zwei sich streiten” – wenn das neue gegen das alte Kapital in den Konkurrenzkampf zieht – wäre doch der Arbeiter! So war die Meinung Proudhons.
An einem konkreten Beispiel dargestellt, behauptet Proudhon:
Wenn ihr Arbeiter wenig Häuser habt, um darin zu wohnen, und euch in wenigen Fabriken um die Produktionsmittel drängt, dann ist das Kapital stark und mächtig : es wird euch einen hohen Mietzins abnehmen und euch unter dem Druck der Reservearmee einen geringen Anteil vom Erlös der industriellen Erzeugung als Lohn geben. Aber das braucht nicht für immer so zu bleiben. Ihr müßt nur unverdrossen arbeiten, neue Häuser und neue Fabriken bauen, neue Produktionsmittel herstellen. Wenn neben jedem Wohnhaus noch eines erstellt wird und neberi jede Fabrik eine zweite, dann wird das Kapital durch seine eigene Konkurrenz geschwächt. Der Mietzins sinkt, wenn viele Wohnungen dastehen, und der Lohn steigt (oder _der Warenpreis sinkt, was auf dasselbe herauskommt), wenn die Unternehmer zur Konkurrenz mit neuen Produktionsstätten gezwungen werden und keine Reservearmee von Arbeitslosen mehr da ist. Ihr dürft nicht streiken, nur der entgegengesetzte Weg führt euch zum Ziel! – So ungefähr hätte Proudhon gesprochen.
Karl Marx aber hätte in der Logik seiner angeführten Auslassungen sagen müssen: Arbeiter! Das Kapital ist die feindliche Macht, die euch unterjocht und ausbeutet. Ihr werdet vom Hausbesitzer und vom Fabrikanten ausgebeutet. Hütet euch, diese Macht noch zu stärken! Hört doch auf, Kapital zu bilden, Häuser zu bauen! Je mehr Kapital ihr bildet und je mehr Häuser ihr baut, desto mehr kann das Kapital an Profiten und Mietzinsen aus euch herausholen!
Es mag fraglich sein, ob Karl Marx so etwas Törichtes gesagt hätte, wenn die Frage in dieser Form gestellt worden wäre. Nichtsdestoweniger ist dieses Ergebnis die logische Konsequenz seiner ganzen Theorie, bei der er außerdem noch übersehen hat, daß die von Proudhon geforderte Kapitalbildung der Arbeiter, also die Kapitalbildung aus der Spar-Rate vom Lohn, das Eigentumsrecht an den neuen Produktionsmitteln den Arbeitern und nicht ihren bisherigen Herren sichert. – Doch der entscheidende Grund für die Verirrung von Karl Marx liegt wohl darin, daß er nicht mehr in der Lage war, zur Anerkennung des einfachen Gesetzes von Angebot und Nachfrage zurückzufinden. Dieses Anerkenntnis hätte nämlich seine Wert- und Mehrwert-Theorie und damit sein ganzes Werk umgestoßen.
Die Selbst-Steuerung des Kapitalismus
Wenn Proudhon recht hat – so könnte man jetzt fragen – warum hat dann die Kapitalbildung noch nie den Punkt der Vermehrung erreicht, bei welchem es in gegenseitiger Konkurrenz seiner Machtstellung verlustig gegangen wäre und der Volkswirtschaft bedingungslos (und ohne Kapital-Ertrag zu fordern) gedient hätte? (…)
Was der einzelne mit seinem Geld-Einkommen macht, bleibt seiner souveränen Entscheidung überlassen. Gibt er sein Geld für Verbrauchsgüter aus, so nimmt diese Nachfrage wieder ihren Lauf durch den Sektor der Verbrauchsgüterwirtschaft; ein anderer empfängt das Geld und kann seinerseits kaufen usw. Das Geld bleibt in der Zirkulation. Zweigt er aber von seinen Einkünften Ersparnisse ab, die er demgemäß von diesem Weg über den Verbrauchsgütermarkt zurückhält, so muß dadurch ein Ausfall an Nachfrage entstehen, demgegenüber logischerweise ein Güterrest auf dem Markt zurückbleiben wird. Hier gibt es jedoch noch eine andere Möglichkeit: die Spar-Rate wird auf dem Umweg über Banken oder Sparkassen als Kredit – d.h. als Leihkapital – der Neubildung von Produktionsmitteln und Sachkapital zugeführt. Jetzt wandert das von Verbrauchs-Ausgaben zurückgehaltene Geld in den Sektor der Investitionen, der Produktionsmittel-Industrie oder der Bauwirtschaft. Auch hier ist das Geld wieder in der volkswirtschaftlichen Zirkulation. Die Menschen, die sich mit der Erstellung von Wohnhäusern oder mit dem Aufbau von Produktionsanlagen befassen, erhalten aus dem Zufluß dieser Gelder die Vergütung für ihre Leistungen und kaufen damit die Verbrauchsgüter, auf die die Sparer verzichtet haben. Der Kreislauf ist auch so wieder geschlossen. Die Volkswirtschaft arbeitet ausgeglichen – nur vom individuellen Gewinnstreben und vom Wettbewerb angetrieben.
