Über die Nagelbombe in Köln vom 9. Juni 2004 wurde bisher in München nicht verhandelt. Termine gibt es noch nicht. Im Juni steht zunächst die Sprengfalle in der Probsteigasse in Köln vom Januar 2001 an. Der Bombenanschlag in der Keupstraße ist komplex und wirft unverändert Fragen auf – auch zehn Jahre danach. Inzwischen mehren sich die Stimmen, die auch in Nordrhein-Westfalen einen Untersuchungsausschuss zum NSU-Komplex fordern. – Manuskript eines Radiobeitrages des WDR, Sendung Westblick, vom 3. April 2014. Autor: Thomas Moser.
„Es ist nicht möglich, alle ungeklärten Fragen aufzuzählen.“
Sagt Rechtsanwalt Alexander Hoffmann, der im NSU-Prozess in München eine Frau vertritt, die durch die Bombe in der Kölner Keupstraße im Juni 2004 verletzt wurde. Viele ungeklärte Fragen auch zehn Jahre danach.
„Die wichtigste ungeklärte Frage ist, warum der Bundesinnenminister wenige Stunden nach dem Anschlag erklärt hat, dass hier ein politischer, ein rechtsradikaler Hintergrund auszuschließen ist. Denn nach dieser Erklärung des Innenministers Schily war die gesamte Ermittlung natürlich nicht mehr erfolgreich durchzuführen.“
Noch ist der Komplex Keupstraße nicht zu Verhandlung aufgerufen, aber er steht in den nächsten Wochen an. – Ortswechsel: zurück nach Köln-Mülheim, wo der verheerende Anschlag mit 22 Verletzten geschah. Einer, der ihn erlebte, ist Ali Demir. Und die Beobachtung, die er damals machte, ist eines der Rätsel dieses Anschlages: Unmittelbar nach der Explosion sah Demir auf der Straße vor seinem Büro zwei Männer in Zivil, die Waffen trugen. Weil sie mit Sicherungsmaßnahmen beschäftigt waren, hielt er sie für Polizeibeamte. Mit einem sprach er. Doch wer die Männer waren, ist bis heute nicht aufgeklärt. Demir kannte, auch als Vorsitzender der Interessengemeinschaft Keupstraße, die Polizeibeamten, die regelmäßig dort Streife gingen, auch die verdeckten Ermittler in Zivil. Die Männer, die er am Tattag sah, kannte er nicht. Er hat seine Wahrnehmung immer und immer wieder geschildert. Auch der WDR berichtete wiederholt darüber. Reaktionen von amtlicher Seite: Fehlanzeige, bis heute.
„Von der Justiz oder dem Polizeiapparat habe ich nie etwas gehört. Die haben keine Fragen gestellt, was ich gesehen habe. Das ist immer noch ein Rätsel für mich: Wer waren diese beiden zivil gekleideten, bewaffneten Personen?“ Der Zeuge Ali Demir.
Für den Prozess in München hat ihn die Bundesanwaltschaft bisher nicht als Zeugen benannt. Doch die Nebenklage will das beantragen, wie Opferanwalt Alexander Hoffmann erklärt:
„Die Nebenklage zur Keupstraße besteht ja aus etlichen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten. Wir werden das noch besprechen, aber ich gehe davon aus, dass Herr Demir als Zeuge benannt werden wird.“
Schweigen der Ermittlungsbehörden auch zu einer weiteren offenen Frage: Gibt es Videomaterial aus der Keupstraße? Bekannt ist: Aus der benachbarten Schanzenstraße existieren Aufnahmen, die die mutmaßlichen Täter zeigen, wie sie das Fahrrad mit der Kofferbombe zur Keupstraße schieben. Aber Aufnahmen vom Anschlagsort selber? Darauf müsste die Detonation zu sehen sein und was für Personen sich vorher und nachher dort bewegten. Die Keupstraße war als sozialer Brennpunkt immer polizeilich überwacht: mit Fußstreifen, verdeckten Ermittlern, Informanten. Warum nicht auch mit Kameras? – fragt sich Ali Demir.
„Die wurde immer beobachtet. Der Polizeiapparat hatte bestimmt in der Keupstraße eine versteckte Videokamera oder ähnliches. Wo sind diese Aufnahmen?“
Die Polizei, weiß Demir, hatte in der Keupstraße ein gut und schnell funktionierendes Informationssystem installiert. Wenn es Streit gab, wenn mit Drogen gehandelt wurde, war sie direkt da. Ausgerechnet beim Bombenanschlag soll dieses Beobachtungssystem versagt haben?
„Wieso funktioniert dieses blitzschnelle Beobachtungssystem nicht bei diesem Bombenanschlag? Das ist für mich ein Rätsel.“
Der Sprecher der Kölner Polizei verweist Fragen zur Bombe in der Keupstraße an den Generalbundesanwalt. Die Karlsruher Behörde jedoch gibt mit Hinweis auf den Prozess in München seit Monaten keine Auskünfte mehr. Nachfrageversuch: Wenn die Kölner Polizei zum 9. Juni 2004 keine Auskunft gibt, dann vielleicht für die Zeit vor dem Anschlag. Gibt es Videoaufnahmen zum Beispiel vom 8. Juni 2004? Antwort des Polizeisprechers: Der Bezug sei trotzdem der Anschlag vom 9. Juni.
Im Land werden Stimmen lauter, die die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses fordern. Im Düsseldorfer Landtag bereitet die Piratenpartei einen entsprechenden Antrag vor. Auch Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann in München würde das begrüßen:
„Ein Untersuchungsausschuss kann natürlich viel breiter, viel nachhaltiger Beweis erheben und ist nicht so stark, wie wir hier, an eine vorgegebene Anklageschrift gebunden. Also die Möglichkeiten eines Untersuchungsausschusses sind deutlich besser, als die Möglichkeiten eines Strafprozesses.“