„So ist weiterhin ungeklärt, warum dieses Trio all die Jahre nicht entdeckt wurde. Bis hin zu dem ungeheuerlichen Verdacht, daß sie vielleicht gar nicht gefasst werden sollten. Und nach wie vor ist auch ungeklärt, ob der NSU tatsächlich nur aus drei Personen bestand.“
Mit diesen, für ZDF-Verhältnisse gerade revolutionären Worten, leitete die Moderatorin Marietta Slomka am Dienstag, 14. Januar, zwei Tage, bevor in München erstmals der Polizistenmord von Heilbronn verhandelt wurde, einen TV-Beitrag im „heute-journal“ ein. Darin werden vor allem Zweifel an der Zwei-Täter-Theorie der Bundesanwaltschaft (BAW) formuliert. Opferanwalt Yavuz Narin erklärt im Interview, daß nach dem Stand der Ermittlungen von fünf bis sieben Täter ausgegangen werden müßte.
Die Bundesanwaltschaft ist seit Monaten auch wegen der ungeklärten Täteranzahl von Heilbronn in Erklärungszwang. Am folgenden Mittwoch kamen alle vier Sitzungsvertreter der Behörde in den Presseraum im Justizzentrum in München und luden zum Hintergrundgespräch ein, das selbstverständlich als vertraulich eingestuft wurde. Im Wesentlichen ging es den Anklagevertretern aber darum, Meinungen, die nicht ihrer Linie entsprechen, anzugreifen. Medienberichte, die die Möglichkeit einer irgendwie gearteten Beziehungstat beim Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter erwähnten, wurden als unredlich und unseriös verurteilt. Ein ermittlungstechnischer Fundamentalismus, der gerade den Verdacht nährt, die BAW wisse, daß es eine Beziehung zwischen Tätern und Opfern gab. Yavuz Narin wurde wegen seiner Äußerung in dem ZDF-Beitrag persönlich angegriffen. BAW-Vertreter Jochen Weingarten diskreditierte den Anwalt, der habe sieben Täter um den Streifenwagen stehen sehen. Das ist eines Staatsdieners nicht nur unwürdig, sondern der Mann verläßt damit auch seine Kompetenzebene. Die Frage ist, ob solche Staatsanwälte tragbar sind.
Die Nervosität rührte natürlich vom bevorstehenden Zeugenauftritt Martin Arnolds her, jenem Polizeibeamten, der den Anschlag von Heilbronn schwer verletzt mit einem Kopfschuß überlebte. Obwohl er erklärte, zum Anschlag an sich keine Erinnerung mehr zu haben, waren Arnolds Aussagen durchaus von Informationswert und sein Auftritt hat Eindruck hinterlassen. Er präsentierte sich völlig anders, als das Bild, das monatelang von ihm gezeichnet wurde. Ein Mann, der Angst vor der Vernehmung habe, dem man das ersparen sollte, den man schützen müsse. Zuletzt wurde vorgeschlagen, ihn hinter einer Schutzwand zu vernehmen. Arnolds Auftreten sollte verhindert werden, darum ging es. Das Publikum erlebte dann einen 31-Jährigen, der klar, flüssig und zusammenhängend sprach. Eine Persönlichkeit auf seine Weise. Er sprach von seinem Erleben, seinen Erinnerungen, seinen Beschädigungen. Und man gewann den Eindruck, daß es ihm gut tut, seine Situation endlich einmal öffentlich schildern zu können. Daß er reden will, sich mitteilen will, sich den Fragen stellen will, an der Diskussion und Aufklärung mitarbeiten will.
Die Frage, welche Erinnerungen er an die Tat hat, beantwortete er dabei interessanterweise differenziert. Zunächst erklärte er, ab der Einfahrt auf die Theresienwiese keinerlei Erinnerung mehr zu haben. Später sprach er von zehn Minuten, die komplett fehlten. Und erwähnte dann, sich an Gespräche mit den Rettungssanitätern am Tatort und ihm Hubschrauber zu erinnern. Die müßten nun als Zeugen geladen werden. Die beiden Polizeibeamten, die als erste am Tatort waren, bekundeten auch, daß Arnold die Augen aufschlug, als sie sich um ihn kümmerten. Und dazu passt natürlich, was er in den vielen Vernehmungen, die bereits sechs Wochen nach dem Anschlag mit ihm aufgenommen wurden, aussagte. Nach dem Urteil der Ermittler hatte Arnold „klare und konkrete Erinnerungen“, die dazu führten, daß mit ihm schließlich ein Phantombild erstellt wurde. Die Ermittler der SoKo Parkplatz wollten es sogar für die Fahndung herausgeben, was aber am Veto des zuständigen Staatsanwaltes von Heilbronn scheiterte. Es wurde aber, zusammen mit den anderen 13 Phantombildern, allen Polizeibeamten, die vernommen wurden, vorgelegt.
Martin Arnold wurde sicherlich auf seinen Zeugenauftritt vorbereitet, gebrieft – wie auch immer. Sicher auch sein Anwalt, der am Ende des Verhandlungstages gegenüber der Presse doch etwas anders sprach, wie in Gesprächen in der Vergangenheit.
Beachtung verdient auch das Verhalten der Verteidigung der Angeklagten Beate Zschäpe. Was deren Anwälte an dem Tag vor dem OLG ablieferten, war nämlich: kein Verhalten. Dabei müßten doch die begründeten Zweifel an der (Allein-) Täterschaft der beiden Uwes eine große Chance der Verteidigung sein, eine Steilvorlage geradezu, die Anklage anzugreifen und ihre Mandantin zu entlasten bzw. „freizusprechen“. Denn, wenn die Uwes nicht die Täter waren, kann Zschäpe keine Mittäterin gewesen sein. Doch Heer, Stahl und Sturm blieben stumm. Kein Wort kam über ihre Lippen, keine Frage, kein Antrag – in einer derart schweigenden Penetranz, daß man sich die Frage stellen muß, wessen Interessen sie eigentlich dienen.
Mehr von Journalisten Thomas Moser finden sie hier.
Siehe: Schwere Vorwürfe der NSU-Opfer gegen Bundesanwaltschaft
“Kein Wort kam über ihre Lippen, keine Frage, kein Antrag – in einer derart schweigenden Penetranz, daß man sich die Frage stellen muß, wessen Interessen sie eigentlich dienen.”
Die Verteidiger Heer und Stahl dienen nicht der Angeklagten, sondern schützen die Verfassung.
http://www.stern.de/investigativ/projekte/terrorismus/zschaepe-anwaelte-im-interview-verteidiger-beklagen-unfaires-verfahren-1759367.html
“Stahl: Wir werden versuchen, eine Instrumentalisierung des Verfahrens zu politischen oder gar verfassungsfeindlichen Zwecken zu verhindern.”
Im übrigen war die schon beim obskuren Sauerlandprozess.
http://www.swr.de/blog/terrorismus/2010/10/25/landgericht-stuttgart-aufstand-der-alukoffer/