Stellen wir uns jetzt aber vor, daß dieser Prozeß ohne Unterbrechung, monate-, jahre-, jahrzehntelang anhält. Dann ergibt sich zu guter Letzt, daß bei dieser anhaltenden Konjunktur laufend ein mehr oder weniger großer Anteil des Sozialproduktes über das Sparen und Kreditgeben den Investitionen zufließt, daß dadurch das Realkapital vermehrt wird und der Kapitalertrag unter dem Druck der Kapitalvermehrung sinkt. Mit sinkendem Kapitalertrag werden aber die vielen Einkommensrinnsale, die in der Zusammenfassung den Strom des arbeitslosen Einkommens „Kapitalzins” bildeten, dünner und schwächer; und da der Gesamtertrag deswegen nicht abnimmt, verteilt sich der entschwundene Zins auf die Unternehmer- und Arbeiter-Einkünfte, was auch in Einzelpreissenkungen vor sich gehen kann.
Soweit wäre alles verständlich und klar. Da aber die Kapitalvermehrung das unfehlbar wirksame Mittel ist, den Kapitalertrag auf die genannte Art und Weise abzubauen, gibt es natürlich auch ein sicher wirkendes Mittel, den Abbau des Kapitalertrages aufzuhalten und das kapitalistische System als solches zu retten. Dieses Mittel besteht analog dem Gesagten darin, die Realkapitalbildung einfach zu unterbrechen und stillzulegen. Damit kommen wir jetzt zu den Krisen des Kapitalismus, die (von Geldmangelkrisen abgesehen) stets Rentabilitätskrisen waren. Das kann man übrigens jedesmal im Handelsteil aller Gazetten lesen; das ist gar kein Geheimnis; aber die Arbeiter verstehen es nicht. – Der Vorgang entwickelt sich in der Regel so, daß die Kapital-Bildung in einer Volkswirtschaft, wie z. B. in den Vereinigten Staaten bis 1928/29, durch eine, langanhaltende Konjunktur einen Höchststand erreicht hat, der nur noch eine minimale Kapitalrente zuläßt. Wenn alle reich sind, fällt der Zins! – Aus dieser Situation ergibt sich aber, daß die Anlage suchende Spar-Rate keine rentablen Objekte mehr findet. „Rentabel” soll aber doch eine Kapitalsanlage sein; das gehört zum ABC des Kapitalismus. Wenn indessen allerorts von einer „Überkapazität” gesprochen wird, ist nicht mehr zu erwarten, daß irgendwo noch eine lohnende Investition möglich sein kann. Der bekannte westdeutsche Betriebswirtschaftler, Prof. Dr. Schmalenbach sagte einmal, man sollte die Leute auf Schadenersatz verklagen dürfen, die mit „übermässigen Investierungen” die Rentabilität untergraben haben.
Nun haben jedoch die Sparer, deren Ersparnisse mangels rentabler Objekte nicht mehr investiert werden können, deshalb noch lange keine Neigung, das Sparen ganz einzustellen und für die Zukunft von der Hand in den Mund zu leben. Mithin sparen sie anders und so zeigt sich bald, daß eine mit den laufenden Spar-Rücklagen wachsende Quote des Geldeinkommens nicht mehr auf den Markt kommt. Dieses Geld hält sich vom Kauf von Verbrauchsgütern zurück und geht auch nicht über den Weg der Investitionen in die Produktionsgüterwirtschaft. Es bleibt als „streikendes Geld” der absatzvermittelnden Zirkulation fern, wobei es für die Wirkung natürlich gleichgültig ist, ob diese Disposition vom kleinen Sparer persönlich getroffen wird oder von dem Kreditinstitut, dem er sein Geld auf Widerruf anvertraut hat.
Wie wir oben sagten, sind Sozialprodukt und Geldeinkommen sich entsprechende Größen. Wenn also ein Teil des Geldeinkommens weder auf diesem noch auf jenem Weg zum Markt zurückfindet und die Güter aufnimmt, die ihm entsprechen, so bleiben diese Güter auf dem Markt unabsetzbar zurück. Es kann ja keiner mehr kaufen, als seinem eigenen Einkommen entspricht oder als sich mit dem Gelde kaufen läßt, das ein anderer ihm als Kredit zur Verfügung gestellt hat. Kredit gibt es aber nicht; der Kredit ist in der Krise zusammengebrochen, denn Kredit, das wäre ja Kapitalangebot – und das Kapitalangebot zieht sich bei ungenügender Renddite zurück und fällt in sich zusammen.
Wir befinden uns jetzt mitten in der kapitalistischen Absatzkrise. Die Schüler von Marx aber meinen, die
„anarchische Produktion” der freien Unternehmer haben eine „Überproduktion” verschuldet, während in Wirklichkeit nur das Schrumpfen der Nachfrage den Abfluß vom Markte verlangsamt. Jetzt, erzwingt die Absatzstockung einen allgemeinen Preisdruck – und.dies ist etwas wesentlich anderes als ein Preisabbau, der mit der Produktionskostensenkung eines erleichterten Zinsendienstes ermöglicht wird. – Dieser allgemeine Preisdruck wird zur Produktionshemmung. .Mit weiteren Arbeitseinschränkungen ergeben sich weitere Einkommens-Ausfälle und eine noch stärkere Drosselung des Marktes. Auch die Verbrauchsgüter-Industrie arbeitet nun mit Verlust, denn die Verminderung der Beschäftigtenzahl im Produktionsgüter-Sektor hat das Einkommens-Niveau gesenkt. Das System würgt in seiner Rentabilitätskrise den Wohlstand ab, der das Zins-Niveau des Kapitals gesenkt hatte. Jede derartige Krise beginnt übrigens mit der Einschränkung der Investitionsgüter-Produktion.
Der Ausfall an Nachfrage wächst sodann bis zum Vielfachen der gehorteten oder stilliegenden Spar-Rate an, denn die Währungsgesetze erlauben (normalerweise) nicht, das „streikende” Geld durch Geldvermehrung zu ersetzen — das führt nämlich zur Inflation — und keine Verordnung und kein Polizeigesetz bringt es fertig, den „Streik des Geldes” zu brechen. Jede Münze und jeder Geldschein, der im Strumpf oder im Tresor gehortet liegt, bedeutet nicht etwa nur einen einmaligen Ausfall an Nachfrage für den Markt, sondern diese Hortung bedeutet in jedem Einzelfall eine lange Kette von Ausfällen, weil schon mit dem ersten Ausfall zugleich alle folgenden Kaufvorgänge, abgeschnitten sind, die sich normalerweise ergeben, wenn das Geld in der volkswirtschaftlichen Zirkulation bleibt.
Es ist auch kein Widerspruch zu dieser Erklärung, sondern im Gegenteil eine Bestätigung, daß die Banken in solchen Krisen geradezu in kurzfristigem Gelde schwimmen. Hier strömt „faules” Geld zusammen, das aus dem Verkauf der vorausgegangenen Produktion noch eingenommen wurde, andererseits aber nicht wieder in neue Produktion hineingehen will, sondern lieber abwartend auf den Konten bleibt.
Fassen wir nun alle diese Beobachtungen zusammen und suchen wir den inneren Sinn der Vorgänge zu enträtseln, so haben wir nichts anderes vor uns als eine mit und über die Krise hinweg bewirkte selbstätige Rettung des Rentabilitätsprinzips. Der Kapitalismus als System verhindert zu gegebenem Zeitpunkt die ihm abträgliche, weil zinsdrückende, weitere Kapitalbildung und zwingt die gesamte Volkswirtschaft in eine sogenannte „Reinigungskrise” hinein. Jetzt wird Kapital ausgemerzt, abgeschrieben bevor es abgenutzt ist, ja, sogar verschrottet; Vorräte werden aufgezehrt, Ersatzbeschafrung wird unterlassen und nicht selten wird realer Reichtum an nützlichen Produkten vernichtet. Alles das dient nur der Wiederherstellung; eines Marktverhältnisses zwischen Kapitalangebot und Kapitalnachfrage – respektiv auch zwischen Güter-Angebot und -Nachfrage, bei welchem wieder eine dem Rentabilitätsdenken ausreichend .erscheinende Verzinsung des Kapitals herauskommt.
Die Überwindung, des Rentabilitäts-Prinzips
Proudhon, der Antipode von Karl Marx, forderte einst: „Verschafft der Volkswirtschaft einen geschlossenen Kreislauf, einen regelmäßigen Güteraustausch, und die menschliche Gemeinschaft ist gesichert, die Arbeit vernunftgemäß geordnet!”
Private Initiative, Eigentum, individuelles Gewinnstreben, freier Wettbewerb stehen einer harmonischen und gerechten Wirtschaftsordnung nicht im Wege. Der wirtschaftliche Konkurrenzkampf, der von der Basis individueller Leistungsfähigkeit aus geführt wird, sich also nirgend auf Monopole stützt, kann auch logischerweise niemals jenes Übergewicht an Einkommen und Reichtum zustande kommen lassen, das der Kapitalismus mit seinen Verfälschungen der Wettbewerbsgrundlagen ermöglicht.
Es ist hier nicht der Raum, noch auszuführen, daß unsere heutige Wirtschaft neben den Ur-Monopolen Geld und Boden auch an gewissen Monopolen in der Rechtsordnung (Konzessionen, Lizenzen, Patente) krankt. Auch hier müßten noch Reformen ansetzen, was freilich nicht besagt, daß geistige Leistungen und geistiges Eigentum schlechthin vogelfrei werden müßte. Wir haben uns hier nur mit der – allerdings auch wichtigsten – Frage zu befassen, wie die Monopolstellung des Kapitals gebrochen werden kann.
Monopol ist wirtschaftliche Macht; eine Macht, die es erlaubt, dem Kontrahenten die Bedingungen zu diktieren, in der Gewißheit, daß kein Wettbewerber kommen kann, der den Bedarf zu günstigeren Bedingungen deckt. In diesem Sinne ist das Geldkapital eine Macht, weitaus stärker als das Realkapital. Sobald Realkapital einmal gebildet ist, seien es Häuser oder Fabriken oder Maschinen, muß es mit dem schon vorhandenen Realkapital in Wettbewerb treten; da gibt es kein Zurück mehr! Schon allein die Erhaltung der Substanz erfordert jetzt Wartung, Pflege, Aufwendungen, Versicherungen usw. und damit Tätigkeit, Angebot, Ertrag; das Realkapital ist in gewissem Umfang einem natürlichen Druck zum Angebot ausgesetzt.
Anders beim Geldkapital. Hier dürfen wir uns wieder an Proudhon erinnern, der die einzigartige Machtposition erkannte, die das Geld in der arbeitsteiligen Wirtschaft inne hat und von dieser Sicht her in der Zurückhaltbarkeit des Geldes die Überlegenheit sah, mit der das Leihkapital den Zins fordert. Nach Proudhon kann sich der Markt nicht im Gleichgewicht befinden wenn einerseits Waren, die unter einem natürlichen Angebotszwang stehen – da sie ja nicht für die eigene Bedarfsbefriedigung, sondern für die Veräußerung auf dem Markt produziert werden – einem Tauschmittel gegenüber treten, das keinesfalls der gleichen Dringlichkeit zum Austausch unterliegt.
(…)
Silvio Gesell
In den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hat sich der deutsch-argentinische Großkaufmann Silvio Gesell mit diesen Fragen befaßt, unmittelbar angestoßen durch die damals in Argentinien herrschende Währungsverwirrung. Gesell kam – von den gleichen Grund-Einsichten ausgehend – auf eine ganz andere Konzeption. Anstatt die Ware, auf die Rangstufe des Geldes zu erheben, forderte er, das Geld auf die Rangstufe der Ware herabzusetzen. Die praktische Realisierung dieser Idee würde erfordern, das Geld einem dauernd wirksamen Angebotszwang zu unterwerfen, der etwa dem natürlichen Angebotszwang entspricht, dem die von der Vergänglichkeit, von Witterung, Rost und Motten und mancherlei Wartungskosten bedrohte Ware ausgesetzt ist. Dies ist die theoretische Grundlage für die berühmte in der Denkungsart der Kapitalrentner allerdings mehr berüchtigte „Freigeld-Reform”. Gesell schlägt in seinern Geldsystem Banknoten vor, die in periodischer Regelmäßigkeit an Nennwert verlieren, so daß eine „Vorratshaltung in barem Gelde” genau so wie das Vorrätighalten von Verbrauchsgütern einige Kosten machen.wird.
Als Gesamtbelastung des Geldes glaubt Gesell mit einer Quote von jährlich etwa 5 % – wöchentlich 0,1 % – auskommen zu können. Da sich diese geringfügige Belastung nur auf die umlaufende Geldmenge bezieht, nicht aber auf die zu Buch stehenden Spar-Guthaben, wäre der außerordentlich heftige Widerstand, den dieser Gedanke heraufbeschworen hat, kaum verständlich, wenn es nicht eben an diesem Punkt um den Monopolcharakter des Geldes überhaupt ginge. Es ist die zwingende Logik der Gesellschen Konzeption, daß die Entmonopolisierung des Geldes genau an dem Punkte wirksam wird, an dem es für das Rentabilitäts-Prinzip um Sein oder Nichtsein geht. Die Zirkulation des Geldes im Verbrauchsgüter-Sektor ist an sich auch ohne diesen Umlaufsimpuls, den Gesell dem Gelde geben will, gesichert. Aber: in dem Augenblick, in dem sich irgendwo eine Spar-Rate sammelt, tritt der Impuls, in Aktion. Der Sparer – und mit ihm alle anderen, groß und klein – hat mit diesem Gelde in der Hand keine andere Wahl, als die zwischen Verbrauchs-Ausgaben einerseits und Investitionen andererseits. Entscheidet er sich für das Sparen (und Nichtverbrauchen), dann muß er seine Ersparnisse den Investitionen, der zinsdrückenden Kapitalbildung zuführen, andernfalls würde er an Substanz verlieren. Eine Zurückhaltung hiervon, etwa aus der Erfahrung heraus, daß man mit der Zurückhaltung des Geldes doch stets günstigere Anlagebedingungen erzwingen konnte, gibt es nicht mehr, weil der Drang zur Anlage überall derselbe ist. Nach der Auflösung der Monopolstellung des Geldes gibt es keine kapitalistische Interessen-Solidarität mehr! – Jetzt gilt nur noch der Wettbewerb, die bestmöglichen Anlagen ausfindig zu machen, wodurch die Erträgnisse des Kapitals nach und nach eingeebnet werden.
Mit der Durchführung der genannten Maßnahmen würde die danach einsetzende Entwicklung dadurch gekennzeichnet sein, daß
1) der volkswirtschaftliche Blutkreislauf sowohl im Geäder der Verbrauchsgüter-Produktion wie auch in dem der Kapital-Güter-Herstellung nicht mehr unterbrochen werden könnte ;
2) würde die bis zur Sättigung der Nachfrage anhaltende Kapitalbildung das Zins-Niveau senken und damit das Produktionskosten-Element „Kapital-Ertrag”abbauen ;
3) würde mit dem Abbau des arbeitslosen Einkommens aus Kapitalzins entweder eine Verbilligung der Produktion oder eine Steigerung des Arbeitseinkommens Platz greifen.
Die Menschheit würde dem ökonomischen Ziel des am Bestand unserer Zivilisation rüttelnden Verlangens nach sozialer Gerechtigkeit näher kommen und das Ziel hinter allen Schleiern und Nebeln des Irrtums klar und erreichbar erkennen. –
Die Gesellsche Theorie ist ein geschlossenes Ganzes. Sie stellt die Vollendung des Wirtschaftsideals dar, das Adam Smith in seinem großartigen Bild der freien Wettbewerbsordnung als ein in sich harmonisches System gezeichnet hat. Gesell nennt sein System schlicht und einfach die „Natürliche Wirtschafts-Ordnung” und hat auch sein Hauptwerk so benannt. Seine Theorie ist indessen häufig sehr unzulänglich vertreten worden; auch Gesell selbst war ja kein Fachgelehrter und hat seine Auffassungen durchweg in einer Form niedergelegt, die man in fachwissenschaftlichen Kreisen als inopportun betrachtet. Erst als namhafte Gelehrte, wie z. B.der amerikanische Geldtheoretiker Prof. Irving Fischer von der Yale-Universität, oder in England John Maynard Keynes als Nationalökonom von Weltruf, durch eigene Forschungen in die Nähe der Gesell`schen Konzeption gerieten, fanden sie auch den Schlüssel zum Verständnis dieses Rufers in der Wüste. In seinem Werk „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes kommt Keynes zu der Überzeugung: „Ich glaube., daß die Zukunft mehr vom Geiste Gesells als von jenem von Marx lernen wird” – Dies wäre in der Tat die Überwindung des ‘Kapitalismus durch den befreiten Wettbewerb.
NACHWORT
von Wilhelm Radecke
Die fortschrittliche Nationalökonomie hat in Karl “Walker – obwohl sein Weg nicht durch die Universitäten geführt hat und seine Legitimation zum Mitreden sich nicht auf akademische Grade und Titel gründet – einen ebenso klugen wie schriftgewandten Kämpfer. Schon vor mehr als 20 Jahren hat er uns mit seinem “Problem unserer Zeit und seine Meisterung” ,’ und mit seiner “Aktiven Konjunkturpolitik” wertvolle Werke philosophischen und praktischen Rüstzeugs in die Hand gegeben.
Die volks- und vor, allen Dingen geldwirtschaftliche/ Belehrung jedermanns in den letzten Jahrzehnten hat die Menschen allgemein hellhörig gemacht. Dinge, über die Karl Walker iia seinen frühen Büchern noch hat aufklären müssen, sind inzwischen weiten Kreisen geläufig geworden. Deshalb wird seine nun vorliegende Schrift leicht verstanden werden und von guter Wirkung gegen die wissenschaftlichen Irrtümer der Professoren und gegen die fachlichen der Bankiers sein, insbesondere der Währungsverwalter. Sie soll aber auch helfen, den Politikern die Augen zu öffnen, z.B. den Mitgliedern und Wählern der SPD. Diese große und in ihrem Wollen als ehrlich anzusprechende Partei sieht sich wegen der Unhaltbarkeit der marxistischen Theorie in Programmschwierigkeiten. Es wäre höchst bedauerlich, wenn sich , in der SPD diejenigen durchsetzen würden, die in den – dem Bundeswirtschaftsminister zu verdankenden – Erfolgen der Regierung Adenauers auch die Richtigkeit des herrschenden Systems und die Verläßlichkeit der konjunkturellen Entwicklung zur dauernden Vollbeschäftigung und zur sozialen Entspannung erkennen und erhoffen würden. Es sollten vielmehr diejenigen Kräfte der SPD zum Erfolg kommen, die bei der Suche nach “neuen Wegen zu den alten Idealen” auf Silvio Gesell gestoßen sind. Zwar sind die Gesellianer jederzeit bereit, die Verantwortung selbst zu übernehmen. Weil sie aber den unter Umständen sehr langen Weg bis dahin kennen, sehen sie es als unverantwortlich gegenüber den Lebensinteressen des deutschen Volkes und aller Menschen an, wenn sie ihren Kampf nicht auch auf die Gewinnung schon (noch 1) großer politischer Gruppen ausrichten.
Die Schrift selbst bedarf keiner Erläuterung. Jedes Wort, wäre ein überflüssiger Schnörkel. Jedoch habe ich in erfreulichen Diskussionen der letzten Zeit festgestellt, daß es wichtig ist, den einzigen noch verbliebenen Einwand gegen die globale Wirksamkeit – nicht etwa gegen die grundsätzliche Richtigkeit – der “Natürlichen Wirtschaftsordnung” Gesells (NWO) auszuräumen. Es handelt sich um die Stellungnahme John Maynard Keynes, den Walker erwähnt. Die Gesellianer nehmen Irving Fisher und J. M. Keynes für sich in Anspruch. Sie haben, begeistert durch die Freude über deren großartige Anerkennung des verehrten Meisters, leider versäumt, die Hinweise Keynes auf mögliche Lücken in der Wirksamkeit zu entkräften. Ernst zu nehmende Gegner glauben deshalb berechtigt zu sein, die Bedenken Keynes als letztes Argument gegen Gesell anführen zu’dürfen. Diese Hürde steht vor der vollen Anerkennung Gesells. Wir wollen sie uns ansehen.
Keynes schreibt in seiner „Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes” folgendes über Gesell:
“Da die Bedeutung Gesells voraussichtlich wenigen Lesern dieses Buches sehr vertraut sein wird, will ich ihm einen sonst unverhältnismäßig großen Platz einräumen . . . Ihre Hauptstärke (die der Gesell-Bewegung in der Hitler-Zeit, Ra.) liegt heute in den USA, wo Professor Irving Fisher als einziger unter den akademischen Ökonomen ihre Bedeutung erkannt hat… (Prof. Fisher hat wörtlich geschrieben: “Gesell is the solution-salva-tion of economic chaos; but if I would advocate his theory here at Yale, I would be to-morrow without bread and position.” Ra.) …. Trotz des prophetischen Schmuckes, mit dem seine Verehrer ihn ausgestattet haben, ist Gesells Hauptwerk, die NWO, in kühler wissenschaftlicher Sprache geschrieben, obschon es durchweg von einer leidenschaftlicheren, von einer erregteren Hingebung für gesellschaftliche Gerechtigkeit durchströmt ist, als manche für einen Gelehrten schicklich finden. Der Zweck des Buches als Ganzes kann als die Aufstellung eines antimarxistischen Sozialismus beschrieben werden, eine Reaktion gegen das kissez-faire auf theoretischen Grundlagen aufgebaut, die von jenen von Marx grundverschieden sind, indem sie sich auf eine Verwerfung statt auf eine Annahme der klassischen Hypothese stützen und auf eine Entfesselung des Wettbewerbs statt auf seine Abschaffung. Ich glaube, daß die Zukunft mehr vom Geiste Gesells als von jenem von Marx lernen wird. Das Vorwort zur NWO wird dem Leser, wenn er es nachschlägt, die moralische Höhe Gesells zeigen. Die Antwort auf den Marxismus ist nach meiner Ansicht auf den Linien dieses Vorworts %u finden.”
Soweit Keynes. Sein grundsätzliches Einverständnis mit Gesell kann nicht bezweifelt werden. Aber wir müssen uns nun Keynes Bedenken gegen die allgemeine Wirksamkeit der technischen Vorschläge Gesells ansehen.
Keynes anerkennt die Zinstheorie Gesells, hält sie aber nicht für vollständig, „er habe nur eine halbe Theorie des Zinses aufgebaut”. Zins ist nach Gesell deshalb möglich, weil das gebräuchliche Geld seinem Besitzer nur unbedeutende Durchhaltekosten verursacht. Waren dagegen machen infolge Verderbs und Aufwendungen für Lagern mehr oder weniger hohe Durchhaltekosten. Der Zinsfuß, der dem Geldbesitzer bewilligt werden muß, ist somit die Grenze, bis zu der das Realkapital wachsen darf. Die Gesell’sche Umlaufsicherung macht das kostenlose Durchhalten des Geldes unmöglich und setzt die Zinsrate, bis zu der das Realkapital wachsen darf, auf 0% herab. Hier meint nun Keynes, daß Gesell die Vorliebe für Liquidität, für Kassenhaltung, übersehen habe; deshalb sei seine Zinstheorie nur halb.
Keynes übersieht zweierlei. Das Streben nach Liquidität ist eine Folge der heutigen Stockungs-Krisen. Mit ihrer Beendigung, und mit dem Aufhören der Geld-Stockung sind sie beendet, fällt auch das Liquiditätsstreben fort. Keynes hat bei seinem Einwand in den Erscheinungen des bisher gewohnten Wirtschaftsbildes gedacht. Er hat weiter übersehen, daß die Umlaufsicherung des Geldes die Vorliebe für Liquidität zu teuer werden ließe, wenn jemand sie noch hätte. Wenn also Gesell diese Vorliebe für Liquidität nicht erwähnt, dann hat er sie nicht etwa übersehen. Er hat deswegen nicht von ihr gesprochen, weil es sie nicht mehr geben wird, bzw. sie keine Rolle mehr spielen kann, sobald die Umlaufsicherung des Geldes gegeben ist.
Auf diese scheinbare Unvollständigkeit der Gesell´-schen Zinstheorie führt Keynes die Vernachläßigung der NWO durch die akademische Welt zurück.
Eine weitere Lücke gkubt Keynes in der Geldreform selbst gefunden zu haben. Er sagt dazu: “Der hinter dem gestempelten (umlaufsicheren) Geld liegende Gedanke ist gesund. Es ist in der Tat möglich, daß Mittel gefunden – werden können um ihn in bescheidenem Rahmen in der Wirklichkeit anzuwenden. Aber es bestehen viele Schwierigkeiten, auf die Gesell nicht gefaßt war. Insbesondere war er sich nicht bewußt, daß das Geld nicht einzigartig darin ist, daß ihm eine Liquiditätsprämie anhaftet (ohne Durchhaltekosten hortbar ist, Ra.), sondern in dieser Beziehung nur im Grad von vielen anderen Waren abweicht, und daß seine Bedeutung daher rührt, daß es eine größere Liquiditätsprämie als irgend eine andere Ware hat. Wenn den Banknoten (dem Stück-Geld, Ra.) ihre Liquiditätsprämie somit durch das Stempelsystem (Umlaufsicherung, Ra.) genommen würde, werden eine lange Reihe von Ersatzmitteln in ihre Fußtapfen treten: Bankgeld, täglich abrufbare Darlehen, ausländisches Geld, Juwelen, Edelmetalle im allgemeinen.”
Gesell sei auf die Schwierigkeit nicht gefaßt gewesen, die in der besonderen Liquiditätsprämie des Geldes liegt? Mit der “Entdeckung” dieser Vorzugsstellung des gebräuchlichen Geldes kommt Keynes zu spät. Sie ist eine alte Bekannte, nämlich die “Überlegenheit des Geldes über die Waren”, von der die Theorie Gesells ausgeht und die er mit der Umlaufsicherung des Geldes bricht. Keynes Besorgnis ist Talso fehl am Platz. Sein Hinweis darf ohne Einschränkung als Unterstreichung der Richtigkeit der Gesellschen Geldreform aufgefaßt werden.
In einem Briefwechsel des deutschen Nationalökonomen Dr. Franz Hochstetter mit Keynes, an dem ich mit je einem Brief an und von Keynes beteiligt war, ist der Denkfehler hinsichtlich einer Ausweichmöglichkeit in Edelmetalle, in Juwelen und in fremde Devisen geklärt worden. In der Volkswirtschaft kommt es nur darauf an, daß das Geld in der Zirkulation bleibt. Zwar ist es für den einzelnen von Bedeutung, was er für “sein” Geld kauft, oder wie er es anlegt, nicht aber für den Wirtschaftskreislauf selbst. Keynes weiß das selbstverständlich; doch wie bei der “Vorliebe für Liquidität” ist ihm ein Kurzschluß unterlaufen. Die Nicht-Stichhaltigkeit auch dieses Teils seiner Bedenken wird in jeder seriösen Diskussion schnell erkannt. Es bleibt die angeblich vorhandene Ausweichemöglichkeit in Kontengeld, in kurzfristig fällige Guthaben oder Darlehen zu klären.
Das Kontengeld ist nur in Symbiose mit dem Stückgeld existenzfähig. Im Jahre 1931 hat das Verschwinden des Stückgeldes aus dem Verkehr auch zum Zusammenbruch des Giralverkehrs und zu den “Bankfeiertagen” geführt. Jedoch brauchen sich beide Geldformen nicht gleichartig zu verhalten. Das schließt schon der Umstand aus, daß die Verfügungsberechtigten meistens nicht die selben Personen sind. Überhaupt lassen die dem heutigen Geld zur Verfügung stehenden Möglichkeiten jede Kompliziertheit zu. Die Entwirrung erfordert viel Zeit und gründliche Kenntnis des gesamten Finanzapparates. Neben Stück- und Kontengeld würde die Art der Währungsverwaltung eine große Rolle spielen. Im Gegensatz zu Keynes Vermutung hat Gesell auch hier klar gesehen; doch hat seine für einen Wissenschaftler zugegeben ungewohnte Sprache Keynes das nicht erkennen lassen. So ist es ihm entgangen, daß die von Gesell vorgeschlagene Währungsverwaltung mit einem der Notenbank übergeordneten Währungsamt, dem auch die Notenbank geldsteuerpflichtig ist, eine bessere Funktionsbindung zwischen Stück- und Kontengeld schafft, als sie heute gegeben ist.
Diese Untersuchungen aber brauchen wir gar nicht anzustellen. Wir entfernen uns mit ihnen sogar von der eigentlichen Problemstellung. Ohne daß wir uns in die Einzelheiten des Zusammenlebens, von Stück- und Kontengeld vertiefen, können wir hier eine Antwort geben, die auch denen verständlich ist, die im Gewirr der Finanzakrobatik von heute nicht zu Hause sind.
Wenn nämlich Keynes glaubt, daß bei einer Umlaufsicherung nur des Stückgeldes die Buchgeldlücke bleibt, dann durfte er diese Lücke überhaupt nicht problematisch nehmen,… weil sie ja ohne weiteres zu schließen wäre. Es ist in der Tat erstaunlich, daß Keynes nicht darauf gekommen ist, daß, wenn nötig, ja auch das Buchgeld und mindestens ebenso einfach wie das Stückgeld in der Zirkulation festgehalten werden kann. Schon immer sorgt die verschiedenartige Behandlung der Konten dafür, daß möglichst wenig auf Scheck- und entsprechend mehr auf Anlage- (Spar-) Konten gehalten wird.
Wir haben es nicht nötig, Zeit mit Diskussionen über Möglichkeiten zu vertun, die sein könnten, weil wir mit der GeselTschen Reform jeder Möglichkeit gewachsen sind.
Damit ist das Gesamtbedenken Keynes gegen Gesell, das immer nur die Behauptung einer Lücke war, hinfällig bzw. unwirksam.
Eine Lücke aber besteht weiter. Das ist die Denklücke der amtierenden Kollegen Professor Keynes und das eigensüchtige Verhalten des Bankierstandes. Wir würden uns freuen, wenn sie sich zur Rehabilitierung und zum Ruhme der Professoren und der Bankiers so schnell wie möglich schließt, damit wir das Gesellianische Zeitalter des Friedens in Wohlstand und Freiheit, in Menschenwürde, einläuten können.
Wilhelm Radecke
weiland Prokurist des Bankhauses
S. Bleichröder und Direktor der
Reichskreditgesellschaft
„ (…) der entscheidende Grund für die Verirrung von Karl Marx liegt wohl darin, daß er nicht mehr in der Lage war, zur Anerkennung des einfachen Gesetzes von Angebot und Nachfrage zurückzufinden“
Angebot und Nachfrage und ihr Gleichgewicht bzw. Ausgleich sind heute das kleine Einmaleins aller Wirtschaftsstudenten. Historisch betrachtet konnte Marx aber gar nicht „zurückfinden“ zu diesem vermeintlich „einfachen Gesetz“.
Erst in seinem letzten Lebensjahrzehnt, als Band 1 seines „Kapitals“ bereits erschienen war, veröffentlichte Léon Walras das erste mathematisch fundierte allgemeine Gleichgewichtsmodell überhaupt, das bis heute grundlegend geblieben ist und uns vielleicht deshalb viel früher entstanden erscheint als die Ideen von Marx.
Selbst der große Adam Smith kam ein Jahrhundert früher in seinem berühmten „Wohlstand der Nationen“ nur zur Erkenntnis, dass die Nachfrage vom Preis des Gutes abhänge. Den umgekehrten, häufigeren und folgenschwereren Zusammenhang (Nachfrage steuert den Preis) hatte er nicht einmal als Möglichkeit erwogen,
https://de.wikipedia.org/wiki/Marktgleichgewicht
Aber wären für Marx die oftmals idealtypischen Annahmen zum Angebot-Nachfrage-Verhältnis bzw. -Gleichgewicht überhaupt hilfreich gewesen?
Er erkannte für seine Zeit richtig (Gewerkschaften und Streiks waren nämlich noch illegal!), dass der einzelne Arbeiter ein Anbieter ohne Marktmacht war, der zwar kündigen konnte, aber letztendlich nur, um sich gleich dem nächsten „Sklavenhalter“ ausliefern zu müssen. Denn zum Überleben war er auf Arbeitgeber angewiesen, die umgekehrt aus einem Überangebot an Arbeitskräften auswählen und den Lohn auf das zum Überleben notwendigste drücken konnten. Ein solches „Gleichgewicht“ zwischen Angebot und Nachfrage auf niedrigstem Niveau bedarf keiner großen Mathematik; Marx wollte zeigen, dass und warum es aus diesem Verelendungs-Teufelskreis keinen einfachen Ausweg gab.
„Hört doch auf, Kapital zu bilden, Häuser zu bauen! Je mehr Kapital ihr bildet und je mehr Häuser ihr baut, desto mehr kann das Kapital an Profiten und Mietzinsen aus euch herausholen!“ – Ein solcher Appell wäre in der Tat töricht, denn in einem Verteilungskampf nimmt man dem anderen ja nur deshalb etwas weg, um es selber zu bekommen. Wenn aber nichts produziert wird, bekommt niemand etwas.
Marx erstrebte allerdings sowieso keine Lösung innerhalb des Systems (z.B. durch Gründung von Gewerkschaften oder die Sozialversicherungen ab Bismarck), sondern glaubte an die Selbstzerstörungsmechanismen des Systems, das sich sozusagen am Schluss selbst abschafft, indem es die Weltrevolution ermöglicht.
Zur Aufspaltung des Profits in Zins und Unternehmergewinn hat Marx übrigens im Band 3 seines „Kapitals“ Ausführungen gemacht,
https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Kapital
Über „drei Stärken und ein Irrtum“ schreibt Gregor Gysi heute in einem Gastbeitrag bei n-tv über das „Kapital“ von Karl Marx, dessen erster Band heute vor 150 Jahren erschien,
http://www.n-tv.de/politik/Drei-Staerken-und-ein-Irrtum-article20033538.html
Laut Gysi wären das:
– Entwicklung einer kritischen Wirtschaftswissenschaft
– Analyse der Reproduktion der Klassen und des Kapitals
– Entwicklung des Kapitalismus hin zu Monopolen
Den schnellen Übergang vom Monopol-Kapitalismus zu einer Weltrevolution hat er zu voreilig gesehen und ihn als zu zwangsläufig.
Dass Marx treffsicher analysierte und in einer noch heute modernen Sprache formulierte, bleibt sein bleibendes Verdienst. Die Weltrevolution hat er m.E. hingegen nicht nur vergeblich herbeigeträumt, sondern auch völlig unrealistisch geglaubt, die bloße Enteignung der Produktionsmittel in privater Hand würde auf einen Schlag einen neuen, selbstlosen Menschentyp aus der gesamten Bevölkerung machen. Diese (nicht inhaltlich, sondern nur von der Verbreitung her) „erfolgreiche“ Illusion hat blutrünstigen Wahnsinnigen wie Pol Pot evtl. sehr dabei geholfen, einige Jahre länger ihr Volk zu terrorisieren und zu massakrieren.
Noch eine Würdigung der teilweise immer noch hochaktuellen Erkenntnisse von Karl Marx:
http://www.nachdenkseiten.de/?p=40105#more-40105